Foto: Presse (Ron Albrecht), alle weiteren mit freundlicher Genehmigung von Ron Albrecht/Gerberei
„Auf die Residents kann man sich verlassen, persönlich und inhaltlich. Sie kennen den Club, die Gäste, die Anlage, und sie sind ein Grundpfeiler der musikalischen Identität eines Clubs, also ebenso wichtig wie die Architektur, der Raumklang oder die Gestaltung“, sagte einst Nick Höppner in der Groove. Mit unserem neuen zweimonatlichen Resident Podcast wollen wir ihnen den gebührenden Respekt zukommen lassen. Für die zweite Ausgabe lässt Ron Albrecht seine Zeit als Betreiber und Resident des Schweriner Clubs Gerberei Revue passieren.
1994 befindet sich Techno im Umbruch: Die Erfolge werden immer größer, der Mainstream fängt zu raven an. Wo sich der Underground darüber zurückzieht, beginnt er anderswo erst recht zu florieren. In Schwerin beginnt eine kleine Gruppe von Techno-Fans Partys zu schmeißen, findet bald den passenden Ort dafür feiert mit nur einer kurzen Unterbrechung lange genug weiter, als dass in der Zwischenzeit eine ganze Generation heranwachsen kann. Ron Albrecht ist einer von ihnen und in der Gereberei nicht nur als Gründer, sondern auch Booker und Resident aktiv. Er holt internationale Star-DJs und solche, die es später werden sollen, nach Schwerin und lernt dabei selbst sein Handwerk von der Pieke auf. Für seinen Beitrag zum Groove Resident Podcast hat Albrecht in zwei Stunden 26 Tracks zusammengefädelt, die den Sound der Gerberei in einen energetischen Fluss bringen. Da sind viele unumstößliche Hits dabei, aber auch die eine oder andere Geheimwaffe. Das ist die Musik, zu der Schwerin das Raven lernte.
In Bezug auf Berlin wird Techno gerne als der ultimative Sound der Nachwendezeit dargestellt. Wie war das in Schwerin, welche soziale und politische Bedeutung hatte Techno dort Anfang und Mitte der neunziger Jahre?
Für mich beziehungsweise den damals hier sehr überschaubaren, kleinen Kreis an Musikverrückten war es auch der ultimative Sound der Nachwendezeit. Es gab zu der Zeit hier nur “normale“ Diskos mit dem dazugehörigen normalen Diskothekenpublikum. Darauf hatte keiner von uns Lust. Wir wussten, gerade auch durch unsere damaligen Berliner Clubtouren in den Tresor, den Bunker, das E-Werk und so weiter, dass es da auch noch ganz was anderes gab. Techno hatte hier in Schwerin die richtigen Leute zusammen gebracht, damit zum Beispiel sowas wie die Gerberei entstehen konnte. Wir waren da natürlich auch sehr idealistisch und wollten uns vor allem vom Mainstream abheben. Es war eine verrückte Zeit, in der es anfangs hauptsächlich ums gemeinsame Feiern ging. Peace, Love and Unity, daran haben wir wirklich geglaubt.
Aus welchem Gedanken heraus habt ihr die Gerberei gegründet?
Es gab bei uns damals nie diesen einen Gedanken, wir machen jetzt einen Club auf. Anfangs waren wir zu fünft, kannten uns alle schon eine Weile und haben dazu noch Platten gekauft und in der Region schon aufgelegt. Irgendwie hat uns das aber nicht gereicht, wir wollten was eigenes auf die Beine stellen und sind dann hier immer in den alten Industrieanlagen der Stadt unterwegs gewesen, auf der Suche nach der passenden Location für eine Party nach unseren Vorstellungen. Diese haben wir in Schwerin-Görries dann auch gefunden und waren natürlich gleich Feuer und Flamme. Was wir damit lostreten würden, dass dies der Anfang einer knapp 19-jährigen Gerberei-Geschichte werden sollte, war beim besten Willen da noch nicht abzusehen.
Kannst du dich noch an den Eröffnungsabend erinnern?
