Illustration: Vina Ćurčija

Sich als aufstrebender oder gar erfolgreicher Artist kritisch über eine Party, einen Promoter oder grundsätzlich über Fehlentwicklungen unserer Szene zu äußern trauen sich nur die wenigsten. „Dieser Event-Spam-Overkill muss aufhören. Von nun an werde ich meine DJ-Dates auf einen Post pro Monat reduzieren. Alles, was ich sehe, sind Partypromotion und Danke-Postings. Ich bin der Überzeugung, dass dies der falsche Weg ist und zu nichts führen wird“, schrieb 2015 der sichtlich genervte Newcomer Borrowed Identity auf seiner Facebook-Seite. Obwohl der junge Wahlberliner aus Freiburg für seine Aussagen große Zustimmung erhielt, bleibt sein Posting bis heute eher die Ausnahme.

Noch immer schluckt die Angst, zukünftige Bookings zu gefährden, den Impetus einiger DJs und Produzenten, sich auch als politische Person zu verstehen. Zwar behauptet niemand, dass sich jeder Künstler in einen öffentlichen Diskurs begeben muss oder sollte. Allerdings ist auch klar, dass jedwede Passivität und Zurückhaltung ebenfalls als politische Aussage verstanden werden kann. Zuletzt fragte Nicolas Jaar auf dem Groove-Cover, ob „elektronische Musik politisch sein kann“. Dabei gilt es natürlich zu unterscheiden: zwischen der Musik, die wie bei Fatima al-Qadiri etwa die Occupy-Bewegung oder Medienmissbrauch verhandelt, und dem Künstler als politischem Menschen, der wie im Falle von Theo Parrish die fehlende Reaktion der amerikanischen Dance Communityauf die Polizeigewalt anprangerte.

Unabhängig davon, von welcher Seite man sich der Frage nähert, blicken wir auf ein Jahr zurück, das mit der Flüchtlingskrise, der Schießerei mit 49 Toten im schwul/lesbischen Nachtclub Pulse in Orlando oder dem Brexit an diskursivem Potenzial kaum zu überbieten war. Die größten Reaktionen aber löste sicherlich der US-Wahlkampf aus. Während Dan Snaith alias Caribou einem konservativen Radio-Hassprediger bereits vor der Wahl ein gepflegtes „Fuck off“ übermittelte, meldeten sich gerade nach dem Wahlausgang unzählige Künstler zu Wort– von Underground Resistance über Carl Craig bis hin zum Discwoman-Kollektiv („Sorry, no u can’t be a Trump supporter and expect us to play at your club“).

Dass die musikalische Karriere und politische Meinungsbildung keine Gegensätze sein müssen, haben in den vergangenen Jahren vor allem The Black Madonna und Honey Dijon unter Beweis gestellt. Obwohl sich beide Damen voneinander in puncto Selbstdarstellung und Stil unterscheiden, eint sie doch der Wille, sich immer wieder in Gender-Diskussionen einzumischen, für Probleme der LGBT-Community zu sensibilisieren oder auf Fehlentwicklungen unserer Szene hinzuweisen. Außerdem erinnern beide immerzu an die Wurzeln von Dance Music und stellen mit ihrer nicht belehrenden Art und Weise einen politisch-engagierten Künstlertypus dar, der gleichermaßen aufklärt und mitmischt.

Doch selbstverständlich sei es jedem Künstler erlaubt, sich aus politischen Fragen oder Diskussionen rauszuhalten. Das apolitische Verhalten einiger DJ-Größen kann man zwar sicherlich missbilligen. Und ob das Posten der anstehenden Gigs oder der (leider) obligatorischen Fotos danach der elektronischen Szene auf Dauer zuträglich ist, darf ebenfalls hinterfragt werden. Doch letztlich bleibt diese Entscheidung jedem selbst überlassen. Und trotzdem können wir froh sein, dass es weiterhin DJs gibt, die sich nicht nur als Dienstleister verstehen.

Alle Jahresrückblicksthemen findet ihr hier in der Übersicht.

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