Momentan arbeitet Stamper gemeinsam mit einer Violinistin an neuem Material. „Die Spannung zwischen elektronischer Musik und Live-Instrumentierung ist eine Farbe, mit der ich gerne male“, erklärt sie. Dazu komponiert sie am Computer – sie sei alles andere als eine gute Handwerkerin –, exportiert alles als Partitur und zeigt diese der Musikerin „in der Hoffnung, dass die etwas damit anfangen kann“. Noten lesen konnte Stamper noch nie – und das, obwohl sie zu Schulzeiten in Bands gespielt hat. Statt vom Blatt abzulesen, hat sie nach Gehör gespielt, sagt sie, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. Flexibilität und Aufnahmefähigkeit sind jedoch nicht Stampers einzige Stärken. Ihre an Obsession grenzende Passion und ihr Ohr fürs Detail – sie sagt, sie habe ein „phonographisches Gedächtnis“ – haben sie als DJ geformt.
Stream: The Black Madonna – The Bunker Podcast 99
Entscheidend waren dabei die Mixtapes ihrer Teenagerzeit, die Stamper dermaßen oft gehört hat, dass die Magnetbänder durchbrannten. Notgedrungen wurde aus ihr eine „Tapechirurgin“. Ähnlich gründlich geht sie vor, als sie mit dem Mixen anfängt. „Ich liebte Radiomixe, diese DJs waren so unglaublich tight. Ich habe erst später rausgefunden, dass sie mit acht Spuren aufgenommen haben!“, erinnert sie sich kopfschüttelnd. Den Mangel an Technologie macht sie mit einer eigenen Technik wett: Stamper entwickelt ein komplexes Notationssystem, das sie wie eine Partitur bei der Aufnahme mitlesen kann. Sie hat das perfektioniert: Früher brauchte es bis zu fünfzig Anläufe, heute gelingt ihr ein Mix beim ersten oder zweiten Take. Als sie vor 2013 nach etlichen Jahren im Musikbusiness als Bookerin und Resident der Smart Bar berufen wird, ändert sich ihr Leben erneut. Sie legt Seite an Seite mit Frankie Knuckles auf, dessen Nachlass sie als Sekretärin der Frankie Knuckles Foundation mitverwaltet, und gestaltet das Programm von Nordamerikas ältestem Club. Die strukturellen Veränderungen der Szene haben sie zwar erst zu The Black Madonna gemacht, hinnehmen möchte sie die „Gentrifizierung des Dancefloors“ jedoch nicht. „Dance Music ist weißer, heterosexueller und reicher geworden, als es noch vor zwanzig Jahren der Fall war“, sagt sie angespannt.
Eine Freundin sei an ihrem Geburtstag fünf Stunden durch sengende Hitze gefahren, um einen DJ zu sehen, wäre aber als Butch-Lesbe in Shorts mit Verweis auf den Dresscode an der Tür fast abgewiesen worden. „Wenn du deiner Klamotten wegen nicht in den Club gelassen wirst, heißt das, dass du nicht genug Geld hast, um an Techno teilzuhaben. Well, fuck that!“ Zum ersten Mal bricht die Gefasstheit Stampers für einen Moment auf, zeigt sie Wut, Enttäuschung. Die Smart Bar, deren von Stamper und Steve Mizek betriebenes Hauslabel Northside 82 bald mit den ersten Veröffentlichungen aufwarten wird, hat dagegen keine Türpolitik. Stattdessen aber eine Mission.
„Was macht Ben Klock, wenn er während seiner Periode zehn Stunden lang auflegen muss?“
Was genau ist das Konzept der DAPHNE-Serie, die du in der Smart Bar in Chicago veranstaltest?
