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Zeitgeschichten: Jean-Michel Jarre & Vangelis

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Soundtracks waren die Rettung, denn für viele Synthie-Epos-Pioniere waren die 80er eine Wildnis. Die zunehmende Allgegenwart elektronischer Klänge und Rhythmen in der Popmusik nahm ihrer Arbeit fast jegliche Zukunftsschock-Aura. Hardcore-Fans hielten ihnen durch die 80er die Treue, und viele von ihnen wurden selbst zu Kultstars, etwa Steve Roach. Obwohl Tangerine Dream und andere in Deutschland weiter beliebt waren, verschwanden sie im Rest der Welt von der Bildfläche. Eine Organisation verlor nie ihren Glauben an diese Musik: Ultimate Thule, ein Plattenladen und Mailorder-Vertrieb in Leicester, England, gegründet von den Brüdern Steven and Alan Freeman. Der Name kam von einer Tangerine Dream-Single aus den “pink years” der Band. Die Freeman-Brüder verlegten außerdem Audion, eine Zeitschrift, die sich allem widmete, was mit Cosmic zu tun hatte und europäisch war. Ebenso wie die Omnipräsenz von Synthesizern in der Musik der 80er war der Übergang der Synthie-Götter selbst von analoger Technologie zu Digital-Keyboards, Fairlight-Samplern, Sequenzern und MIDI-Technologie keine leichte Aufgabe und resultierte oft in einem klinischen und standardisierten Klang, der in Sachen Klangpalette und Texturen den klassischen Analogwerken nicht das Wasser reichen konnte. Jean-Michael Jarre konnte mit Zoolook (1984), einem Album, das intensiv auf den Fairlight-Sampler setzte, mit zwiespältigem Ergebnis, seinen Riesenerfolg nicht mehr fortsetzen und erholte sich kommerziell nie wieder davon, auch wenn er als Live-Künstler weiterhin immer größere Events veranstaltete.

1989 trat das Erbe der 70s-Synthie-Götter an einem sehr unwahrscheinlichen Ort zutage: Londons Dance-Szene. Ein DJ namens Dr. Alex Paterson betrieb die bahnbrechende Chillout-Zone Land of Oz, eine Zuflucht für Raver in Paul Oakenfolds berühmtem Spectrum-Club, die sich etwas zu viel Acid (House) gegönnt hatten und dort ihre Synapsen von Ambient-Musik streicheln lassen konnten – etwa Steve Hillages Rainbow Dome Musick, ursprünglich 1979 für ein New Age-Festival aufgenommen. “Als ich das erste Mal im Oz war, spielte Alex Rainbow, aber über Beats gemixt”, erinnert sich Hillage. Ein weiterer Favorit von Paterson war E2-E4, ein Album, das Manuel Göttsching von Ash Ra Temple 1981 aufgenommen hatte, kurz nachdem er mit Klaus Schulze auf Tour gewesen war, und das ein paar Jahre später auf Schulzes Inteam Records-Label veröffentlicht wurde. E2-E4 war ein einziger 60-minütiger Track aus tröpfelnden Elektro-Beats und flatternden Synthies, und die sanfte Euphorie dieses Werks passte perfekt zur Ecstasy-Stimmung. 1989 wurde eine House-lastige Version des Tracks namens “Sueno Latino” zu einer Hymne der Rave-Szene.


Stream: Manuel Göttsching – E2-E4

Rainbow Dome Musick und E2-E4 spannten die Brücke von den Synthie-Göttern der 70er zur Post-Acid-House-Kultur aus Chillout-Zones und “electronic listening music”, die in den frühen 90ern aufblühte. Eine neue Generation von Künstlern trat auf den Plan – Mixmaster Morris, Sven Väth, Biosphere, The Future Sound of London, Pete Namlook und vor allem Alex Patersons eigene Gruppe The Orb –, die unüberhörbar in der Schuld von Schulze, Tangerine Dream und all den anderen stand, denn sie erbte nicht nur deren Texturen, sondern auch deren Liebe für Konzeptalben und lange Tracks, ihre pompösen Ambitionen und ihre Tendenz zu mystischem Kitsch.

Nachdem er im Land of Oz seine Elektronikteppiche über kickende Beats drapiert gehört hatte, ging Hillage ein Licht auf, und er stürzte sich mit seiner Partnerin Giraudy und dem neuen Projekt System 7 in die Techno-Welt. Schulze kollaborierte mit Pete Namlook, der in den 80ern in der Elektronik-New Age/Jazz-Fusion-Band Romantic Warrior gespielt hatte, bevor er ein Techno-DJ wurde. Das Duo nahm einige Alben auf, allesamt Pink Floyd-Hommagen und auf Namlooks Frankfurter Fax-Label unter dem Titel Dark Side of the Moog veröffentlicht. „Plötzlich war ich der Pate von Trance und Ambient, oder deren Papst“, erinnert sich Schulze. „Ich fühlte mich geehrt.“ Auch wenn der Chillout-Boom nach ein paar Jahren abflaute, blieb der Einfluss der 70s-Synthie-Götter in der Trance-Musik ungebrochen, wo Musiker wie Cosmic Baby sich auf Tangerine Dream beriefen. Chris Franke trug anderweitig zur Dance-Kultur bei, indem er Tangerine Dream in den späten 80ern verließ, um für die Elektronikfirma Steinberg zu arbeiten und bei der Entstehung von CUBASE, der virtuellen Studiotechnologie, zu helfen, einer der wichtigsten Entwicklungen des elektronischen Musikmachens in den 90ern.

Von einer jungen Generation drogenbenebelter Technophiler geschätzt und bestätigt zu werden, hat den Überlebenden der 70er frischen Wind gegeben, und dieser neue Schub hat noch nicht nachgelassen. Die meisten sind nach wie vor in der Musik aktiv. Hillage und Giraudy nehmen immer noch als System 7 und Mirror System auf. Tangerine Dream veröffentlichen weiter regelmäßig Alben, und nach Jeanne D’Arc 2005 folgt nun zum 40. Bandjubiläum Madcap’s Flaming Duty, während Froese jüngst ein Soloalbum zu Ehren von Salvador Dalí auf den Markt brachte und gerade den letzten Teil eines dreiteiligen Projekts fertig gestellt hat, das von Dantes Göttlicher Komödie inspiriert ist. Vangelis nimmt sporadisch Filmsoundtracks auf, während sein Gesamtwerk in einem massiven Reissue-Programm neu erscheint. Jean-Michel Jarre gibt weiterhin Megakonzerte, wenn auch – zumindest im Vergleich zu früheren Events – im etwas kleineren Maßstab, zuletzt vor 100.000 Polen zum 25. Jubiläum von Solidarnoscz, ein Ereignis, das in der Danziger Werft stattfand, wo die Bewegung einst ihren Anfang nahm. Klaus Schulze wiederum veröffentlichte zuletzt Moonlake – sein 101. Album. Größe, sowohl des jeweiligen Albums als auch des Gesamtwerks, ist ganz offensichtlich nach wie vor das Markenzeichen des Synthie-Epos-Genres!

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