Meine dritte Station ist das Dystopian-Office in Berlin-Mitte. Neben der Labelarbeit werden hier mittlerweile 18 Künstler verbucht. Ich sitze mit Mike am großen Esstisch. Neben uns sitzt sein Manager, der zugleich das Label organisiert und mit Mike seit vielen Jahren befreundet ist. Er schreibt E-Mails und macht ab und zu eine Bemerkung. Mikes erste Musikerinnerung ist Kraftwerks The Mix. Die Kassette ließ sein Vater laufen, als die Familie in den Urlaub fuhr. „Im Zweiergolf. Das war unser erstes Westauto“, lacht er. An der Schule im Berliner Bezirk Hohenschönhausen gab es „ein paar Punker, ein paar Nazis und ein paar Raver“, und im Großen und Ganzen ging es friedlich zu. Mit 13 oder 14 begann Mike, mit Skatern und BMXern abzuhängen. Manche waren etwas älter und gingen schon raven. Einer besaß Reloop-Plattenspieler und einen Mixer und zeigte ihm, wie man auflegt.

Mikes erster Bezugspunkt im Berliner Nachtleben war das Casino in der Greifswalder Straße. Dort erlebte er den Paul Kalkbrenner vor „Sky & Sand“, der dort live mit der 909 spielte, und den ungestümen Techno von Tok Tok. Ebenso wichtig waren die Pulse-Open-Airs in Werneuchen und Raves in den Reinbeckhallen. „Seit zehn Jahren gibt es in Berlin keine großen Raves mehr, ich meine richtige Raves, mit Schwitzen die ganze Nacht in irgendwelchen Warehouses oder Off-Locations“, sagt Mike: „Ich komme aus einer Raveszene. Ich würde schon sagen, dass ich Raver bin. Ich fand das immer geil, so eine große Masse von Menschen. Alles so halb offiziell, halb geheim. Damals war die Aufmerksamkeit für Technomusik auch noch eine andere.“

Parallel zu Techno war Mike in der Graffiti-Szene unterwegs. Beim Sprühen lernte er viele Leute kennen, die aus anderen Bezirken kamen. Mikes Dystopian-Mitstreiter erinnert sich an diese Zeit: „In der Graffiti-Szene hieß es immer: Der Weg ist das Ziel. Man war immer von A nach Z in ganz Berlin unterwegs. Als ich im Osten auf irgendwelchen HipHop-Partys unterwegs war, habe ich gehört, dass es diesen Typ gibt, der auch auflegt. Was legt der denn auf? Techno. Parallel dazu habe ich mitbekommen, dass es auf Technopartys viel angenehmer zugeht, weil die Leute sich nicht permanent auf die Schnauze hauen. Und wir haben begriffen, dass es im Graffiti-Kontext viel geiler ist, auf Technopartys zu gehen. Die gehen nämlich zwölf Stunden. Da konnte man immer mal rausgehen und ein neues Graffito malen und dann wieder zurückkommen.“ Lachen. „Das Graffiti-Ding hat viele Leute zusammengebracht. Dabei kamen wir alle aus ganz guten Elternhäusern.“ Mike ergänzt: „Das war die Rebellion dagegen.“

In dieser Zeit legte Mike noch schnellen, harten Techno auf: „Das war richtiger Schranz. Mit 145 BPM und Attacke“, sagt er. Diese Musik lief nach der Jahrtausendwende ins Leere und Mike verlor das Interesse am Ausgehen. „Mit richtigem Techno ging es dann bei mir erst wieder los, als ich angefangen habe, ins Berghain zu gehen. Das war 2006 oder 2007. Da wehte ein frischer Wind. Das ist doch eigentlich das, was wir immer wollten: schön abraven. Du kennst das ja selber, wenn man zum ersten Mal die Treppe hochkommt und denkt: Ey Alter, was ist das denn hier?“

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