Foto Fusion: Retinafunk. Foto Stang: Polizei-Journal. Montage: Groove.

Die Szene staunte nicht schlecht, als sich Polizeidirektor a.D. Siegfried Stang, bis 2015 Leiter der Polizeiinspektion Neubrandenburg, in den Streit um die Fusion einmischte – und die Seite der Fusion ergriff. Stang hat die Fusion bis 2015 polizeilich begleitet und die Fusionmacher*innern und -besucher*innen als “besonders friedfertig” erlebt. Im Email-Interview mit Cristina Plett erklärt er unter anderem, warum die Sicherheitslage der Fusion nicht mit der der Love Parade in Duisburg vergleichbar ist.

Wie lief die Zusammenarbeit mit der Fusion ab, als sie noch bei der Polizei waren?
Wir kamen letztendlich immer auf einen gemeinsamen Nenner, so dass das Festival durchgeführt werden konnte.

Ist Ihnen davon etwas ganz bestimmt in Erinnerung geblieben?
Ja, ein Gespräch mit Herrn Eulenhaupt – er ist schon eine ‘Persönlichkeit’, wie man so sagt. Ein Mann, der sich auch von der Polizei nicht sonderlich beeindrucken lässt, sondern genau artikuliert, was er möchte.

Was für einen Eindruck haben die Besucher und Besucherinnen sowie die Veranstalter und Veranstalterinnen der Fusion auf Sie gemacht?
Die Veranstalter machten auf mich einen engagierten und kompetenten Eindruck. Leute, die etwas auf die Beine stellen. Natürlich müssen die Interessenlagen der Veranstalter und der Polizei nicht immer identisch sein. Dazu spricht man miteinander. So wird ein Schuh daraus.

Die Besucher machten auf mich vor allem einen sehr friedfertigen Eindruck. Das zeigte sich schon darin, mit welcher Gelassenheit sie die Polizeikontrollen (Fahrzeugkontrollen bei der An- und Abreise) über sich ergehen ließen. Man hätte eigentlich mit Widerständen, Renitenz und so weiter rechnen können. Nichts dergleichen.

Waren Sie selbst mal auf dem Festival?
Als Besucher habe ich persönlich nicht an dem Festival teilgenommen. Ich weiß aber, dass Polizeibeamte es privat besucht und einen positiven Eindruck gewonnen haben.

Gab es jemals ein Misstrauen seitens der ansässigen Bevölkerung oder der Polizei gegenüber der Fusion?
Ein „Misstrauen seitens der Bevölkerung“ ist mir nicht bekannt, obwohl da schon in optischer Hinsicht einige Unterschiede bestehen. Die Polizei ist gehalten, möglichst vorurteilslos ihre Arbeit zu tun. Ich hoffe, das getan zu haben.

In welcher Hinsicht ist das Festival ein Wirtschaftsfaktor für die Region?
Das Fusion-Festival dürfte einen großen Wirtschaftsfaktor für die Region darstellen. Es müssen Tausende von Menschen während der Veranstaltungstage versorgt und verpflegt werden. Das bedingt Einkäufe in großem Umfang, die Inanspruchnahme von Dienstleistungen und viel mehr.

Viele Besucher lernen durch die Teilnahme an der „Fusion“ erstmals die Mecklenburgische Seenplatte kennen, die einzigartige Schönheit der Landschaft und die Urlaubsmöglichkeiten, die sich hier bieten. Ich könnte mir vorstellen, dass etliche später darauf zurückkommen. Wieder andere erkunden aber noch während des Festivals die Seenplatte und die größeren Städte in der Nähe , sodass die gesamte hiesige Tourismus-Branche davon profitiert. Zudem ist das Festival ein Publikums-Magnet für Besucher aus ganz Europa und damit ein „Aushängeschild“ für die Region. Dies alles durch ein Übermaß an polizeilicher Einflussnahme zu verspielen, wäre schade.

