Und was ist mit diesem bis zum Erbrechen wiedergekäuten Pressemärchen, dem vielbeschworenen Bristol-Vibe? Liegt der da wirklich für jeden greifbar in der Luft? Oder ist für den Full Cycle-Sound nicht doch eher, so nüchtern das jetzt erscheinen mag, die schnöde Tatsache der Randlage abseits der Hauptstadt verantwortlich? Wenn überhaupt… Roni Size lacht: “Stop! Bevor du jetzt weiter irgendwelche Mutmaßungen anstellst… Bei diesem Thema wollen uns nämlich Leute aus der ganzen Welt erzählen, was sie darüber denken. Punkt eins ist: Wir haben es nicht geplant, in Bristol geboren zu werden. Bristol bietet sehr wenige Möglichkeiten zur Ablenkung. Ich würde sogar sagen, daß es wahrscheinlich kaum einen Platz auf der Welt gibt, wo weniger geboten ist. Große Plattenfirmen, Magazine oder Radiosender gibt es bei uns sowieso nicht. Wir hatten nicht mal Piratensender oder Fanzines, und die Clubszene ist auch noch nie überwältigend gewesen. Eigentlich ist Bristol eine langweilige Stadt. Natürlich gibt es hier und da etwas. Aber alles bewegt sich in einem sehr überschaubaren Rahmen. Alle Leute, die etwas mit Musik zu tun haben, kennen sich persönlich. Daß es so wenig gibt, kann einen logischerweise ganz schön abtörnen. Aber genau diese Frustration kann wiederum die Triebfeder dafür sein, daß man seinen Arsch bewegt. Und daß es keine Radiosender oder Zeitschriften gibt, hat insofern etwas Gutes, als daß man in dieser Stadt weitaus weniger dem Geschmacksdiktat eines kleinen Personenkreises ausgesetzt ist. Außerdem fällt die Hektik der Großstadt, wo jeder gegen jeden arbeitet, weg.”

Und Krust fügt hinzu: “In Bristol hat man traditionell so eine “scheiß’ drauf”-Haltung. Wenn schon nichts los ist, müssen wir eben selbst dafür sorgen, daß etwas passiert. Seit jeher haben wir unsere eigenen Partys veranstaltet. Wir haben uns eine Anlage geliehen und die dann dort, wo es sich gerade angeboten hat, hingestellt – ganz gleich, ob das nun ein Warehouse oder der Keller einer Privatwohnung gewesen ist. Wir haben von A bis Z alles selbst gemacht: Die Werbung, die Flyer und so weiter. Daraus haben sich über die Jahre die Strukturen einer Szene herauskristallisiert. Für die Grundhaltung der Leute in Bristol ist dieses Do-it-yourself-Ding noch heute ganz entscheidend.”


Stream: Roni Size & Die – Music Box

Die Szene in London war weit weg. Hilfreiche Kontakte waren nicht in Sicht. Folglich häuften Roni Size und DJ Krust einen Track nach dem anderen an. Über eine etwaige Veröffentlichung machte man sich nicht allzu viele Gedanken. Das änderte sich erst, als Bryan Gee vom Londoner Label V Recordings über einen gemeinsamen Freund an ein Tape der beiden gelangte. Das Resultat waren auf Vinyl gepreßte Smashs wie “Jazz Thing” oder “Music Box” – beide wirbelten in der Hauptstadt einigen Staub auf. Nachdem man feststellte, daß sich nicht alles, was man produziert hat, für eine Veröffentlichung auf V Recordings anbot, beschloß man, mit Full Cycle den Schritt zum eigenen Label zu wagen. “Bryan Gee hat uns von Anfang an geholfen, wo es nur geht. Mittlerweile sind wir in der Szene vollkommen akzeptiert”, sagt Roni Size. “Tja, so wie es aussieht, haben wir ein Monster erschaffen.”

Inzwischen haben sowohl V Recordings als auch Full Cycle Nachwuchs bekommen – ersterem wurde die auf die Jump-Up-Crowd zielende und eher HipHop-orientierte Plattform Philly Blunt beigefügt, und auf dem hauseigenen Sublabel Dope Dragon produzieren DJ Krust und Roni Size unter den Pseudonymen Mask und Gang Related wahre Feuerwerke von Rave-Slammern. Roni Size umschreibt den Dope Dragon-Sound mit seinen rollenden Beats schlicht als “the music of now.” Und DJ Krust legt offenbar großen Wert darauf klarzustellen, daß sie niemals eines der vier Labels im Kopf haben, wenn sie die Knöpfe ihres Studioequipments bearbeiten. “Wir machen einfach Musik”, sagt er. “Am Ende kann alles mögliche dabei herauskommen. Dieses Stil- und Schubladendenken ist uns viel zu beschränkt. Überhaupt: Die Musik und die Vibes sind im Grunde auf allen unseren Labels die gleichen. Die Unterschiede liegen in den einzelnen Elementen, die wir betonen.”

Momentan plant man gerade, die Büros von V Recordings und Full Cycle in London zusammenzulegen, der größeren Effektivität wegen. Das sei schließlich ohnehin nur die logische Konsequenz des sehr regen Austauschs. “Für uns ging es darum, eben nicht mit einem Major zusammzuarbeiten”, erklärt Krust. “Wie schon gesagt, wir sind seit jeher daran gewöhnt, alles selbst zu machen. Wir tragen die Boxen und die Plattenspieler selbst rein, sortieren die Platten und spielen sie. Genauso läuft es bei unseren Labels: vom Faxen bis zum Produzieren machen wir alles selber.” Um das Imperium zu komplettieren, leistet sich die Full Cycle-Crew neuerdings gar zwei je einmal im Monat stattfindende Clubnächte, einer in Bristols “Lakota”, der andere im Londoner “The End”. Man hat sich etabliert und will zeigen, was man hat.

1
2
3
Vorheriger ArtikelLen Faki
Nächster ArtikelMeine Stadt: DJ Tennis über Miami