Foto: Katharina Schäffer.
Die Deindustrialisierung hat das Antlitz des Ruhrgebiets verändert: Fabriken wurden geschlossen, Zechen stillgelegt, die Gebäude abgerissen. Nicht so die Zeche Zollverein: Dort fordern industrielle Hallen wie die Mischanlage geradezu heraus, dass eine Technoparty stattfindet. Die Macher von The Third Room haben diese Vision Realität werden lassen. Vergangenen Samstag tanzten rund 800 Leute zu Efdemin, Helena Hauff und Oscar Mulero. Wir sind hingefahren und fanden einen stabilen Rave vor.
Riesige Trichter aus Beton hängen auf nahezu bedrohliche Weise über den Tänzer*innen. Junge, gestylte Raver*innen bewegen sich sportlich neben aufgeputschten Atzen. Hochgewachsene Nerds stehen eher zurückhaltend neben Männern mit ergrauenden Bärten. Links und rechts dieses in vielerlei Hinsicht durchmischten, tendenziell männlichen Publikums erstrecken sich die rauen Betonwände der Halle in die Höhe. Hinter den Boxentürmen blitzen Laserstrahlen in Grün, Rot, Blau hervor. Und zwischen ihnen wiegt, nein, schüttelt sich Efdemin im Takt zum kompromisslosen Techno, den er gerade auflegt.
Diese Szenerie bot sich einem am vergangenen Wochenende am Rande Essens dar. Die Partyreihe The Third Room, aus dem Dunstkreis des Essener Clubs Studio heraus entstanden, hatte zu ihrer zweiten Veranstaltung in diesem Jahr an einen besonderen Ort geladen: Die Mischanlage in der Kokerei der Zeche Zollverein. Eine Location, die in ihrer Monumentalität und Brachialität den industriellen Vibe hat, der dank Warehousepartys und Berghain zur Idealvorstellung für eine Technoparty avanciert ist.
Bis 1986 wurde an ebender Stelle, die nun Tanzfläche war, die Kohle verschiedener Herkunftsorte zusammengemischt, um sie im Komplex daneben zu (schwarzem) Koks zu verarbeiten. Seit 2001 nun gehört das Gebäude, zusammen mit dem gesamten Areal der Zeche Zollverein, zum UNESCO-Weltkulturerbe. Dementsprechend schwer war es, eine Genehmigung für die Party zu bekommen, so Ahmet Sisman, einer der Mitbetreiber der Partyreihe. „Erklär’ erstmal den Politikern, dass Techno Kultur ist“, erzählt er, während er aus sicherer Entfernung das Geschehen beobachtet. Was Entscheidungsträger*innen in Berlin schon begriffen haben, musste er mühsam in vielen Treffen mit der Stiftung, die sich um das Areal kümmert, erklären. Schließlich überzeugte er doch.
Das Provisorische hat Charme
Aber auch nach dem Genehmigungsprozess macht der Titel des Weltkulturerbes es nicht gerade einfacher, in der Mischanlage einen Rave zu veranstalten. Alles ist provisorisch, nichts darf bleiben. Das hat einerseits einen gewissen Charme: Die einfach zusammengestellte Bar am Rande der Tanzfläche, der spärlich möblierte Eingangsbereich – in seinem Übergangscharakter hat das was von einem spontanen Rave, wie es sie zumindest in Berlin immer weniger gibt. Es ist das Gegenteil eines durchdesignten Clubs, während die Essentials – Sound, DJ, Licht – trotzdem hohen Ansprüchen genügen.
Die vielbeschworene Ehrlichkeit und Bodenständigkeit des Potts, man meint sie auch hier zu spüren.
Andererseits führt genau der Aufwand, jedes Mal alles aufzubauen und die (nach Angaben der Veranstalter nicht gerade geringe) Miete zu zahlen, zu finanziellen Zwängen, die dem Event stellenweise einen kommerziellen Anstrich geben. An der Bar beispielsweise bezahlte man mit Karten, die man zuvor für ihren Gegenwert von 10 oder 20 Euro erwerben musste. Seinen Drink mag man dann schneller bekommen – den eventuell übrig gebliebenen Restwert hat sich sicherlich nicht jeder übernächtigte Gast vor dem Weg nach Hause erstatten lassen. Zudem die Preise leicht über dem deutschen Durchschnitt lagen. Auch der Preis an der Abendkasse war mit 25 Euro nicht gerade günstig, wenn auch die frühen Vögel mit 13 Euro besser davonkamen.
Doch wer von Spontanbesuchen oder allzu vielen Drinks (oder beidem) absehen konnte, hatte mit dem Event einen stattlichen Rave von einem Ausmaß, der nicht gerade Alltag ist im Ruhrgebiet. Der eine Faktor sind 800 Menschen, die alle ziemlich Bock haben. Das sieht man an den überwachen Gesichtern. Man hört es aber auch: Auf dem Klo grölt ein Mann immer wieder „I Like To Move It, Move It / I Like To Move It, Move It“, bis irgendwann schließlich alle einstimmen. Während Efdemins Set wird immer wieder laut gejohlt. Diese Begeisterung und Motivation fühlen sich im Vergleich zu so manchen Berufsraver*innen in Berlin, die das Ausgehen zur volloptimierten Routine gemacht haben, wie ein erfrischender Kontrast an. Die vielbeschworene Ehrlichkeit und Bodenständigkeit des Potts, man meint sie auch hier zu spüren.
Die Musik passt zur Szenerie
Dazu der beeindruckende Raum und vor allem: Musik, die perfekt zur Szenerie passt. Efdemin köchelte nach dem Warmup der Residents Someone Outside und Ahmet Sisman die Stimmung schnell auf Peaktime hoch. Und da war es gerade mal halb drei. Die Übergänge waren kaum hörbar, das Set eine dickflüssige Mischung aus reduzierten, detroitigen Melodien und Industrial-Anleihen. Oscar Mulero im Anschluss fügte sich da leider etwas weniger nahtlos ein. Er fuhr das Tempo runter und seine schnörkellose, aufgeräumte Trackauswahl nahm zunächst einmal gehörig Energie raus. Bis sich das Publikum daran gewöhnt hatte, waren schon einige gegangen.
Passionierte Gäste blieben, bis Helena Hauff gegen sieben Uhr übernahm. Zunächst knüpfte sie grob an Mulero an: Dunkler, harter Techno, lediglich eine ganze Spur knüppelnder. Sie nahm den Industrial-Faden von Efdemin wieder auf, sponn ihn jedoch in sehr viel dunklere Gefilde weiter. Nach und nach erst streute Hauff ihre notorischen Electro- und Breakbeat-Tracks ein und schweißte damit die Verbliebenen zu einem begeisterten Kern zusammen.
Begeisterung – das ist es, was sich durch die stimmige Dreifaltigkeit aus Musik, Publikum und Location zog. Es hilft, über Minuspunkte wie die Preise oder auch die verbesserungswürdige Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr hinwegzusehen. Denn letztendlich war The Third Room in der Mischanlage vor allem eines: Ein stabiler Rave.