Da hat er sicherlich irgendwo recht. Ein derartiger, fast schon beängstigender Konsens, wie er heute über Drum & Bass besteht, war damals definitiv nicht gegeben. Und mit Reprazent sind die Crossover-Aussichten denkbar günstig – zumal der gut geölte Apparat von Talkin’ Loud im Hintergrund steht. Doch wer im Vorfeld New Forms schon als faden Aufguß des Full Cycle-Sounds in schlaffen Acid Jazz-Schläuchen apostrophiert hat, muß sich eines besseren belehren lassen. Obgleich man dem Talkin’ Loud-Rahmen irgendwo entgegengekommen ist, indem man sich reichlich jazzy gibt und gar mit Vokalisten, dem Rapper Bahamadia sowie der Sängerin Onallee, zusammengearbeitet hat, läßt die Bristol-Crew in den Beats wie gewohnt die Muskeln spielen. So plakativ wie wenig originell es sein mag, daß sie ihr Tun auf New Forms als “21st Century Soul” bezeichnen, so zutreffend ist es andererseits.

“Ja, Mann. Die Leute hatten angesichts von Talkin´ Loud so einiges erwartet”, sagt Roni Size. “So dachten viele, daß die Reprazent-Geschichte bestimmt komplett kommerziell ausfallen könnte, also nicht mehr als eine Ansammlung von billigen Popsongs sein würde. Aber genau da kommen wir nun mal nicht her. Wir könnten sowas niemals machen, auch wenn wir es wollten. Unsere Musik kommt direkt aus unserem Inneren. Sie ist roh, und die Beats sind ungehobelt. Manche Tunes bestehen nur aus einer Bassline und den Drums. Und genau das ist das grundlegende Konzept hinter unserer Musik. Unsere Musikinstrumente bleiben der Sampler und der Technics 1210er. Das war schon so, als noch gar niemand an Jungle oder Drum & Bass dachte. Jetzt haben wir zwar mit Sängern zusammengearbeitet, aber trotzdem gehen wir mit den Stimmen nicht anders um als mit Samples. Sie sollen mit den Beats verschmelzen. Okay, jetzt sind wir halt bei Talkin´ Loud – na und?! Leute wie Paul Martin und Gilles Peterson sind außerdem nicht ohne Grund in der gesamten Musikwelt angesehen.” Und Krust fügt hinzu: “Genau, sie sind wirklich ernsthaft bei der Sache. Wir haben da schon ganz andere Erfahrungen gemacht. Mit Talkin’ Loud konnten wir von Anfang an auf einer 1:1-Basis verhandeln. Wenn du mit ihnen über Musik sprichst, egal über was, wissen sie im allgemeinen gleich Bescheid.”

Man fühlt sich bei Talkin’ Loud also gut aufgehoben, schließlich hat man es mit aufrichtigen Musikliebhabern zu tun. Als solche verstehen sie sich ja auch. Und das beschränkt sich bei DJ Krust und Roni Size nicht allein auf das Drum & Bass- oder Jungle-Universum. Richtiggehend ins Schwärmen geraten die beiden, wenn es um alte Rare Groove- und Soul-Platten geht. Klar, da hat jemand wie Gilles Peterson natürlich sowieso gewonnen. So wichtig für sie Old School-HipHop und die Achtziger generell waren – James Brown und die JB´s sind für sie noch immer die Größten. Die Art und Weise, wie James Brown mit zwei interagierenden Drummern arbeitete, ist in Roni Sizes Augen schlichtweg revolutionär gewesen.

“Wie James Brown seine Stücke arrangiert hat, wie Lyn Collins ihre Gesangseinsätze gedroppt hat, das ist immer noch ziemlich einzigartig”, erzählt Roni Size ganz begeistert. “Für unsere eigene Musik ist das ein Rieseneinfluß gewesen, weil es rein gar nichts mit einer konventionellen Songstruktur zu tun hat – also nicht erst die üblichen vier Takte und dann den Baß kommen lassen oder so. Wir haben immer versucht, so abzugehen, wie es James vorgemacht hat, 1,2,3,4 und dann: bäng! Diese ganze Soul-Ära ist für uns ungeheuer wichtig gewesen, genauso wie in den Achtzigern die Rare Groove-Zeit. All diese Rare Groove-Tunes hatten so derart abgefuckte Basslines. Und trotzdem waren sie irgendwo immer sweet. Billig wirkte das dennoch nie. Die besten Stücke waren die, wo sie nur mit einer Hi-Hat, einer Snare und der Bassdrum gearbeitet hatten. So minimal wie es war, so unglaublich war der Effekt.”

Krust murmelt versonnen: “Ja, Mann, da gab es schon so ganz bestimmte Tunes.” Was folgt, ist eine hübsche, kleine Namedropping-Lawine inklusive Vorsingen und Beat-Imitieren – bis sich Roni Size mit “Paul Revere” von den Beastie Boys in die Achtziger vorgearbeitet hat: “Das hat nämlich genauso funktioniert.” Von “Paul Revere” ist der Weg zu viel gesampleten Helden wie Schoolly D natürlich nicht mehr weit. Doch genau hier setzt Roni Size zu seiner Generalabrechnung gegenüber der leichtfertig mit der Geschichte umspringenden Jugend ein. “Wir können uns mit all diesen Sachen noch wirklich identifizieren, weil sie ein Teil unserer Vergangenheit sind”, stellt er klar. “Aber überleg’ doch mal – die jüngere Generation verwendet auch Scholly D-Breaks. Nur wissen die wenigsten von ihnen, daß das, was sie da im Sampler haben, ursprünglich ein Schoolly D-Break ist. Ich finde, man sollte nur dann etwas benutzen, wenn man zu dem Vibe des Originals ein Verhältnis hat. Ich mag es nicht, wenn man sich so unverfroren und gedankenlos in der Geschichte bedient.”

Womit wir wieder bei Reprazent wären. Was da repräsentiert werden soll, ist nichts weniger als die gemeinsame Vergangenheit von Roni Size, DJ Krust, DJ Die und Suv. Ähnliche Erfahrungen und eine nicht gerade in üppigen Verhältnissen zugebrachte Jugend haben die vier über die Jahre fest zusammengeschweißt. Reprazent hat also den Anspruch, jene Geschichte zu erzählen, nach der sie auf der ganzen Welt gefragt werden, Stichwort Bristol. Da kommt man an den fast schon romantisch verklärten, von den späteren Massive Attack organisierten Wild Bunch-Partys oder an Traditions-Crews wie Smith & Mighty natürlich nicht vorbei. “All das ist in Reprazent drin”, so Roni Size. “Das Album ist nicht allein ein Statement zum Hier und Jetzt. New Forms repräsentiert die Ära, aus der wir kommen: All die Festivals, den Notting Hill Carnival, den Funk, die Breakbeat-Ära, die verdammte Soul II Soul-Zeit oder die frühen HipHop-Tage.”

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