Warum sind die nun von der Polizei geforderten Maßnahmen aus Ihrer Sicht unzulässig?
Vorauszuschicken ist zunächst, dass nach dem hiesigen Polizeigesetz (SOG M-V, Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern) grundsätzlich die Ordnungsbehörde in erster Hinsicht zur Gefahrenabwehr zuständig ist, die Polizei nur nachrangig – etwa in Eilfällen, wenn die Ordnungsbehörde nicht rechtzeitig eingreifen kann. Das dürfte der Grund dafür sein, dass Herr Hoffmann-Ritterbusch auch den Landkreis „mit ins Boot“ geholt hat. Eine Zuständigkeit der Polizei nach dem Versammlungsgesetz ist nicht gegeben, weil es sich bei dem Festival nicht um eine Versammlung im Sinne dieses Gesetzes handelt. Deshalb greift auch die Versammlungsstättenverordnung nicht.

Das Wichtigste im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit ist aber Folgendes: Jede Verfügung oder Maßnahme der Polizei, die Ermessen einräumt, muss erforderlich und verhältnismäßig sein (sogenannte ermächtigungsbegrenzende Bestimmungen). Erforderlichkeit in diesem Sinne bedeutet: Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs. Die Einräumung eines Platzes oder sogar einer Wache auf dem Festival-Gelände müsste erforderlich sein, das heißt, geringere Maßnahmen dürfen nicht zur Verfügung stehen. Es stehen aber mehrere geringere Maßnahmen als Alternativen zur Verfügung: Zum einen die bewährte Durchführung der Maßnahmen wie in den Vorjahren. Wenn man darüber hinaus noch Gefahrenmomente annimmt, so könnten diese in enger Zusammenarbeit zwischen Polizei und Veranstalter ausgeräumt werden. Die Ergebnisse kann der Veranstalter selbst umsetzen (durch Planung/Organisation von Abläufen und Events, unter Einsatz eigener Sicherheitskräfte; gegebenenfalls auch durch bauliche Maßnahmen und anderes). Eine Polizeipräsenz auf dem Veranstaltungsgelände ist also nicht unabdingbar erforderlich, erst recht keine Polizeistation darauf. Soweit es um die Wachablösung der Polizeikräfte im Zugangsbereich geht, könnte dort (im Außenbereich) etwa ein Container aufgestellt werden.

Etwas salopp gesagt: Es ist egal, ob sich die Polizeikräfte am Zugang oder 30 m Luftlinie weiter (also direkt auf dem Gelände) aufhalten. Ein polizeiliches Eingreifen ist in beiden Fällen sichergestellt.

Seitens des Ministeriums sind unterdessen die Ereignisse der „Love Parade“ zur Begründung der Forderungen angeführt worden. Dabei werden allerdings Äpfel mit Birnen verglichen. Die „Love Parade“ war ein Festival mit sich bewegenden Menschenmassen, also von seiner Natur her schon dynamisch. Zudem spielten damals einengende bauliche Gegebenheiten bei dem Unglück eine Rolle. Bei der „Fusion“ handelt es sich hingegen um eine Veranstaltung, die man als statisch bezeichnen könnte. Sie findet auf einem äußerst weitläufigen Gelände statt, ohne besondere bauliche Gefahrenherde solcher Art. Im Übrigen ist so gut kein Gefahren-Szenario denkbar, das nicht von den Organisatoren und den privaten Ordnungskräften (gegebenenfalls mit Beratung durch die Polizei im Vorfeld, durch Begehungen, Planungen etc.) bewältigt werden könnte. Verhältnismäßigkeit bedeutet: Angemessenheit. Es darf also nicht „mit Kanonen auf Spatzen“ geschossen werden. Genau dies tut man aber mit überzogenen, sachfremden Forderungen.

