Jeden Tag werden DJ-Mixe ins Netz geladen. Manche sind besser, manche sind schlechter und nur wenige werden uns jahrelang begleiten. Jeden Monat sucht das Groove-Team die fünf besten des vorangegangenen Monats aus, präsentiert in alphabetischer Reihenfolge. Diesen Monat mit Cera Khin, JASSS, Mozhgan, Pearl Vision und Rena Volvo. Und wer danach noch nicht genug hat, schaut einfach mal beim Groove-Podcast vorbei.
5Cera Khin – FACT Mix 692
Auf ihrem Label hat Cera Khin neben einer Kollaboration mit Ossia auch eine Platte von Peder Mannerfelt sowie ein Split-Mixtape mit der wieder höchst aktiven Digital Hardcore-Legende Christoph de Babalon veröffentlicht. Klarer Fall: Die in Berlin lebende Produzentin steht eher auf verquere Entwürfe der Clubmusik, die auf flatternde Breaks zurückgreifen und viel Hubraum für Subbässe lassen müssen. Ihr Mix für den Podcast des britischen FACT Magazines bietet von beidem Zuhauf – und noch viel mehr.
Angefangen mit einer abstrakten Eigenproduktion namens “Neon Tokyo” setzt der Mix langsam an, baut über Tracks von Logos und Marc Acardipanes Cypher-Alias irisierende Spannungen auf. Doch lang bleibt das nicht so. Bereits vor der Zehn-Minuten-Grenze wummern Hardcore-Kickdrums, umgarnt von kreischenden Geräuschen und irrlichternden Percussions – Percs “Hyperlink”.
So mäandert Cera Khin weiter zwischen slickem Sounddesign und harten Rave-Attacken hin und her, als würde sie die Hoffnungen der frühen Rave-Generation in ein zeitgenössisches Narrativ übertragen wollen. Das gelingt ihr, insbesondere im furiosen Ende: Ein gemeinsamer, Noise-inspirierter Track von ihr & Ossia bereitet Lyra Valenzas “January Airdrop” vor, dessen gleichermaßen von Trance und SND beeinflusster Drive alle Spannungen in Ekstase auflöst. Kristoffer Cornils
4JASSS – Dekmantel Podcast 217
JASSS’ Mix beginnt mit Motorengeräuschen, die langsam in Ambient übergehen, ehe sich ein lebhafter, poppiger New Wave-Beat aus der Klanghülle schält. Die Spanierin hat hier definitiv einen der stärksten Opener seit Langem gefunden. Diese außerordentlich euphorische Grundstimmung konserviert die Inhaberin einer Säule-Residency aber keineswegs über die gesamten 70 Minuten. Abrupte Übergänge münden in atemberaubendem Tempo in hektischen FaltyDL-Tracks, das Set gerät mehr und mehr zu einem Feuerwerk der Reizüberflutung. Wenige Minuten nachdem beispielsweise Breaks von Journeyman & Barrcode eine Zäsur markieren, bewegt sich das Set mit Anthony Linnells „Therme“ schon wieder in die entgegengesetzte Richtung. Auch wenn JASSS hier beileibe keine Easy Listening-Erfahrung serviert – an allen Ecken lauern Bleeps und ständig fliegen Störgeräusche durch den Äther –, gelingt es ihr eindrucksvoll, den Hörer nicht zu überfordern, sondern bei der Stange zu halten. Eine Leistung, die angesichts der etlichen Stile, die sie hier verwebt, nicht hoch genug bewertet werden kann. Maximilian Fritz
3Mozhgan – @Nachtdigital Flex
