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Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch. Sie bestimmt nicht nur zunehmend unsere Hörgewohnheiten oder tradet Billionenbeträge an den Börsen. Seit knapp sieben Jahren hat sie auch ein eigenes Label, das an der Schnittstelle von Electro, IDM und Techno operiert. Ansässig in der Warp-Wiege Sheffield, wird der tonale Countdown zur Singularität bei Central Processing Unit in einem Byte Binärcode sequenziert: „Nach 256 Veröffentlichungen ist Schluss“ stellt Gründer Chris Smith fest. Und dann?
Betreiber: Chris Smith
Gründung: 2012, UK
Stil: Electro, Techno, IDM, Braindance
Künstler: Cygnus, Mikron, Tryphème, 96 Back
Größter Hit des Labels: Detromental – „Move“
Mit den seriellen, purpurnen 12″-Releases und EPs der frühen Warp-Jahre wurde Chris Smith zum Plattensammler. Angefixt von Vinyl, zu einer Zeit als erst Autechre, Aphex Twin und B12, dann aber auch Squarepusher, Speedy J und der Artificial-Intelligence-Kader elektronische Musik gänzlich neu dachten, verbrachte der DJ und Gründer von Central Processing Unit jede freie Minute im Warp Record Store in Sheffield oder legte bei regionalen Events auf. Smith war von Anfang an dabei, als die alte Stahlstadt zum Angelpunkt für Ambient und Bleep, Electro und IDM wurde. Das beeinflusste nicht nur nachhaltig seine Musik, sondern machte ihm vor allem eines deutlich: Selbst eine schnell wachsende Qualitätsschmiede wie Warp, die dieses Jahr ihren 30. Geburtstag feiert, kann nicht jeden unentdeckten Kellerproduzenten, jedes Soundgenie registrieren und groß rausbringen. Manches landete auf zum Teil sehr guten Samplern oder kam vielleicht bei Network, Ninja Tune oder R&S für ein paar Jahre unter. Anderes verschwand schlicht und ergreifend aus der schnelllebigen Szene, für die Warp ab 1995 immer weniger Clubmaxis pressen ließ. Smith wollte am unbemerkten Verlust von Talenten schon damals etwas ändern.
Stream: Detromental – „Move“
Bis zur eigens organisierten Kuration und Vermarktung sollte es trotzdem noch zwanzig Jahre dauern. Erst da hatte Smith schließlich genügend Selbstvertrauen, aber auch Verbindungen in der Szene und die finanziellen Mittel für ein derartiges Unterfangen. Durch seinen Full-Time-Job als Projektleiter an der Universität von Sheffield kam er 2012 in Kontakt mit den Köpfen des ebenfalls in der Stadt ansässigen Design-Studios Human. Die Idee eines neuen Labels kristallisierte sich in Gesprächen über elektronische Musik, KI und Medien schnell heraus, die Gelegenheit schien ideal. Nick Bax leitet das Studio und war früher bei The Designers Republic aktiv, die mit ihrem minimalistisch-konstruktivistischen Style nicht nur für die Plattencover und die visuelle Label-Ästhetik von Warp während der 1990er verantwortlich zeichneten, sondern auch für das Design der ersten drei Teile von Wipeout.
„Ich weiß noch, dass ich 1995 in der Schlange anstand, um die erste PlayStation zu kaufen. Dazu gab es Ridge Racer und Wipeout, das anschließend zu meinem absoluten Lieblingsspiel wurde“ erinnert sich Smith, der heute noch gerne zockt und sich für Virtual Reality ebenso begeistern kann, wie für die kybernetische Erweiterung des menschlichen Körpers. „Ich würde mich schon als Transhumanisten bezeichnen und hoffe, dass ich die großen Durchbrüche in dem Bereich noch mitbekomme. Obwohl es aktuell eher so aussieht, als gingen wir hierzulande wieder rückwärts.“
Dass die Köpfe von Human Design perfekt zum CPU-Konzept passen und nach wie vor ein Händchen für das Nostalgische im Futuristischen haben, zeigten dann auch die Ideen für Covergestaltung und Katalognummern: In binärer Dualschreibweise sequenziert, ohne Design, schwarz-weiß, nur mit Nullen und Einsen sowie vier Dreiecken in den Winkeln versehen. Die Cover von CPU erwecken den Eindruck einer von Menschenhand gänzlich unberührten Produktionslinie, die mit dem 255. Release endet. Dann ist das Byte wegen seiner ausschließlich binären Zeichenfolge aus Nullen und Einsen voll, alle 256 in ihm möglichen Zustände von 0 bis 255 dargestellt. „Ich bespreche das Limit von 256 Veröffentlichungen oft mit Human Studio, die ein paar Optionen für mich bereithalten, wenn es so weit ist. Bei der gegenwärtigen Rate dauert das aber noch mindestens 15 Jahre!“
