Foto: Stini Roehrs (Hanno Leichtmann)
100 Minuten, 0 Sekunden, 0 Milisekunden: Es gibt sie noch, die hart auf Kante geschnittenen Mixe. Diesen hat Hanno Leichtmann aufgenommen, um sich thematisch der Tagung 100 Jahre Beat im Berliner Haus der Kulturen der Welt zwischen dem 26. und 29. April 2018 anzunähern. 100 Jahre Beat feiert, der Name macht das wunderbar transparent, die Einführung des Schlagzeugs in seiner (immer noch) konventionellen Form auf den Massenmarkt und bringt MusikerInnen zusammen, die weder konventionell noch auf den Massenmarkt zugeschnitten sind. Zwischen Auftritten von Jlin und Tony Allen wird auch eine Arbeit Leichtmanns zu begutachten sein. Voerst aber gibt es in Leichtmanns Mix jede Menge Schlagwerk jenseits der Norm zu hören – von Free Jazz zu Andrew Pekler, von Madlib zu Stockhausen.
Bei 100 Jahre Beat wird deine Soundinstallation “Skin, Wood, Traps” zu erleben sein. Worum genau handelt es sich dabei?
Das Schlagzeug, so wie wir es heute kennen, mit Bassdrum, Hi-Hat, Snare, Toms und Becken, wurde in dieser Form erstmals 1918 von der Firma Ludwig auf den Markt gebracht. Diesem Jubiläum wollte ich mit einer einer Klanginstallation huldigen. Die Installation ist die neueste Installation aufgrund von Archiven. Hier: ausschliesslich Schlagzeug- und Perkussionssounds, vereinzelt auch Rhythmen aus 100 Jahren Schlagzeug und Perkussionsgeschichte, gespielt von den SchlagzeugerInnen die mich im Laufe der Zeit inspiriert haben oder es immer noch tun. Meine Installation ist Remix, Collage und Hommage zugleich.
Mit SY-4 veröffentlicht das Tapeworm-Label demnächst eine andere Klanginstallation von dir, die du 2017 vorgestellt und dem SY-1 Syncussion Drum Synth gewidmet hattest. Warum ausgerechnet dieses Instrument und was war das Konzept der Installation?
Die Pearl Syncussion SY-1 war der Namensgeber meines SYN/CUSSION Festivals für Schlagzeug und Perkussion, beinhaltet es doch den Syntheziser und die Perkussion in einem Wort. Die Syncussion ist eines der ersten Instrumente, die ich mir in Berlin gekauft habe und die eigentlich in allen meinen Produktionen und Bandprojekten eingesetzt worden ist. Sie ist aus meinem Studio nicht wegzudenken, zuletzt prominent eingesetzt auf meinem Techno- und Electro-Projekt Gesetz der Oktaven – ein neues Release erscheint im Mai auf Third Ear Recordings. So dachte ich für das Festival ich setze ihr ein akustisches Denkmal, indem ich eine Installation ausschlieslich mit SY-1 sounds mache. Das Tape auf Tapeworm ist eine erweiterte Version und ein Stereomix dieser Vierkanal-Installation (A-Seite) sowie einer Session bei meiner 4DSOUND-Residency in Budapest (B-Seite).
Dein 100-minütiger Mix in Vorbereitung auf das Festival setzt einen merklichen Akzent auf Schlagzeugrhythmen, geht aber quer durch die Musikgeschichte und diverse Stile. Wie hast du die Tracks ausgewählt und den Mix aufgenommen?
Ich habe Lieblingsstracks mit Schlagzeugern oder Perkussionisten ausgewählt, die mir immer noch wichtig sind. Ich habe bewusst Allgemeinplätze wie CAN, James Brown, Fela Kuti, ESG, Yo la Tengo, Joy Division und so weiter ausgelassen, um unbekanntere und noch nicht oft gehörte Tracks auf dem Mix zu haben. Trotzdem sind Jaki Liebezeit, Clyde Stubblefield, Stephen Morris und so weiter natürlich große und wichtige Drummer. Am meisten habe ich mich mit Schlagzeugmusik befasst, als ich selbst noch hauptsächlich Schlagzeug gespielt habe. Die meisten impulse bekam ich damals durch Jazz, Free Jazz, No Wave und Neue Musik, später auch durch Krautrock, Weltmusik, elektronische Musik, etc. Zwischen den Tracks, die mich inspiriert haben, sind auch welche von mir oder von Bandprojekten, bei denen ich als elektronischer oder akustischer Drummer zugegen war oder bin.
