Woche für Woche füllen sich die Crates mit neuen Platten. Da die Übersicht behalten zu wollen, wird zum Fulltime-Job. Ein Glück, dass unser Fulltime-Job die Musik ist. Jeden Monat stellt die Groove-Redaktion zur Halbzeit fünf ganz besondere Alben vor, die es unserer Meinung nach wert sind, gehört zu werden. Dieses Mal mit Acronym, Claro Intelecto, Damiano von Erckert, James Holden & The Animal Spirits und Prins Thomas – ganz neutral in alphabetischer Reihenfolge.

5. Acronym – Malm (Field Records)

Seit ziemlich genau fünf Jahren veröffentlicht der schwedische Produzent mit dem Alias Acronym nun schon seinen emotionalen Techno. Zunächst auf der eigenen Plattform Dimensional Exploration, später auf Semantica oder Northern Electronics, wo er von Abdulla Rashim und Varg zum einem der spannendsten Crew-Mitglieder protegiert wurde.

Auf seinen bisherigen LPs bewegte sich Acronym mit ausbalancierter Dynamik zwischen empfindlichem Ambient, modernen Deep-Techno-Mysterien und clubfunktionaler straightforwardness. Auf dem Charakterlabel Field Records erscheint nun sein viertes Album Malm, das mit seinen zehn beatlosen Stücken eine „homage to one of his lost friends, who was torn between his dualistic nature“ darstellt. Zwischen rudimentärer Percussion und zerfließenden Pad-Nebelschwaden erschaffen wundervoll kontemplative, zum Teil dämmergraue Soundscapes eine emotionale Dichte zwischen Paralyse und Weltflucht.

Mit seiner konzeptuellen Schwermut ist Malm nicht nur eine sinnlich-ätherische Angelegenheit, sondern eines der einnehmendsten Ambient-Alben des auslaufenden Jahres. (Sebastian Weiß)

4. Claro Intelecto – Exhilarator (Delsin)

Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum: Es war ein schwaches Techno-Jahr. Irgendwo im Niemandsland zwischen Back-to-the-Roots-Versuchen mit EBM-Flavour, Analogfetischismus und dystopischen Zukunftsvisionen sowie höchstens mal dem einen oder anderen Breakbeat zwischendurch zeigte sich das Genre festgefahrener denn je zwischen eisigem Traditionalismus und verblichenen Zukunftsvisionen. Dass Claro Intelecto als ständiger Zwischen-den-Stühlen-Sitzer ausgerechnet jetzt zurück kommt, kann also eigentlich nur ein gutes Zeichen sein. Denn zwar hat Mark Stewart nun nie wirklich Techno im klassischen Sinne produziert, aber gerade das braucht es vermutlich im Jahr 2017.

Exhilarator ist genauso aufregend und beglückend, wie sein Titel verspricht, zumindest so aufregend und beglückend wie es im quasi-orchestralen Setting nur möglich ist. Denn Claro Intelecto heißt 2017 vor allem: Mehr ist mehr, und das auf allen Ebenen. Mehr Melancholie, mehr Wucht, mehr Miteinander der einzelnen Teile, mehr Stilwechsel innerhalb der einzelnen Tracks und mehr Überforderung auf lange Strecke. Klar: Diese Platte will keine Geschichte von A nach B erzählen und dabei Umwege über dieses oder jenes Ambient-Interlude gehen. Was diese Platte stattdessen möchte, ist die ganze Welt zu umarmen, sie einmal richtig auszuquetschen und das Destillat gleichmäßig all over the place zu verteilen.

Exhilarator schafft aus dem Randbereich von Techno genau das, was Techno zuletzt nicht mehr zu gelingen schien: Eine neue musikalische Sprache für eine neue Zeit zu finden. Willkommen zurück, Mark Stewart. (Kristoffer Cornils)

3. Damiano von Erckert – In Case You Don’t Know What To Play (Ava)

Auf dem dritten Album des Wahlparisers Damiano von Erckert liefert er wofür seine bisherigen Produktionen und sein Label bekannt sind: disco-lastiger House im Geiste Detroiter Legenden wie Theo Parrish und Moodymann, dem mit „Tribute To A Hero“ gleich ein ganzer Track gewidmet wurde.

Einflüsse aus der Hip Hop-Szene versucht von Erckert ebenfalls nicht zu verstecken: seine Sample-Technik und die rohen Kickdrums klingen stellenweise nach seinen Labelkollegen Hodini oder Tito Wun. Bis auf Intro und Outro bleibt er aber dem House mit tanzbaren Geschwindigkeiten um die 120 bpm treu. Warme Flächen und euphorische Piano-Riffs machen seine Tracks zu dem, was beim Auflegen sein selbst gestecktes Ziel ist: die Tänzer glücklich machen und eine gute Zeit zu haben.