Beinahe, als wäre es gestern gewesen. Wir hatten wochenlang die Location von Bauschutt befreit, gemauert, Treppen gebaut usw., sowie irgendwie alle in unserem Umfeld mit dem Virus infiziert. Damals gab es natürlich noch kein Internet, alles lief über Schwarz-Weiß-Flyer und Mundpropaganda und wir hatten ehrlich gesagt keine Vorstellung wie viele Gäste kommen würden. Insgeheim wären wir wohl mit 150 zufrieden gewesen. Wir hatten eine echt fette Anlage, Nebel, Strobo und dann kamen 500 Leute aus ganz Mecklenburg-Vorpommern. Wir waren total geflasht und konnten das kaum glauben. Nachts kam dann natürlich auch noch die Polizei, die uns trotz fehlender Genehmigung weiter gewähren ließ, wenn wir keinen Ärger machen würden. Unglaublich, aber wahr. Es war echt eine denkwürdige Party, die damals dann auch schon bis mittags ging. Nachdem wir später dann in kleinerer Runde zusammen saßen, war uns schnell klar, dass wir das unbedingt wiederholen müssten. Dafür brauchten wir dann aber einen Namen und was lag da näher, als den Club Gerberei zu nennen, da in den Räumlichkeiten ehemals ja Leder gegerbt wurde und eine Gerberei ansässig war.
1999 schloss die Gerberei zum ersten Mal, 2000 habt ihr den Club an anderer Stelle neu eröffnet. Warum war der Umzug notwendig?
Nachdem wir von 1994 bis November 1999 immer jeden letzten Samstag im Monat in der alten Location gefeiert hatten, dabei jede Veranstaltung neu bei der Stadt anmelden mussten, war dann erstmal Schluss, da der Vermieter andere Pläne mit dem Gebäude hatte. Wir hatten dort wirklich unglaubliche Nächte gehabt und unseren Traum gelebt. DJs wie ROK, DJ Hell, Wolle XDP, Electric Indigo etc. haben dann auch dazu beigetragen, dass die Gerberei auch überregional bekannt wurde. Die phänomenale Closing Party ging dann bis Sonntagabend und was danach kommen sollte, stand echt in den Sternen. Bis zum Ende dieser Zeit war ich dann auch als einziger Veranstalter übrig geblieben. Da ich aber nebenbei noch Mitinhaber eines Recordstores war und somit der Kontakt zur Szene auch weiterhin bestand, war schnell klar, dass es irgendwie weiter gehen musste. Man wurde auch permanent darauf angesprochen, es fehlte einfach etwas in der Stadt. Schnell stand also fest: Wenn, dann richtig, mit allen Genehmigungen inklusive Nutzungsänderung, Bauamt, Brandschutz und so weiter, so dass wir die Veranstaltungen nicht mehr einzeln anmelden mussten, sondern feiern konnten, wann und so oft wir wollten. So richtig ein Club halt… Mit meinen Freunden und neuen Partnern Stefan Rein und Mathias Zacharias haben wir dann eine GbR gegründet und losgelegt. Nachdem wir die neue Location gefunden hatten, lustigerweise auf dem Gelände eines altes Lederwarenwerkes – der Name Gerberei passte also immer noch perfekt -, haben wir circa 3 Monate fast Tag und Nacht mit der Hilfe von vielen Freunden durchgearbeitet und im Februar 2001 die Gerberei in der neuen Location wieder eröffnet.
Worauf hast du als Resident wert gelegt und was hast du während all der Zeit als DJ gelernt?
