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Mama Snake: „Ich dachte, ich probier’ das nur einmal aus”

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Mama Snake begann vor zehn Jahren durch einen Zufall aufzulegen. Mittlerweile macht die einzigartige Mischung aus knüppelharten Techno-Tracks und psychedelischen Trance-Hymnen in ihren Sets die Kopenhagenerin zu einer der prägenden DJs ihrer Generation. Gemeinsam mit Solid Blake und Smokey war die dänische Musikerin Teil der Apeiron Crew, die die Technoszene Kopenhagens neu definiert hat. Ferner ist sie Gründerin des Labels Amniote Editions. Als sei das nicht mehr als genug, begann sie in der Coronazeit auch noch eine Ausbildung zur orthopädischen Chirurgin.

Unsere Autorin Franziska Nistler sprach mit Mama Snake über die Herausforderung, Nachtschichten im Krankenhaus und hinterm DJ-Pult zu organisieren, und darüber, wie sie als Ärztin Clubs helfen kann, ein sicheres Umfeld zu schaffen. Und natürlich wollten wir wissen, was es mit der Schlange im Alias der Dänin auf sich hat.

Strobos zittern, Totems leuchten und schwitzende Körper drängen sich dicht nebeneinander auf der Tanzfläche. Nebel und Zigarettenrauch steigen auf und hüllen die Turmbühne des Fusion Festivals in eine bunt flimmernde Oase der Realitätsflucht. Plötzlich dröhnen wummernde Bässe aus den Lautsprechern und Sara Svanholm, besser bekannt als Mama Snake, versetzt die tanzende Meute in Hypnose. Ein Schild mit der Aufschrift „Initiative für mehr LSD im Grundwasser” wird zum vorantreibenden Beat bewegt.

Obwohl die dänische DJ vor allem kleine Festivals schätze, zeigt sie sich begeistert, dass es der Fusion trotz ihrer Größe gelingt, eine sichere und positive Atmosphäre zu versprühen. Das Festival habe jedoch auch deshalb einen besonderen Platz in ihrem Herzen, weil es die erste Veranstaltung war, die die Künstlerin außerhalb Dänemarks besuchte. „Davor war ich nur auf großen, kommerziellen Mainstream-Festivals, auf denen sich in Dänemark alle betrinken und so schlecht benehmen, dass sie den Ort verwüsten”, sagt die Künstlerin. Durch die Fusion habe sie zum ersten Mal erlebt, wie harmonisch Festivals sein können.

Mama Snake (Foto: Noah Umur Kanber)

Damit eine Veranstaltung wirklich gut ist, sei der DJ besonders wichtig, sich frei zu fühlen. „Ich mag es, wenn man keine Fotos machen darf. Im Moment zu bleiben und nicht zu filmen, gibt allen ein bisschen mehr Sicherheit in dem Raum, in dem man sich ausdrücken kann, wie man will”, so Svanholm. Deshalb fühle sich die Künstlerin unwohl, wenn sie auf Veranstaltungen spielt, bei denen Leute in der ersten Reihe nicht tanzen, sondern nur mit der Handykamera filmen.

„Die Musik, die ich spiele, passt viel besser in diese düstere Umgebung. Bei House oder groovigerer Musik, die im Sonnenlicht und am Strand funktioniert, ist es vielleicht anders.”

Es koste Svanholm viel Überwindung, tagsüber auf großen Festivals zu spielen, auf denen sie viele Menschen sehen können. Am liebsten lege die Kopenhagenerin nachts oder in dunklen Clubs auf. „Die Musik, die ich spiele, passt viel besser in diese düstere Umgebung. Bei House oder groovigerer Musik, die im Sonnenlicht und am Strand funktioniert, ist es vielleicht anders.” Svanholm erklärt auch, wie wichtig ihr ein interessantes Lichtdesign ist, das die Musik ergänzt und eine aufregende Atmosphäre aufbaut. Denn wenn das Licht aus ist, könne sie die beste Musik der Welt spielen, das Publikum würde nie dieses unglaubliche Gefühl bekommen, etwas wirklich Berauschendes erlebt zu haben.