Machten zu Beginn vor allem Electro-Releases mit vollmundigen Detroit-Vibes das CPU-Programm aus, versammelt Smith seit ein paar Jahren teils obskure Produzent*innen aus Braindance, IDM und Techno, die er in sozialen Medien oder einem mittlerweile verschwundenen Forum namens XL Tribe (heute findet man unter dem Titel nur noch Männermode für Übergrößen) ebenso kennenlernt, wie bei Events in Sheffield und Umgebung. Damit tritt er ganz bewusst in die Fußstapfen von Warp, die sich als Label und kreativer Katalysator im Raum Sheffield ähnlich entwickelten, bevor sie nach London und in andere Genres diversifizierten. „Ich freue mich immer, wenn CPU mit Warp verglichen wird. Das ist so ziemlich das, was ich von Beginn an wollte, nur mit einem etwas anderen Genre-Fokus. Die bisherigen Veröffentlichungen auf CPU waren dahingehend sehr organisch und viele meiner Künstler wissen genau, wonach ich suche. Dadurch gab es schon so manche geniale Empfehlung, die dann zu einem neuen Release eines Produzenten führte, den ich sonst niemals gefunden hätte.“
Drei wichtige CPU-Platten
Fah
Fahzers Set To Earth
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Albumstream: Fah – Fahzers Set To Earth
Zu diesen eher obskuren Namen gehört sicher auch der Niederländer Robin De Bekker, der beim Release von Fahzers Set To Earth im Jahr 2013 schon rund zehn Jahre als Fah aktiv war, bis dahin aber lediglich auf ein paar kleinen Netlabels wie Ronin Collective oder Envmod rumwuselte. Dass er dann bei CPU landete, war dem XL Tribe ebenso zu verdanken, wie dem Gespür von Labelchef Chris Smith für brillant texturierten Electro, umgesetzt mit einem umfangreichen Repertoire analoger Synthesizer und Drum Machines (u.a. TB-303, TR-808, SH-101). Für die Kuration des CPU-Programms sind Aspekte von Harmonie und Melodie bis heute wichtiger Bestandteil – und irgendwie auch integrales Zeichen von Bewusstsein. „Ich habe eine Schwäche für Melodien. Irgendwo muss ich auf jeden Fall eine Art Musikalität heraushören, selbst wenn sie abstrakt ist, ich muss Menschlichkeit wahrnehmen“ sagt Smith. Das CPU-Debüt von Fah erfüllt diesen neben der Label-Ästhetik paradox erscheinenden Anspruch zweifellos, kann aber darüber hinaus auch tatsächlich mit den üblicherweise referenzierten Altgrößen mithalten. Manchmal klingt es wie Dan Curtin oder Dopplereffekt, verneigt sich aber auch ganz klar in Richtung Underground Resistance und Jeff Mills und ist das, was ältere Semester wohl zurecht immer noch „Classic Techno“ taufen würden.
Goto80
Floptrik
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Stream: Goto80 – First of Trade.
Deutlich experimenteller in der Klangsynthese und härter im Sound ist Anders Carlssons Floptrik, mit dem er als Goto80 auch ein neues, kaum noch genutztes Format bei CPU einführte: Die 3,5“ Floppy Disc. „Eigentlich wollten wir das Album auf 5 ¼ Zoll Floppys anbieten, aber die kann man leider nicht mehr in großen Mengen kaufen“ stellt Smith zum 46. Release von CPU fest. Floptrik ist eigentlich ein 170kb großes Commodore-Image, das nach einer kurzen Installation die eine Hälfte der gemasterten Tracks inklusive CBM-ASCII-Visuals (8-Bit-Variante des ASCII-Standards für Zeichenkodierung, Anm. d. Red.) abspielt, die andere Hälfte aber als generative Musik jedes Mal neu synthetisiert. Überraschenderweise klingt das gesamte Album mit seinen schneidenden Bleeps und durch die Mangel gedrehten Varietäten alter NES-Soundtracks durchweg sehr heavy bis fokussiert – und entpuppt sich schließlich als der ausgefeilteste Chiptune, den Goto80 bis heute produziert hat.
Mikron
Severance
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Stream: Mikron – „Lyre“
Schon 2016 bewiesen Mikron mit ihrem Warning Score eine selten gewordene Treffsicherheit, wenn es um hochmelodische, satt produzierte Arrangements in bester Warp-Tradition geht. Anfang dieses Jahres markierte Severance nicht den im Titel steckenden Bruch, sondern die nächste Entwicklungsstufe des Duos. Die wurde dann vielleicht etwas zu schnell mit den ersten drei Autechre-Alben und Boards Of Canada verglichen, kann sich aber gerade in puncto Atmosphäre und Klangfarben immerhin an solchen Namen messen lassen. Spätestens nachdem man lächelnd im ätherischen IDM von „Lyre“ oder „Sunken Paths“ ertrunken ist, möchte man sich aber für das reflexhafte Hochziehen der Augenbraue bei solchen Referenzen energisch entschuldigen. Sicher hat das Ähnlichkeiten mit den Lichtfiguren des Genres, doch Mikron denken diesen Sound weiter und entfachen hier in Fusionen von Ambient Techno, Braindance und Electro wieder diese alte Euphorie, die Labels wie Axis oder Warp vor fast dreißig Jahren bei einer neuen Generation von Hörer*innen so virtuos zu channeln wussten – und das war bei CPU schließlich von Anfang an der Plan.