Kryptische Botschaften aus einer dunklen Moderne sendet das Düsseldorfer Duo Strafe Für Rebellion (bzw. Strafe F.R.) seit vierzig Jahren. Sie sind seither kontinuierlich aktiv, obwohl in ihrem Veröffentlichungskatalog eine fast zwanzigjährige Pause klafft. Seit kurzem mehren sich die Lebenszeichen jedoch wieder und mit The Bird Was Stolen (Touch) geben sie nach all der verlorenen Zeit ein ziemlich definitives Statement ab, dass die verschiedenen Phasen ihres experimentellen und jegliche Formatierung scheuenden Wirkens Revue passieren lässt und nahtlos weiterführt. Das Album sammelt vorwiegend filmisch dräuenden Dark Ambient mit aggressiven und disruptiven Sounds, aber auch avantgardistische Sound-Collagen mit eingefrorenen Industrial-Beats und -Dubs. Am Polarkreis von Dub findet sich das Berliner Duo Driftmachine ebenfalls bestens zurecht. Ihr viertes Album Shunter (Umor Rex) nimmt ihre bekannten Motive und Werkzeuge – Hüllkurven-Dubs und tonnenschweres, Feedback-sattes Modularsynthesizer-Donnern – auf und führt sie in Regionen existentieller Finsternis und Kälte die sie bislang noch nicht aufzusuchen wagten. Ein heftiger psychedelischer Trip kurz vor dem Umkippen in Paranoia.
Stream: Driftmachine – Shift IV
Wenn sich vergrübelte und vorwiegend jungmännliche Innerlichkeit in überwältigenden Soundmaximalismus übersetzt, der alle Register zieht, die zu ziehen sind, und keine Scheu hat, diese auch eindeutig als Pathos decodieren, dann sind wir uns in der Postrock-Zone. Der Schotte Ben Chatwin ist ein neuer Meister dieser Disziplin. Sein drittes Album Staccato Signals (Village Green) versteht das Genre elektronisch. In seinen unüblich kurzen Tracks ist in konzentrierter Weise angelegt, was in diesem Rahmen möglich ist. Electronica-Dramen und Neoklassik, kleine Beats und große Gefühle. Im Begleittext zu seiner jüngsten Veröffentlichung seiner 1-Mann Band aMute kokettiert der Belgier Jérôme Deuson ein wenig damit, doch ein so unsteter Musiker zu sein. Dabei ist die Unsicherheit doch gerade die Grundlage für die Freiheiten, die er sich herausnimmt. Dem Album hört man das allerdings gar nicht unbedingt an. Some Rest (Humpty Dumpty Records) bespielt das wohlbekannte Feld elektronischen Postrocks mit cinematisch breitwandiger Dramaturgie. Die Anarchie und die Abwege liegen im Detail. So kann eine epische instrumentale Pop-Ballade unvermittelt in einen Hall-Drone mit mysteriösen Radiomeldungen zerlaufen um dann nach zwölf Minuten doch noch das große Rockpathos rauszuholen, welches sich dann final in Gitarrenfeedback zerlegt. Und das ist nur das erste Stück des Albums. Das ist dann doch ziemlich beeindruckend für einen Solokünstler.
Marc Euvrie alias The Eye Of Time ist in der mittleren Folge seiner schwer ambitionierten und programmatischen Trilogie zum Thema Mythos angekommen. Darin beschäftigt er sich unmissverständlich mit dem Verhältnis von Spiritualität und Moderne. Wo es im ersten Teil um die karge Resthoffnung ging, die Religion unserer heutigen säkularen Gesellschaft noch anbieten kann, sucht MYTH II: The Need To Survive (Denovali) individuellere Wege aus Depression, Isolation und Einsamkeit. Nämlich die Möglichkeit von Liebe und Intimität vor dem Hintergrund allgegenwärtiger Krisen, von Krieg, Flucht und Umweltzerstörung, welche Tracktitel und Cover andeuten. Die Umsetzung dieser hoffnungsvoll dystopischen Soundscapes verlässt sich weniger auf neoklassische Vignetten als der erste Teil. An ihre Stelle tritt ein mit Pathos und Energie aufgeladener Postrock-Sound, der alle dunklen Register zieht und in seiner Aufsässigkeit hin und wieder an Euvries Sozialisation in der Hardcore/Punk-Szene Frankreichs erinnert. Ein tief beeindruckendes Dokument innerer Zerrissenheit und Angst, das aber Schönheit und Nähe zulassen kann. Ein seltenes Gut in dieser Männerwirtschaft.
Video: The Eye Of Time: MYTH II (Trailer)
Die auf altbewährten Instrumenten eingespielte Mischpoke aus romantischen Pianoetüden und melodramatischen Soundtracks, leicht avantgardistischen neuen Tönen und etwas Jazz wird mangels genauerer Bezeichnungen gerne als „Neo-Klassik“ zusammengefasst. Sie klingt akustisch (muss es aber es nicht wirklich sein) und wirkt irgendwie altbewährt. Diese Neo-Klassik ist ein entfernter Verwandter der oben vorgestellten Sorte Post-Rock, abzüglich aber des Männerschmerzes. Ein gar nicht so heimlicher Star der Szene ist Dirk Maassen, der eher in den ersten beiden der oben erwähnten Stile heimisch ist. Sein Album Avalanche (Maassen Music) wandelt auf den Pfaden von Chilly Gonzales. Also kleine feine Solo-Piano Stücke, zwischen Spätromantik und Lounge-Jazz, die dann im Zweifelsfall aber doch von einer großen Besetzung, hier dem Filmorchester Babelsberg, unterfüttert werden. Auf der anderen Seite spielt sich Nodding Terms (Col Legno) von Ketan Bhatti ab. Er macht Neue Musik mit Groove. Also leicht atonale Tonschnipsel die zu Techno rhythmisiert sind. Bhatti ist dabei ähnlich streng wie Brandt Brauer Frick (die neben den deutsch-isländischen Neutönern vom Ensemble Adapter hier auch mitspielen) also nur so mittelstreng. Live vermutlich noch viel besser als auf Tonträger konserviert, was ebenso für Maassen gilt.
Der preisgekrönte britische Cellist Oliver Coates liegt im Sentiment und in der Außenwirkung irgendwo zwischen den Bhatti und Maassen. Shelley’s on Zenn-La (RVNG Intl., VÖ 8. September) ist sein drittes Album als Komponist und Solokünstler. Es zielt gleichermaßen auf die Versöhnung wie die Verwirrung von Avantgarde-Anspruch und Akzeptanz im Mainstream. Da stehen dann feine Glitch-Popsongs mit zerhackter Frauenstimme neben wabernden Analogsynthesizertracks, Instrumental-Hip-Hop und Amateur-Drum’n’Bass hinter melancholischen Cello-Skizzen. Ein wenig wie Oneohtrix Point Never mit „richtigen“ Instrumenten und einer akademisch geschulten Kompositionstechnik. Die Stücke kollidieren ziemlich heftig. Das aber auf genau ausbalanciert Weise. Es funktioniert auf Albumlänge richtig gut. Coates großer Durchbruch scheint in greifbarer Nähe. Dass er schon jetzt von Radiohead-Sänger Thom Yorke als Vorprogramm zu dessen Solotournee engagiert wurde, spricht klar dafür.
Stream: Ketan Bhatti – Modul 5