Der Zugang des Fossil Aerosol Mining Projects zu Dark Ambient ist da schon klassischer. Kein Wunder, das anonyme Kollektiv aus dem ländlichen Illinois arbeitet seit Anfang der Achtziger Jahre und von einer breiteren Öffentlichkeit weithin unbemerkt an der Transmutation von Industrial zu Ambient. Vor ein paar Jahren wurden sie von ein oder zwei Generationen jüngeren Musikern und Labelmachern wie Philip Jeck oder Félicia Atkinson wiederentdeckt, und veröffentlichen seither wieder kontinuierlich. August 53rd (Helen Scarsdale) fügt sich perfekt in ihre jüngere wie ältere Diskographie ein: geologisch-hydrologischer Noise trifft hier wie immer auf interessante medienarchäologische Ausgrabungen. Das britische, vor einigen Jahren nach Thailand expatriierte Duo zK ist noch nicht ganz so lange dabei, kann aber in der Form von Bandhälfte Mark Godwin immerhin eine Vergangenheit als Tontechniker bei den Genre-Pionieren Coil vorweisen. Ihre seltenen Lebenszeichen wie jetzt Last Night (Hallow Ground) geben der Stilrichtung einen starken Dreh ins Bizarre. Mit allen genreüblichen Wirkstoffen von den unverständlichen Funksprüchen bis zum elektrifizierten Scharnierquietschen zelebrieren sie eine weniger düstere als schaurig-schöne Electro-Psychedelik.
Stream: zK – Fleshpotting
Ein feinherber Überblick über vorwiegend aber nicht nur skandinavisch dunkle Töne zwischen Industrial, Post-Club Trap und avancierter Sample-Elektronik findet sich auf der dänischen Kompilation I Could Go Anywhere, But Again I Go With You (Posh Isolation), die zudem beweist, dass es auch in den weniger gut beleuchteten Ecken der Popmusik möglich ist, via Internet-Meme viral zu gehen. Mal davon abgesehen dass hier auch sonst alles stimmt. Yair Etziony, Berliner DJ, Soundartist, Produzent und False Industries-Labelmacher aus Tel Aviv arbeitet sich auf Deliverance (False Industries) am biblischen Konzept der Erlösung ab. Der Gravität des Themas angemessen ist das Album düsterer und widerspenstiger geworden als seine bisherigen Techno-, Electronica- und Nu-Disco Projekte es vermuten lassen. Industrialscharfer grobkörniger Noise und griesgrämig brummende Synthesizerseufzer bekleiden kongenial verschattete Klangräume. Auch die Soundscapes des Belgischen (jetzt Berliner) Cellisten und Gitarristen Koenraad Ecker sind oft wenig behaglich oder kuschelig. A Biology of Shadows (In Aulis), auch das Debüt von Eckers erstem eigenen Label, erzeugt eine soundtrackartige Electronica aus dem Geiste von Free Jazz. So etwas wie eine verdichtete und verdüsterte aber musikalisch und strukturell befreite Fortführung seiner Auftragsarbeiten für das belgische TV (in den neueren belgischen Krimi- und Drama-Serien die jüngst z.B. auf Arte und ZDFneo zu sehen waren taucht sein Name fast immer in den Credits auf). Das polnische Duo Nanook Of The North (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen schwedischen Duo – das kommt davon wenn man sich nach einem Stummfilmklassiker benennt) ist neu, die Beteiligten Stefan Wesolowski und Hatti Vatti dagegen wohlbekannt im Dark Ambient- und Neoklassik-Business, zum Beispiel als Instrumentalisten bei Jacaszek. Ihr Debütalbum Nanook Of The North (Denovali) drückt den Emotions-Fundus alter und neuer Soundtracks mit den Mitteln moderner elektroakustischer Komposition und dystopischer Clubmusik aus. Von den hier vorgestellten Varianten der Schattenwerferei ist dies wohl die Electronica und Pop am nächsten liegende.
Stream: Nanook Of The North – Arfernat
Bunt blinkende und vielfach verstöpselte Modularsynthesizer-Schrankwände sind neben ihrer Funktion als beeindruckende Soundmöbel auch die perfekten Werkzeuge um ein wenig klangliches Charisma in die aktuelle elektronische Musik zurückzubringen. Ihr körniger Vintage-Sound, reich an Rauschen und absichtslosen Nebengeräuschen, wird unwillkürlich als „organisch“ und „warm“ wahrgenommen. So ist die Renaissance der voluminösen Analogmaschinen eine verspätete Antithese zum CD-digitalen Festplattensound der frühen Nullerjahre. Dan Abrams a.k.a. Shuttle358 aus Los Angeles kultiviert auf Field (12k) gerade das Unbewusste dieser Art von Klangerzeugung. Seine freundliche Electronica stellt das Knistern und Ploppen der analogen Maschinen, Kabel und Filter in den Mittelpunkt seiner feinen Ambient-Tracks. Bei der Synthesizercombo The Nightcrawlers aus Philadelphia (nicht zu verwechseln mit den britischen Eurodisco-House Produzenten, den „Push the Feeling On“-Nightcrawlers) war das Lo-Fi-Rauschen noch ungewollter akustischer Beifang, trägt aber doch immens zur Atmosphäre der kosmischen Space-Kraut Sounds des Trios bei. Die fette Reissue-Box The Biophonic Boombox Recordings (Anthology Editions) der 1979 bis 1990 aktiven US-amerikanischen Nightcrawlers versammelt ihre wichtigsten und heute sehr raren Tape-Veröffentlichungen. Der Sound der Nightcrawlers war weniger wollpullovrig als der ihre deutschen Krautkollegen von Cluster, Ash-Ra Tempel oder Tangerine Dream. Sie haben immer auch die Arbeiten ihrer Zeitgenossen von Industrial, New Wave bis Dark Ambient mitverfolgt und verarbeitet. Das verbindet sie mit dem französischen Musique Concrète-Komponisten Laurent Perrier. Der versucht sich unter dem Alias Heal an den Modularsynthesizern von Buchla und Mutable. Wie Perriers Industrial-Vergangenheit bei Nox und seine Experimente in Glitch und Klangcollage nahelegen, wabert auch sein Ausflug in die Synthesizerwelt Espace d’incertitude (Sound On Probation) nicht ganz so kosmisch kuschelig wie sonst im Genre üblich. Perriers Loops ehren den Sägezahn und sind immer scharf geschnitten. Die Sunspots (Northern Spy) die Jeff Snyder aus den Buchla-Synthesizern des Klanglabors der Princeton University zieht sind ähnlich weit von kosmischen Krautklängen entfernt. Der smarte Komponisten und Synthesizer-Designer geht mit knusprigem Noise und sägenden Drones an die Grenzen der historischen Maschinen. Nicht zuletzt in der doch recht modernen Form der semi-interaktiven Web-Installation.
Stream: The Nightcrawlers – Luv-Li Music