Eingebettet ist das Album in ein interdisziplinäres Kunstprojekt: Mit In Case You Don’t Know What To Do erscheint Ende November eine Trilogie aus einem von von Erckert gestalteten Bild, einem Film und dem Album. (Christoph Umhau)

2. James Holden & The Animal Spirits – The Animal Spirits (Border Community)

Kaum ein erfolgreicher Techno-Produzent hat im Laufe seiner Karriere so eine radikale Wandlung vollzogen wie James Holden. Mittlerweile hat er seine DJ-Tätigkeit ganz an den Nagel gehängt und wer den mittlerweile 38-jährigen Briten live sehen möchte, kann das nicht mehr in Clubnächten tun, sondern bei ausgewählten Konzerten. Dabei hat Holden sozusagen den entgegengesetzten Weg eingeschlagen, wie seine Freunde Kieran Hebden alias Four Tet und Dan Snaith alias Caribou, die sich in den letzten Jahren immer mehr für Dance-Musik interessiert haben. Das Interesse Holdens an der Live-Improvisation dürfte nicht zuletzt 2011 geweckt worden sein, als er unter anderem gemeinsam mit Hebden und Snaith einige Auftritte als Mitglied des Caribou Vibration Ensemble hatte. Sein letztes Album The Inheritors vor vier Jahren überzeugte bereits mit Solo-Improvisationen am Modular-Synthesizer.

Für sein neues Albums hat er nun eine fünfköpfige Band – The Animal Spirits – gegründet, unter anderem mit Tom Page von RocketNumberNine am Schlagzeug und Etienne Jaumet am Saxofon. Eine Woche dauerten die Aufnahmen, wobei jedes Stück jeweils in einem Take live und ohne anschließende Nachbearbeitung am Computer aufgenommen wurde. Das Resultat ist eine Mischung aus Spiritual Jazz und Kosmischer Musik mit dem Synthesizer als Leadinstrument, die man so tatsächlich noch nicht gehört hat. Unter anderem liegt das auch an einer selbstgeschriebenen Software, die den Sequencer von Holdens Synthesizer an die Impulse des Schlagzeugs anpasst – und nicht umgekehrt. Zu den Höhepunkte auf The Animal Spirits zählen die Stücke “The Beginning & End of the World” und das finale “Go Gladly Into The Earth”. Hier wird man Zeuge einer Spielfreude, die ihre Kraft gleichermaßen aus hypnotischer Ruhe und entfesselter Improvisation bezieht. (Heiko Hoffmann)

1. Prins Thomas – 5 (Prins Thomas Music)

Nach seinem Konzept-Ambient-Doppelalbum Principe del Norte vom vergangenen Jahr kehrt Prins Thomas nun wieder zu seiner numerischen Titelgebung zurück. Man weiß ja im Groben, was man von dem norwegischen DJ und Produzenten erwarten kann und auch 5 fällt nicht groß aus der Reihe. Prins Thomas hat ja schon vor einiger Zeit den sympathisch daddelnden Disco-Sound seiner Anfangstage hinter sich gelassen und eine musikalisch reichhaltigere Sprache entwickelt. Und so hört man auch auf 5 beatlosen Cosmic-Ambient, Einflüsse aus der Minimal Music, Italo, Folk und Acid.

Besonders gelungen ist seine Musik dann, wenn wie auf dem großartigen “Bronchi Beat” die Vintage-Synths so souverän melodiös, konzentriert und zugleich komplex aufspielen, als hätten Stereolab zur Zeit von Dots & Loops doch noch ihr Herz für House-Music entdeckt. Wobei die Musik auf 5 selbst meilenwert von klassischer House Music entfernt ist. Die Stücke sind wohl zeitgleich mit der Arbeit an Square One entstanden, das Album, das er im Sommer zusammen mit Bjørn Torske eingespielt und veröffentlicht hat. Manche der Track hat Thomas im Bett während einer Bronchitis unter dem Einfluss starker Medikamente fertig gestellt – die fiebrige, leicht halluzinatorische Grundstimmung des Albums ist eine sehr schöne Ergänzung des expandierenden Prins Thomas-Universum. (Thilo Schneider)

Vorheriger ArtikelKevin Saunderson: “Ich hatte keine Ahnung, was Rassismus war!”
Nächster ArtikelKiNK: Trackpremiere von “Throwing Elbows”