Da ich ja auch die ganzen 19 Jahre das Booking für die Gerberei gemacht habe, hatte ich natürlich auch bei der Wahl unserer Resident-DJs klare Vorstellungen. Erstmal waren wir alle sehr gut befreundet und sind es sogar bis heute noch. Das war mir beziehungsweise uns wichtig und hat alles auch viel leichter gemacht. Daher kann ich da sicher für uns alle als Residents sprechen. Wir sind uns da über all die Jahre treu geblieben, was unsere Liebe zur Musik betrifft. Techno, Basic Channel und Detroit waren schon unsere Eckpfeiler und trotzdem waren wir immer bereit zu experimentieren, aber immer halt mit diesem roten Faden. Später hatten wir ja dann noch unseren kleinen Floor, den Beatclub, hauptsächlich für House sowie unseren tollen Garten. Da konnten wir uns natürlich noch breiter aufstellen. Die Leute, die zu uns kamen, wussten einfach, was sie erwartet und wir konnten uns richtig austoben und dem Club somit ein Gesicht geben. Für mich persönlich als DJ war die Gerberei die perfekte Bühne. Ich habe dem Club so ziemlich alles zu verdanken und auch dort gelernt. Gerade wie zum Beispiel beim Berghain-Closing: da kann ich auch heute noch unheimlich von profitieren, dass ich jahrelang fast immer das Closing in der Gerberei gespielt habe und es auch dort schon gerne mal bis in den Nachmittag ging. Ich mochte es einfach, so lange aufzulegen, da ich dadurch natürlich auch nochmal eine ganz andere Bandbreite spielen konnte. Weiterhin auch mit dem Bewusstsein, dass der DJ am besten als Teil der Crowd auf dem Floor funktioniert und nicht als One-Man-Show. Und natürlich einfach ein Publikum auch lesen zu können und öfter mal was bei einem Set zu riskieren…
Welche Anforderungen brachte der Job des Residents für dich im Vergleich zu Gigs in anderen Clubs mit sich?
Naja, dadurch, dass ich nicht nur Resident sondern auch Veranstalter war, war es allein unter dem Aspekt schon ein ganz anderes Pensum. Man ist ja nicht nur zum Auflegen in den Club gekommen, sondern war quasi in alle anderen Sachen auch involviert. In anderen Clubs konnte ich nach meinem Set immer gehen, wann ich wollte. In der Gerberei war ich natürlich aber fast immer der letzte der das Licht ausgemacht hat… Dann, wie schon beschrieben, waren die Sets meist länger als woanders und es war unheimlich familär. Da wurde dann schon mal ein Set direkt nach der Party ausgewertet. Man kannte sich halt. (lacht) Musikalisch gab es sonst natürlich keine Unterschiede.
Gibt es eine besonders denkwürdige Nacht aus deiner Geschichte in der Gerberei?
Da gab es natürlich nicht nur eine, jedenfalls könnte ich mich da schlecht entscheiden! Unvergessen waren immer die Sets von DJ ROK, der damals in den Neunzigern echt dafür gesorgt hat, dieses Berlin-Feeling der Anfangsjahre zu uns zu transportieren. Auch als DJ war er damals für mich sowas wie ein Vorbild. Dann Aril Brikha live, die Berghain-Fraktion um Ben Klock, Marcel Dettmann, Tama Sumo, Marcel Fengler und so weiter, meine Dystopian-Kollegen Alex.Do, Rødhåd, Recondite, die Kombi Ricardo Villalobos mit den Wighnomy Brothers, DJ Hell, Electric Indigo, die Kompakt-Crew um Michael Mayer und Reinhard Voigt, Daniel Bell aka DBX, DJ Koze mit einer Setunterbrechnung für den Aufruf, abends doch noch wählen zu gehen und so weiter. Es waren einfach so viele gute Momente in den Jahren. Uns hat auch immer stolz gemacht, oftmals DJs schon bei uns gehabt zu haben, bevor der große Durchbruch kam. Anders hätten wir uns das oft auch nicht leisten können. Nur Laurent Garnier, den Traum konnten wir uns leider nicht erfüllen. Es sollte einfach nicht sein. Die emotionalste Party war mit Sicherheit das Closing 2013. Es waren wirklich alle da und es endete irgendwie Sonntagabend mit dem Wissen, das war es jetzt dann für immer. Da floss dann schon die ein oder andere Träne beim Publikum und schlussendlich natürlich auch bei uns.
Danach folgten nur vereinzelte Gerberei-Events. Hat es euch nicht mal in den Fingern gejuckt, es nochmal zu versuchen?