Es gibt diese Diskussion darum, warum nicht mehr Frauen auf den Line-ups sind. Oft heißt es, dass es weniger Produzentinnen gäbe. Als sei es ganz natürlich! Ich dachte: ‚Ich kann einen Monat lang Frauen in die Smart Bar buchen! Sprecht nicht mit mir, als sei es nicht möglich!‘ Das ist es nämlich. Sogar rentabel! Ich wollte, dass alle einen Monat lang Frauen als Headlinerinnen sehen, ohne dass dafür Kompromisse gemacht werden. Ich wollte Frauen in führenden Positionen erfahrbar machen, ohne reine Alibipolitik zu betreiben. Es ist aber nicht als Riot Grrrl-mäßiges Ladyfest angelegt, die Line-ups sind nicht ausschließlich weiblich besetzt. Im Rahmen von DAPHNE fiel mir auf, wie gut es sich anfühlt, gemeinsam mit anderen Frauen das zu machen, was wir tun. Manchmal sind wir isoliert und internalisieren unsere Erfahrungen, während wir touren, DJing und Mutterschaft auszugleichen versuchen oder… Verdammt, ja, versuchen, während unserer Periode aufzulegen! Das betrifft nur uns. Oder was macht Ben Klock, wenn er während seiner Periode zehn Stunden lang auflegen muss? (lacht) Mit DAPHNE aber wollte ich den Fokus auf Frauen in führenden Rollen legen, ohne dabei Männer auszuschließen. Ich wollte auch verschiedene Frauen zeigen: Junge Frauen, alte Frauen, queere Frauen, women of colour, arme Frauen oder Transfrauen.
Diese Szene mit ihrer langen, dreißigjährigen Geschichte führt erst jetzt eine Genderdiskussion – und argumentiert nicht intersektional.
Richtig. Wir können zwar den ganzen Tag über die gender gap diskutieren, aber diese Diskussion schließt fast nur weiße Frauen ein. Sexismus überkreuzt sich aber mit gesellschaftlichem Stand, Ethnizität und Behinderung. Wenn wir über die gender gap reden, müssen wir das beachten, weil wir sonst viele Frauen außen vor lassen. Wenn du nur weißen Frauen Fragen zur gender gap stellst, wirst du nie verstehen, wie weit die Kluft wirklich ist. Natürlich ist meine Erfahrung als weiße Cis-Frau, die mit einem Mann verheiratet ist, anders als die anderer Frauen, die nicht so aussehen wie ich! Denk auch an die sozialen Aspekte: Viele Frauen werden nie damit anfangen, elektronische Musik zu machen, weil sie es sich nicht leisten können. Das ist Teil der gender gap! Denn Frauen bekommen weniger Gehalt. Das ist für weiße Frauen schlimm, für Frauen anderer Hautfarbe aber umso mehr. Oder queere Frauen. Oder queere schwarze Frauen. Die pay gap weitet sich exponentiell. Es ist also wichtig, die Diskussion auszuweiten.
Machen wir es uns zu einfach, wenn wir EDM als Sündenbock darstellen? Lenken wir uns von unseren eigenen Problemen ab?
Einerseits ist das ein ganz anderes Universum, andererseits gab es in letzter Zeit viele Artikel über sexuelle Belästigung und Übergriffe in Clubs speziell in der EDM-Szene zu lesen. Das teilen wir. Im Grunde aber ist EDM weit von uns entfernt. Wir könnten uns genauso gut über Stadionrock unterhalten.
Braucht es also mehr Menschen wie DJ Sprinkles, die das Problem nicht auslagern, sondern die Szene von innen heraus kritisieren?
Absolut. Wir haben Genderungerechtigkeit, Homophobie, ein riesiges Problem mit sexueller Belästigung. Wir können nicht so tun, als wären wir vor diesen Dingen gefeit. Es gibt viel zu tun und viele Fragen zu beantworten.
Ähnlich lässt sich über Stampers Leben sagen. Als unser Interview vorbei ist, greift sie sofort zu ihrem Telefon, das eine Stunde unangetastet vor ihr lag. „Alles gut, die Smart Bar ist nicht abgefackelt“, grinst sie wieder und klingt tatsächlich erleichtert. Dass sie die Arbeit so nicht losgeworden ist, braucht von uns beiden niemand laut auszusprechen. Umso beruhigender zu wissen, dass Stamper in all dem Chaos nicht nur ihre Ruhe, sondern auch ihre Haltung bewahrt.