Eine ähnliche Erfahrung wie auf der Fusion habe Mama Snake zuletzt auf dem Solstice Festival gemacht – obwohl oder gerade weil sie tagsüber aufgetreten sei. Die von ihren Freunden organisierte Veranstaltung fand Ende Juni im Norden Finnlands statt, wo die Sonne im Sommer nie untergeht. „Ich musste mich erst darauf einstellen, dass es immer hell ist, doch obwohl die ganze Zeit die Sonne schien, haben die Veranstalter:innen es geschafft, interessante Lichter zu verwenden”, schwärmt Mama Snake.

Am wichtigsten sei der dänischen Künstlerin jedoch ein Publikum, das sich gegenseitig respektiert und genügend Raum gibt. Dancefloors, auf denen sich die Leute vor lauter Gedränge nicht mehr bewegen können, seien für Svanholm eine schreckliche Vorstellung. Nur wenn sich die Körper bewegen, kann sie einschätzen, ob die Stimmung passt.

Teil der Stimmung werden

Schon lange, bevor sie als Mama Snake aufzulegen begann, habe sie sich zum Dancefloor hingezogen gefühlt. Bis heute liebe es Svanholm, sich vor und nach ihrem Auftritt unter die Crowd zu mischen und Teil der Stimmung zu werden. Besonders gute Erfahrungen habe die Kopenhagenerin auf deutschen Dancefloors gemacht. Immer wenn sie in Berlin auf einer Party war, habe das Publikum eine unglaubliche Atmosphäre erzeugt, so Svanholm. „Ich glaube, das können die Deutschen besonders gut.”

Ihre Liebe zur elektronischen Musik habe Svanholm relativ spät entwickelt. Als Jugendliche seien vor allem Hip Hop und Ska aus ihren Kopfhörern gerauscht. Mit 16 habe sie sich oft in einen Club namens Vega in Kopenhagen geschlichen, in dem viel elektronische Musik gespielt wurde. Ihr Interesse an der Szene und der Musik sei jedoch nicht durch ihre musikalische Sozialisation mit Hip Hop und Ska, sondern vor allem durch Freund:innen geweckt worden, die sie zu Veranstaltungen mitgenommen haben. Über die Jahre habe Svanholm so immer mehr über elektronische Musik und sich selbst gelernt. Mittlerweile steht die 33-jährige Dänin seit einem Jahrzehnt hinter dem DJ-Pult und hat dabei nicht nur ihre Liebe für schnellen Techno, sondern auch ihr Interesse für Ambient entdeckt.

Heute lasse sich Mama Snake von Künstler:innen wie Octa Octa, Crystallmess, DJ Marcelle sowie dem Berliner Kollektiv Mala Junta inspirieren. Die queere Partyreihe wurde 2018 von DJ Tool und Hyperaktivist gestartet und buchte bereits DJs wie Roza Terenzi, D.Dan und Sedef Adasi. „Sedef hab ich vor Kurzem kennengelernt. Sie hat mich sehr inspiriert, weil sie immer noch in ihrer Heimatstadt Augsburg lebt und unermüdlich daran arbeitet, die dortige Szene am Laufen zu halten. Dabei ist sie so dankbar und freundlich – so sollten wir alle sein.”

Diverse Mama Snakes (Foto: Noah Umur Kanber)

Dass sie eines Tages selbst auflegen würde, hätte sich Mama Snake als Jugendliche nie erträumt. Die Stimmung, die bei elektronischen Musikveranstaltungen herrsche, habe sie schon immer als viel freier und toleranter empfunden als in Charts- und Mainstream-Clubs. Mittlerweile habe sich die elektronische Clubszene in Kopenhagen von einer kleinen Nischenszene zu etwas Größerem entwickelt. „Ich kenne die meisten Leute nicht mehr und denke, dass das eine wirklich gute Sache ist. Schließlich bedeutet es, dass eine neue, jüngere Generation hinzukommt, die sich für die Musik interessiert und die Dinge auf ihre eigene Art und Weise macht.”

„Ich sagte: ‚Auf keinen Fall, es gibt schon genug DJs, du brauchst mich nicht, um das zu machen.’”

Zu ihrem heutigen DJ-Alias Mama Snake sei Svanholm übrigens lange vor ihrem ersten Gig gekommen. Mit 18 zog die Dänin gemeinsam mit ihrer Freundesclique für vier Monate nach Barcelona und arbeitete dort als Promoterin für einen Nachtclub. Weil sie nur die kühlen Sommer in Kopenhagen gewohnt gewesen sei, haben ihr die hohen Temperaturen in Barcelona besonders intensiv zugesetzt. Um der Hitze zu entgehen, habe sie meistens den ganzen Tag geschlafen. „Meine Freundin weckte mich dann und sagte: ‚Sara, du bist so eine große, faule Anakonda, die nur rumliegt. Komm, lass’ uns zum Strand gehen.’”