Mit Vu de l’exterieur hast du gemeinsam mit dem diaphanes-Verlag eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, zur ersten Ausgabe waren Lucrecia Dalt und Jan Jelinek eingeladen. Welchen Plan verfolgt die Serie und wie geht es in Zukunft damit weiter?
Das Konzept der Reihe, die ich für den Espace diaphanes gemacht habe, ist es, jeweils MusikerInnen aus dem bereich der sogenannten Berliner Echtzeitmusikszene sowie aus der Elektronikszene an einem Abend im diaphanes Headquater am Oranienplatz zusammenzubringen. Es gibt immer ein elektronisches Konzert und danach ein Listening-DJ-Set. Der erste Abend war unglaublich toll und ich freue mich auf fünf weitere. Nächstes Date: 1. Juni mit Marta de Pascalis live und Boris Baltschun als DJ.
Demnächst erscheint ein neues Album von dir auf Karlrecords. Was können wir von dem erwarten?
2016 habe ich im Auftrag des Darmstädter Musikinstituts das komplette Archiv der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik zu einer Installation und einem Hörstück „geremixt“, das heißt ich habe aus 70 Jahren Neue Musik-Aufnahmen, -Diskussionen, -Konzerten, etc. eine 70-minütige Sechskanal-Installation gemacht. Aus diesem Material habe ich für Karlrecords eine 46-minütige LP-Version als Stereo-Mix gemischt. Die Installation und die Platte heissen Nouvelles Aventures-, wie das Ligeti-Stück, weil ich den Titel auch aus dem Archiv nehmen wollte und weil es für mich die Essenz der Neuen Musik zwischen 1950 und 1980 darstellt: “Auf zu neuen (musikalischen) Abenteuern!” Klangbeispiele und mehr Infos zu den installationen finden sich auf meiner Homepage.
Stream: Hanno Leichtmann – 100 Jahre Beat Mix
01. Hanno Leichtmann – Primitiva
02. Ed Blackwell & Don Cherry – El Corazon
03. Nino Rota – Satyricon
04. Forest Jackson – Cymbalism
05. Lino Capra Vaccino – Antico Adagio
06. Ravi shankar – Chappaqua Suite
07. Aphex Twin – Computer Controlled Acoustic Instruments Pt. 2
08. Eric Dolphy – Out to Lunch
09. David Moss – Terrain/My Favorite Things
10. Popol Vuh – Affenstunde
11. African Head Charge – Bellinda
12. Johnny Mandel – I Want to Live OST
13. Groupshow – Live at Skymall
14. Tony Allen – Asiko
15. Paul Lovens/Thomas Lehn – Achtung
16. Frank Zappa – Lumpy Gravy
17. Pierre Bastien – Machines
18. Radian – Transistor
19. Herbie Hancock – Blow Up
20. Andrew Pekler – False Dawns, etc.
21. John Zorn – Feet Music
22. Ennio Morricone – Piaccaggio
23. Charles Mingus – Solo Dancer
24. Madlib – Electric Company
25. Karlheinz Stockhausen – Mikrophonie
26. Denseland – Rrack It
27. Miles Davis – On the Corner Sessions
28. Art Ensemble of Chicago – Funky Aeoc
29. Heiner Goebbels – Der Mann im Fahrstuhl
30. Valerio Tricoli & Hanno Leichtmann – Unreleased (Soon on entr’acte)
31. The Doors – The End
32. Hanno Leichtmann – Nouvelles Aventures (Soon on Karlrecorcs)
Groove präsentiert: 100 Jahre Beat
26. bis 29. April 2018
Line-Up: Hanno Leichtmann, Anke Eckardt, N.U. Unruh, Marcos Suzano Trio, Terri Lyne Carrington, Karl Bartos, Canalón de Timbiquí, Jlin, Theo Parrish, Goat, Tony Allen u.v.m.
Tickets: Tagesticket ab 10€. Festivalpass 30€
Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin