Vor gerade einmal zwei Jahren gründete Rey Colino sein Label Kalahari Oyster Cult. Seitdem sind darauf stolze 17 Platten einer Menge Nachwuchskünstler*innen erschienen. In Sachen Genre möchte sich das Label keine Grenzen setzen – Hauptsache, die Musik funktioniert zusammen auf dem Dancefloor. Groove-Autor Lars Fleischmann traf Labelhead Rey Colino in seiner Heimatstadt Brüssel.

Betreiber: Rey Colino
Gründung: 2017
Stil: Nah dran am Zeitgeist
Künstler: Erell Ranson, Roza Terenzi, Flora FM

„Es ist interessant, Re-Issues zu veröffentlichen, doch häufig auch spröde“, erzählt Colin Volvert alias Rey Colino an der Saint-Géry-Markthalle in Brüssel. Drinnen finden im Zuge des diesjährigen Listen Festivals Radio-Features statt, draußen, in der ersten Sonne des Jahres, das Gespräch mit Volvert. Ein besonderer Ort für ihn: Gerade einmal drei Jahre ist es her, dass Rey Colino sein erstes DJ-Set an gleicher Stelle spielte. Das scheint mittlerweile wie eine Ewigkeit, seitdem hat sich viel im Leben des gebürtigen Brüsselers getan. Es begann mit dem Umzug nach Amsterdam, wo er Otto Kraanen – den Chef vom Label und Plattenladen Bordello A Parigi – kennen lernte. Er heuerte nicht nur alsbald an und gilt mittlerweile als Gesicht des geschätzten Shops in der Amsterdamer Altstadt, sondern gründete gleich noch ein Label mit Kraanen: Attic Salt Discs. Hier veröffentlichte er „Ottomix – Sahara Sand” und das gefeierte Maya – „Lait de Coco” als Reissues. „Lizensieren ist nicht sonderlich kreativ. Die Spurensuche ist anstrengend, nervt. Der Markt ist abgegrast und auf einen Track kommen in der Regel gleich mehrere Interessenten“; so entschied er sich, ein neues Label auf die Beine zu stellen, das als Kalahari Oyster Cult in kürzester Zeit eine ganze Menge an Nachwuchskünstler*innen aufbieten konnte.

Rey Colino aka Colin Volvert im Brüsseler Boiler Room.

„Viele Kontakte ergaben sich recht schnell. Und wenn man zeigt, dass man echtes Interesse an den Künstler*innen hat, dann schätzen diese das auch wert.“
So entstanden bisher 17 Platten innerhalb von zwei Jahren. „Moderne Labelchefs sind nicht nur Schreibtischtäter. Gute Labelchefs sind Executive Producer, betreuen die Aufnahmen und jeden Prozess. Der stete Austausch ist wichtig, um das bestmögliche Ergebnis zu erzeugen“, meint Volvert. Musikalisch sieht er jedoch wenig Grenzen gesetzt; grober Ansatzpunkt ist der eigene Geschmack des Labelmachers. Diverse Musik, die auf dem Dancefloor zusammen Sinn ergibt, auch wenn sich die Genre-Bezeichnungen unterscheiden. Kalahari Oyster Cult soll nicht ein Label für das Trance-Revival sein, sondern ein Ort, an dem verschiedene aktuelle Künstler*innen zusammenkommen können, ohne sich deplatziert zu fühlen. Die Artist-Pflege steht im Vordergrund: „Mit Labels in der Größe und mit der Musik macht man kein Geld. Dann soll es wenigstens Spaß machen und Platten für die Ewigkeit entstehen. Es ist eine Passion.“

Apropos Platten: Die Idee Vinyl-Only zu veröffentlichen, verwarf man recht schnell. „Es geht darum, auch bei den Leuten anzukommen. Und heute werden immer mehr Digital-Files gekauft. Uns geht es um die Musik, nicht um Romantik.“


Drei wichtige Kalahari Oyster-Platten 

Too Smooth Christ
VIOLET 29
(OYSTER6)

„Es wäre einfach, die erste Veröffentlichung zu nehmen. Doch ich schmeiße mal die Nummer sechs in den Ring. Diese Platte war der Grund, sich von Genrekonventionen zu trennen.“ Für Volvert ist die insgesamt fünfte Produktion des Franzosen Christophe Le Gall ein Türöffner gewesen. Die besondere Mischung aus 90er-Italo House-Seligkeit und Rave-Anleihen entstand an einem einsamen Wochenende in der Bretagne. Während auf der Instrumenten-Ebene eine MPC, ein Korg 03RW und ein Yamaha TX7 bereitstanden, gab es vor allen Dingen Rotwein. Die beschwingte Melancholie, die ihren Ausdruck unter Anderem im Loon Garden-Sample findet, ist ein prädestinierter Heartbreaker für den Sonnenaufgang.

V.A.
ELSEWHERE MMDLXXVI
(OYSTER10)

Bisher die einzige Compilation auf Kalahari Oyster Cult. Es handelt sich hierbei um den zweiten Release aus der kuratierten Reihe des Brüsselers DJ soFa. „Wir kannten uns nicht, obwohl wir beide aus Brüssel kommen beziehungsweise da lebten.“ Dann wollte soFa „Ode to Sansevieria“ von Infuso Giallo über Bordello A Parigi bestellen (erfolgreich) und plötzlich kamen Volvert und soFa über Analog-Sounds ins Gespräch. Der Rest ist Geschichte: Die Compilation mit dem kryptischen Namen beheimatet nicht nur bekanntere Namen wie etwa Khidja und Bear Bones, Lay Low, sondern auch Geheimtipps wie Velvet C oder Konsistent. Besonderes Augen- oder Ohrenmerk darf auf die roughe Getragenheit des Openers von Rony & Suzy („Einstellung“) gelegt werden. Ein roher Diamant.

DJ Trance, Darwin Chamber
Indians And Aliens
(OYSTER14)

Also doch wieder Reissues. Diese Breakbeat-Late-Acid House-Platte hat es dem Labelmacher seit Jahren angetan. „Ich habe sie immer wieder gespielt und mich dann umgehört. Die Jungs zu erreichen war einfach, die Master auch. Auch wenn das Solo-spurige Nummern waren, konnten Roza Terenzi und D.Tiffany ganz grandiose Remixe basteln.“ Als alles geklärt schien und die beiden Remixe trotz fehlender Einzelspuren kreativ und neuartig klangen, fiel auf, dass die Master falsch waren. Eine Spurensuche durch alte Keller, ehemalige Labelbosse und Umzugskartons entsponn sich, bis Darwin Chamber drei unbeschriftete Tapes fand, wovon eins das richtige war. Diese Schnitzeljagd macht die Nummer 14 für Volvert zu etwas Besonderem. Für uns Hörer*innen dürften die verzögerten Bongos, der analoge Jam-Charme und die teils naiven Melodien im Vordergrund stehen.

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