Fotos: Sergio Kustov (Strichka Festival 2017)
Strichka ist das ukrainische Wort für Band. Das in diesem Jahr zum vierten Mal in Kiew stattgefundene Festival so zu benennen, macht Sinn, weil es in dem Club Closer stattfindet, einer stillgelegten Fabrik, in der früher eben Bänder hergestellt wurden. Als in Berlin sozialisierter Besucher fragt man sich natürlich vor Antritt der Reise, wie man sich einen Underground Techno Club in diesem politisch so angespannten Land an der Schnittstelle von Europa und Asien vorstellen kann – über drei Jahre nach dem Euromaidan und dem Beginn der bewaffneten Konflikte im Ostteil des Landes. In der absolut sehenswerten Metropole Kiew merkt man davon erst einmal nichts – bis auf einer nicht allzu offensiven Uniform-Präsenz an touristischen Hot Spots.
Das Fabrikgelände liegt am Ende einer Straße unweit des Stadtzentrums an einem von dichtem Grün bewachsenen Hügel. Der Club Closer bespielt normalerweise nur einen Indoor Dancefloor und zur Tagesschicht einen Außenbereich. Das Strichka ist vor vier Jahren entstanden, als die ukrainische DJ Nastia ihren Geburtstag im Closer feiern wollte – der gefragte Termin war zwar schon verbucht, die Betreiber hatten ihr aber angeboten, daraus eine größere Party zu machen und dafür noch zusätzliche Räume zu öffnen. Seitdem findet das Festival jedes Jahr an ihrem Geburtstag statt – in diesem Jahr war es ihr 30.
Auch wenn das Closer schon seit Jahren einen engen Austausch mit der minimalen europäischen House-Szene führt und regelmäßig DJs wie Zip, Vera, Miss Fitz oder Mayaan Nidam bucht, fällt zum einen der Mut zum Nicht-Offensichtlichem und der große Stellenwert der ukrainischen Resident-DJs auf. So spielten in diesem Jahr Lil’ Louis, Monolake, Plaid, Aux88, Superpitcher, Special Request sowie Tama Sumo und Lakuti (letztere beiden mussten wegen Visa-Probleme allerdings gleich wieder nach Ankunft kehrtmachen) als ausländische Main Acts. Dem gegenüber standen aber eine Mehrzahl Locals wie Koloah, Alex Savage, Lobanov, Igor Glushko oder natürlich die auch international längst Wellen schlagende Nastia.
Was erst einmal auffällt: Das mit sechs Dancefloors aufwartende Festival fühlt sich aufs angenehmste nach einem mit viel Engagement umgesetztes Underground-Event an. Man wuselt sich durch labyrinthische Gänge, alles ist Warehouse-mäßig etwas heruntergerockt, aber soundtechnisch mit Holzfußböden und Funktion One auf einem sehr guten Stand. Die Freundlichkeit sämtlicher Mitarbeiter ist frappierend, hier scheint jeder Spaß an der Sache zu haben, sei es die sich im Hintergrund haltende Security, die Barkeeper oder die netten Menschen, die in einem Chill-Out-Raum die in zärtlicher Umarmung auf dicken Teppichen liegenden Menschenknäuel mit Tee und Energiebällchen versorgen. Ja, es gibt hier einen Chill-Out-Raum – nicht das einzige, was hier an die besseren Aspekte der 90er Jahre erinnert. Dazu trägt auch die gute und respektvolle Stimmung des Publikums bei – ein Altersschnitt zwischen 20 und 50, viele so auch in anderen europäischen Clubs zu sehende 90er-Sportswear-Looks, Vollbärte, Normalos, Frauen, die mit strengen Militärcodes spielen, Jesus-Figuren in sackartigem Leinen. Gut 2500 Menschen schieben sich durch die Räume, die Dancefloors sind schnell gefüllt.