Erinnerungen können trügerisch sein, speziell bei Musik. Wie oft schon war man von einem Track oder einem DJ-Set begeistert, nur um im Nachhinein bei erneutem Anhören festzustellen, dass es vielleicht doch nicht so toll war. Dass vielleicht die Stimmung, Emotionen, Drogen oder schlicht die Magie des Augenblicks besser waren als die Musik an sich. Mozhgans Set vom vergangenen Nachtdigital Festival im Norden Sachsens ist inzwischen ein gutes halbes Jahr her – genug Zeit, um subjektiv eingefärbte Erinnerungen verblassen zu lassen und den nun veröffentlichten Ausschnitt aus ihrem Set rein musikalisch beurteilen zu können. Und tatsächlich, es hält dem Urteil stand. Über 2,5 Stunden lang schafft es die in San Francisco lebende DJ mithilfe von sehr acid-lastigen Tracks, aber auch einem starken Wave- und Industrial-Einschlag eine energiegeladene Spannung aufrechtzuerhalten. Im Prinzip der in letzter Zeit omnipräsente Cologne-Slow-Sound mit ein paar BPMs mehr. Die Übergänge sind dabei fließend und gleichzeitig dickflüssig wie zäher Kaugummi; das trägt dazu bei, dass sie langsam aber sicher immer noch einen draufzusetzen scheint. Platz für in sich gekehrte Momente bleibt dennoch. Inmitten all der sorgfältig ausgewählten Podcast-Mixe sticht diese Live-Aufnahme mit ihrer spontanen Energie umso deutlicher heraus. Cristina Plett
2Pearl Vision – EPM Podcast #114
Tindra und Dany Rodriguez sind zwei belgische Technoveteranen, die schon in den neunziger Jahren auf der Mayday und im Fuse Club aufgelegt haben. Dieses gemeinsame Set macht Spaß, weil die beiden gar nicht erst versuchen, ein bestimmtes Profil zu definieren, um sich im globalen Konkurrenzkampf der DJs zu behaupten. Eher geht um das, was ihnen am aktuellen Technogeschehen Spaß macht. Pearl Vision starten mit dem launischen Shoegaze House von Ross From Friends, der am Anfang der Nacht die Tagstimmung nachhallen lässt. Robag Wruhme wechselt das Register und räumt den Grooves die Vorherrschaft ein. Mit Andrejko & Subjected befinden wir uns schon mitten in einer düsteren, kathartischen Technoerfahrung. Schluckend unterwerfen wir uns dem unerbittlichen Diktat der martialischen Bassdrum und sind erleichtert, dass Radio Slave diesem Kellerrave eine präzis gesetzte, behutsam dosierte Funkinfusion verpasst. Mit Blawan reißen die beiden das Ruder ins Intellektuelle, um mit der Gelassenheit von Samuel L. Session gegenzusteuern. Oscar Mulero nimmt den atmosphärischen Faden des Mixes wieder auf, der knirschende Maschinenfunk von Robert Hood setzt einen ersten Höhepunkt. Mit Mark Broom und Truncate geht es rasant weiter bis sich die beiden mit sphärischen, treibenden Eigenproduktionen verabschieden. Alexis Waltz
1Rena Volvo – Ashorecast #74
Das DJ-Kollektiv ashore setzt sich aus gleich drei DJs aus dem Groove-Umfeld zusammen: dem ehemaligen Redakteur Sascha Uhlig alias Basco, Regina Lechner alias Zola und Jan Rödger alias Whatwhatwhat. Der hauseigene Podcast ihres Blogs fokussiert sich überwiegend auf Berlin und nimmt junge DJs ins Auge, ohne die das Nachtleben der Stadt nur halb so bunt wäre. Rena Volvo hat für die 74. Ausgabe ihren ersten Mix überhaupt abgeliefert und ordentlich Bock: In über 110 Minuten geht es mit der Mitveranstalterin der monatlichen Party-Reihe SUA ONDA im Kreuzberger Monarch wild und quer durch die Genres, Zeiten und Kontinente. Jazziger Funk, melodramatische Töne aus Brasilien, dubbiger New Wave aus Japan, Neunziger-R’n’B, Italo, B-Boy-Hymnen, Electro Funk: Alles dabei, alles liebevoll aneinander geschnürt und trotz seiner heterogenen Zusammensetzung einmalig konsequent in einen Fluss gebracht. Hier gibt es also einiges zu entdecken – allem voran eine junge DJ, die Berlin sich auf den Zettel schreiben sollte. Eleganter lässt sich so eine Feuertaufe schließlich nicht bestehen. Kristoffer Cornils