Außerdem sei sie in ihrer Freundesgruppe die „Mama” gewesen, die sich um alle kümmerte. Deshalb sei aus ihrem Spitznamen „Anaconda” am Ende des Urlaubs „Mama Anaconda” und schließlich „Mama Snake” geworden. „Als ich angefangen habe, aufzulegen, war das für mich die naheliegende Wahl”, erzählt die DJ grinsend.

Wie man durch Zufall zur DJ wird

Die Künstlerin beschreibt den Beginn ihrer DJ-Karriere mehr als Zufall, weil sie zu der Zeit schon Medizin studiert und andere Pläne für ihre Zukunft hatte. Dass sie doch hinter den Decks landete, sei Dan, einem ihrer Freunde, der als DJ international unterwegs war, zu verdanken. Mit ihm habe sie sich oft über Musik ausgetauscht. Er schlug Svanholm schließlich vor, auf seiner Party zu spielen. „Ich sagte: ‚Auf keinen Fall, es gibt schon genug DJs, du brauchst mich nicht, um das zu machen’”. Nach langer Überredungskunst ihres Freundes spielte sie schließlich im Culture Box in Kopenhagen. Die Dänin hatte sich gerade erst einen Plattenspieler gekauft und war noch nicht geübt darin, aufzulegen. „Ich dachte, ich probiere das nur einmal aus und dann war’s das. Obwohl ich noch nicht sehr gut war, muss ich irgendetwas richtig gemacht haben, denn viele der Leute, die dort waren, haben mich kurz darauf auf ihre Partys gebucht.” 

„Wir haben uns wirklich bemüht, uns nicht als weibliche DJs zu bezeichnen. Es sollte kein feministisches Statement sein.”

Mama Snake beschreibt sich als Alles-oder-Nichts-Typ, weshalb sie kurz nach ihrem ersten Auftritt ihr ganzes Erspartes ausgab, um zwei Plattenspieler zu kaufen. Zwei grüne Technics 1210er landeten in ihrem Wohnzimmer, denn: Sie habe sich fest vorgenommen, das Handwerk der DJs zu würdigen und es von Grund auf zu lernen.

Nachdem erste Platten in ihrem Mix zusammen gelaufen waren, gründete Mama Snake mit Smokey und Solid Blake das DJ-Trio Apeiron Crew – zu einer Zeit, in der es etwas Besonderes gewesen sei, als weibliche DJs Veranstaltungen zu organisieren, so Svanholm. „Wir haben uns wirklich bemüht, uns nicht als weibliche DJs zu bezeichnen. Es sollte kein feministisches Statement sein. Wir wollten einfach nur auflegen, aber Musikmagazine haben uns, nur weil wir Frauen sind, als feministisches Kollektiv gesehen.”

Mit ihrer Fähigkeit, Techno, House, Electro und Hip Hop zu vereinen, wurden Apeiron Crew schnell zu einem der bekanntesten DJ-Trios Dänemarks. Durch regelmäßige Radioshows, geheime Partys, die sie organisierten, und einer Residency im Culture Box, leisteten die Drei einen kontinuierlichen Beitrag zur Kopenhagener Szene. Mit Gigs im Inkonst in Malmö, im ∄ in Kiew oder auf dem polnischen Unsound versetzten die Künstlerinnen auch Dancefloors außerhalb Dänemarks gehörig in Schwingung.

Zwischen Pressefotos und Instagram-Algorithmen

Inzwischen ist Mama Snake seit fünf Jahren fester Bestandteil des Kollektivs und Plattenlabels Amniote Editions. Das Projekt entstand gemeinsam mit ihrer langjährigen Freundin Rose Marie Johansen, die für das Artwork des Labels zuständig ist. Auch eigene Veröffentlichungen sind erschienen, aber „unter anderem Namen”, so Svanholm. „Wir haben alle ein Pseudonym für das Projekt kreiert, weil wir herausfinden wollten, ob die Musik allein mit einer visuellen Ästhetik in einer Welt voller Pressefotos und Instagram-Algorithmen ausreicht.”