Warum, denken Sie, möchte der aktuelle Polizeipräsident Nils Hoffmann-Ritterbusch diese Maßnahmen so vehement durchsetzen?
Er hat die Angelegenheit, die sonst üblicherweise seitens der nachgeordneten Polizeiinspektion Neubrandenburg abgewickelt wird, an sich gezogen und sich dabei sehr weit „aus dem Fenster gelehnt“. Ein vorsichtiger und umsichtiger Polizeipräsident wird sich sicherlich beim Innenministerium rückversichern, wenn es um eine solche öffentlichkeitswirksame und heikle Angelegenheit geht. Es ist aber auch vorstellbar, dass Hoffmann-Ritterbusch auf Veranlassung des Leiters der Polizeiabteilung im Innenministerium (Ministerialdirigent Frank Niehörster) gehandelt hat, also nicht selbst die Initiative ergriffen hat, sondern die Initiative vom Innenministerium ausgeht. Ohne einen Gesichtsverlust können weder er noch das Innenministerium jetzt noch „zurückrudern“. Insofern könnte es sein, dass nicht mehr Sachfragen im Vordergrund stehen, sondern die Fusion aus anderen Gründen zum Zankapfel wird.

Wie wird sich das Problem Ihrer Meinung nach lösen?
Ich kann natürlich nicht in die Zukunft blicken, was die Lösung des Problems anbelangt. Denkbar wäre vieles: Gerichtsentscheid, Vergleich, außergerichtliche Einigung und so weiter. Eine Einigung setzt aber Kompromissbereitschaft voraus. Es darf bezweifelt werden, ob beim Innenminister und seinem Polizeipräsidenten diese Bereitschaft vorhanden ist, vor allem, weil sie sich nun öffentlich positioniert haben. Man könnte deshalb vermuten, dass versucht wird, die eigenen Positionen auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Denn bei einem „Zurückrudern“ würde für jedermann offensichtlich sein, dass die vorgebrachten Argumente sachlich doch nicht greifen, also sachwidrig und falsch waren.

Im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung liegt es in der Natur der Sache, dass die Polizeibehörde im Vorteil sein könnte, und zwar im Hinblick auf die mutmaßlich dort vorhandene fachliche und sachliche Kompetenz. Welches Gericht wird in Einsatzfragen der Polizei widersprechen? Die Gegenseite wird es schwer haben.

Was ist Ihre ganz persönliche Perspektive auf den Konflikt?
Wenn man sich in Europa und der Welt umschaut, erkennt man oft nicht auf den ersten Blick, dass Sicherheitsfragen für vieles instrumentalisiert werden. Deshalb sollten wir in Deutschland genau hinschauen, wenn es um solche Fragen geht, denn meist sind sie mit Einschränkungen verbunden.

Wenn man einen Bürger fragt, ob er für Sicherheit ist, wird er die Frage im Regelfall bejahen. Eine andere Antwort würde eher unvernünftig klingen. Das Schlagwort Sicherheit verkauft sich auch in der Öffentlichkeit gut. So kann es Schritt für Schritt jedoch zu immer mehr Beschränkungen der Rechte kommen. Dies kann freiheitliche Strukturen schlechtestenfalls geradezu ersticken. Es empfiehlt sich also immer mehr, die Notwendigkeit der angeblichen Sicherheitserfordernisse sehr kritisch zu hinterfragen.

Mir ist übrigens zu Ohren gekommen, dass eine Vielzahl von Polizeibeamten auf dem Veranstaltungsort Streife gehen soll. Allein die Vorstellung ist schon bizarr. Das wäre ungefähr so, als ob jede Menge Sheriffs beim legendären Woodstock-Festival 1969 durch die Reihen der Teilnehmer patroulliert wären. Dann hätte es Woodstock wahrscheinlich gar nicht gegeben. Im Übrigen stellt sich in Bezug auf die „Fusion“ die Frage: Warum sollen die Polizisten auf dem „Fusion“-Gelände Streife gehen, was soll das? Ich wüsste nicht, warum. Außer um den Teilnehmern zu zeigen, dass ohne erkennbaren Grund allüberall Polizeibeamte vorhanden sind.

Vor dem Hintergrund der oben genannten Aspekte wäre es traurig, wenn das Festival und die hiesige Region aufgrund der überzogenen Forderungen seitens des Ministeriums und des Polizeipräsidenten Schaden nehmen würden. Vielleicht gibt es wider Erwarten ja doch eine Einigung. Das wäre zu begrüßen.

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