Nach dem Ende der Gerberei war da erstmal natürlich eine große Leere. 19 Jahre gehen da nicht spurlos an einem vorüber. Wir haben wirklich in den Jahren immer alles gegeben, sei es vom Zeitaufwand und auch in finanzieller Hinsicht. Der Club hatte schon einen immensen Stellenwert in meinem bzw. unserem Leben. Da sind dann natürlich auch viele andere Sachen zu kurz gekommen. Ich beziehungsweise wir waren dann auch alle über oder an die 40 mit den üblichen Verpflichtungen, die man sonst im Leben noch so hat wie Kinder, Familie, Job etc. Das hatte dann erstmal Priorität und war ja auch der Grund für das Ende. Gejuckt hat es ab und an natürlich schon, aber die Geschichte war dann damit auch zu Ende geschrieben. Dadurch, dass ich ja als DJ immer noch unterwegs bin, bin ich ja immer noch sehr eng dran am Geschehen, nur nicht mehr als Veranstalter. Und vielleicht gibt’s ja nochmal ne Revival Party, quasi ne Gerberei Night, wer weiß…
Wie würdest du den Status Quo der Szene in Schwerin einschätzen? Ein wirklich reichhaltiges Angebot für Underground-House- und -Techno scheint nicht zu bestehen. Mangelt es an der Nachfrage?
Klein und fein. Es gibt den tanztag. mit einem guten Booking mehrmals jährlich in einer Off-Location, die Kantine 30, das Komplex, mobile Disco und so weiter. Man kennt sich, wie das in einer Stadt mit knapp 100 000 Einwohnern so ist. Die Nachfrage ist auf jeden Fall noch da. Ob das auch für einen Club nur für Underground-House und -Techno reichen würde, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall feiern die Leute noch genauso gut wie früher und ich freue mich jedes Mal, wenn ich in meiner Heimatstadt auflegen kann.
Was war die Idee hinter deinem Beitrag für unseren Resident-Podcast?
Musikalisch zu versuchen, die 19 Jahre in einen Mix zu packen, mit vielen Highlights eben dieser Jahre und natürlich zu betonen, wie wichtig gute Residents für jeden Club sind. Damals wie heute!
Stream: Ron Albrecht – Groove Resident Podcast 2
01. Reload – Amenity (Evolution 006)
02. Beroshima – Electronic Discussion (Cloude Young Remix) (Müller 2004)
03. Claude Young – Nocturnal (Djax Up 219)
04. Accelerator – Accelerator EP (Re-Load 9410)
05. Surgeon – Dynamic Tension EP (Ideal Trax 002)
06. DJ Hell vs Richard Bartz – Take a Shot (Kurbel 007)
07. Luke Slater – Body Freefall – Electronic Inform 1 (Novamute 075)
08. Gary Martin – Pimping people in high places (Teknotika GG 030)
09. Laurent Garnier- Crispy Bacon (Aux 88 Remix) (Fcomm 055 Remix)
10. Vainquer- Lyot (Maurizio 002)
11. Mathew Johnson – Marionette (Wagonrepair 002)
12. Beroshima- Lost Freakquencies 1 (Tanjobi 003)
13. Mathew Johnson – Behind the Mirror (Sub Satic 041)
14. Extrawelt – Zu fuss Muttermix (Border Community 008)
15. Agoria- La 11eme Marche (Pias 076)
16. Slam – Stepback (Soma 021)
17. Planetary Assault Systems – Code Warrior 003 (Peacefrog PFG007)
18. Phuture – Your Only Friend (Trax UK 004W)
19. Ricardo Villalobos – 808 The Basqueen (Lo-Fi Stereo 009)
20. Psykofuk – Psykofuk (Matrix 002)
21. Brother from another planet – Planet Earth (7th City 001)
22. DJ Hell – Diese Momente (Sativae 008)
23. Green Velvet – Flash (Carl Craig Remix) (Open 018)
24. Luciano & Quenum – Orange Mistake (Cadenza 001)
25. Pwog – Rejammed (Mark Broom Remix) (KK131)
26. Theo Parrish – Falling Up (Carl Craig Remix) (Third Ear 038)