Mit dem Kopenhagener Grafikdesign-Studio Alexis Mark, in dessen Galerieraum das Kollektiv einst Konzerte und Release-Partys veranstaltete, arbeite Svanholm nun an neuen, verrückten Visuals. Außerdem solle in Zusammenarbeit mit der DJ und Produzentin Tanya Akinola bald eine Benefizveranstaltung mit dem norwegischen Label Ute Records veranstaltet werden, so die DJ.

Mama Snake (Foto: Noah Umur Kanber)

Neben der Labelarbeit perfektionierte Mama Snake über die Jahre auch ihren individuellen Stil. Die Künstlerin beschreibt ihre Musik als energiegeladen und dynamisch. Vor allem spiele sie gerne melancholische Melodien oder leichte, aufbauende Tracks, die gleichzeitig rau und schnell sein dürfen. „Wenn ich etwas Schwieriges durchmache, ändert sich mein Sound, um das widerzuspiegeln. Entweder wird er ein bisschen dunkler und schwerer, oder er wird noch euphorischer und fröhlicher, um das ein bisschen auszugleichen”, so Svanholm. Durch die Corona-Pandemie habe sich das im Tempo ihrer Musik niedergeschlagen. Svanholm hatte das Bedürfnis, nach der langen Pause endlich wieder herumzuspringen, zu tanzen und die ganze angestaute Spannung abzubauen.

Allerdings änderte sich nicht nur die BPM-Zahl ihrer Tracks, sondern auch ihre Hauptberufung. Svanholm hat mittlerweile das erste Jahr ihrer chirurgischen Ausbildung abgeschlossen. Als Ärztin in Ausbildung, die sich in der Clubszene bewegt, habe sie auf Veranstaltungen schon öfter die Rolle des medizinischen Personals übernommen. Damit Unfälle vermieden werden, sei der Künstlerin wichtig, dass nicht nur Veranstalter:innen wissen, wie man Erste Hilfe leistet. „Drug Checking sollte überall eingeführt werden”, sagt Svanholm. „Das ist die wichtigste Maßnahme zur Schadensbegrenzung, denn Leute werden ihre Drogen nehmen, und keine Gesetzgebung, keine Hotline und keine Polizei kann daran etwas ändern.”

„Ich stand an einem Scheideweg und habe mich für die Musik entschieden.” 

Die Sensibilisierung für Drogen im Club fordert Svanholm nicht nur ein, sie versuche sie auch während ihrer Arbeit im Krankenhaus zu leisten. Im weißen Kittel erkläre sie den Patient:innen oft, dass sie nicht nur in der Notaufnahme arbeitet, sondern auch als Techno-DJ auf Veranstaltungen spielt. „Das hat mir in meinem Beruf als Ärztin schon oft geholfen. Ich kann die Leute über meine Erfahrungen im Club aufklären und ihnen erklären, welche Auswirkungen Drogenkonsum hat, ohne sie dafür zu verurteilen.” Schließlich müsse Svanholm wissen, ob sie einer Person Morphium verabreichen sollte oder eine Narkose notwendig ist. Sie erkläre den Patient:innen auch, dass es gefährlich werden könne, wenn falsche Medikamente mit den bereits vorhandenen Substanzen im Körper interagieren. „Spätestens dann heißt es oft: ‚Oh ja, ich habe Ecstasy und Kokain genommen’”, so Svanholm.

Da während Corona kaum Veranstaltungen stattfanden, war es der Künstlerin möglich, Vollzeit im Krankenhaus zu arbeiten und am Wochenende aufzulegen. So habe Svanholm gelernt, weit im Voraus zu planen, um beide Karrieren unter einen Hut zu bekommen. Die DJ erzählt, dass vor allem die letzten fünf Jahre daraus bestanden, Zeit und Mühe zu investieren, um zu lernen, organisiert zu sein.

Aktuell befindet sich die Künstlerin noch in der Anfangsphase ihrer Ausbildung. In Dänemark müsse man zuerst ein Ausbildungsjahr absolvieren, bevor man sich für die Hauptausbildung bewerben kann, so Svanholm. Diesen Schritt wolle die Kopenhagenerin aus Liebe zur Musik und ihrer Community im Moment noch nicht gehen. „Ich stand an einem Scheideweg und habe mich für die Musik entschieden.”

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