Wo bin ich? Immer wieder taucht diese Frage in All Things Remembered, der zweiten Autobiografie von Goldie (nach Nine Lives von 2003), auf. Und nicht nur die Drum’n’Bass-Koryphäe fragt sich das. Beim Lesen der 51 Kapitel, deren Anzahl den Lebensjahren von Clifford Joseph Price entspricht, wundert man sich nicht selten darüber, welche thematischen Pirouetten er innerhalb der kurzen Abschnitte dieser fragmentarisch erzählten Collage einer Biografie vollzieht. Er springt hin und her, zieht Linien von der Gegenwart aus, die die verschiedenen Zeitebenen verknüpfen. Glücklicherweise führt der Verzicht auf eine klare chronologische Struktur nicht zu Frustration, sondern zu unterhaltender Irritation, wenn man bereit ist, die Passagen als Momentaufnahmen stehen zu lassen.

Goldie schreibt keine historisch akkurate Geschichte von Drum’n’Bass oder seinem Label Metalheadz – auch wenn beides immer wieder vorkommt. Er erzählt seine persönliche Geschichte. Über seine Kindheit in Pflegefamilien und Kinderheimen, über Missbrauch und erste Erinnerungen an Musik, über die Zeit in den USA, wo er als Graffiti-Writer in der Bronx unterwegs war und in Miami lernte, wie man Grills herstellt, also den Goldschmuck für die Zähne, den er selbst trägt. Er spricht immer wieder von Musik als Zeitmaschine, verknüpft assoziativ Ereignisse der Vergangenheit, die nicht selten traumatisch waren, mit seinem gegenwärtigen Blick auf die Welt, auf Yoga, Kunst, Drogenabhängigkeit, Familie, Politik, seinen Umzug nach Thailand und sein in diesem Jahr erschienenes Album The Journey Man.

In Zusammenarbeit mit dem Autor Ben Thompson ist so eine kurzweilige Sammlung von Impressionen entstanden, dessen plauderhaft rollender Stil das Gefühl vermittelt, unmittelbar mit Goldies Augen auf sein Leben zu blicken. Das ist häufig nicht leicht zu verstehen und gerade deshalb lesenswert. Auch wenn Goldie hin und wieder mit Bestimmtheit Weisheiten lehrt, macht er am Ende kein Geheimnis daraus, dass er wie viele andere ein Mensch mit Narben ist, der immer wieder heraus finden muss, wo er eigentlich steht.

Die Autobiografie Goldie: All Things Remembered (304 Seiten) erschien bei faber & faber.

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