Discogs: Der Preisbestimmer

Und dann wäre da Discogs. Seit Einführung des Marketplaces ist die usergenerierte Datenbank nicht nur DIE Second-Hand-Börse schlechthin, sie bestimmt auch die Preise – online wie offline. „Unsere Platten sind alle vorab bepreist, es geht bei fünf Euro los“, sagt Josh von The Ghost. „Im Grunde machen wir damit das Gleiche wie Christian [Pannenborg; Anm. d. Red.] in seinem Record Loft, nur dass dort beim Bezahlen der aktuelle Preis anhand des Discogs-Preises kalkuliert wird. Wir wollen damit ein bisschen mehr Transparenz schaffen, damit man ungefähr weiß, was auf einen zukommt.“ Die goldene Gans, wie er es nennt, ist zwar weiterhin das, was alle suchen, aber die kaum noch zu finden ist.

Helena Hauff beschreibt es so: „Es wird auch immer schwieriger, seltene Platten in Plattenläden zu finden, für wenig Geld. Den Läden steht natürlich auch Discogs zur Verfügung. Aber ich finde das auch nicht schlimm, irgendwie muss ja jeder seine Miete zahlen.“ Zudem ist jeder Kunde durch die Online-Marktplätze auch ein potenzieller Händler, wie Christian Pannenborg erklärt. Platten unter Wert in den Laden zu stellen, damit jemand sie kauft und für ein Vielfaches bei Discogs (oder eBay) wieder reinstellt, sei betriebswirtschaftlicher Unsinn. Man kennt das Phänomen aus (Online-)Plattenläden: Limitierten Neuerscheinungen wird versucht, mit einer One-copy-percustomer-Politik oder Store-only-Platten den sogenannten Discogs-Sharks etwas entgegenzusetzen – mit mäßigem Erfolg, wie man auf Discogs sehen kann.

UtaUta:

“Wenn ich genug Geld hätte, würde ich mir Dubplates schneiden lassen.” Zum Interview.

Genauso wie man on- und offline zwischen Händlern für Neuware wählen kann, gibt es auch im Netz Anlaufstellen für Second-Hand-Ware oder Obskuritäten. The Vinyl Factory hat zum Beispiel eine schöne Übersicht zusammengestellt, sie führt unter anderem Invisible City Editions, Dub Vendor, Growing Bin Records und Jazzman auf. Digitales Digging beschränkt sich aber nicht nur auf die Onlinesuche nach Platten.

Für den Berliner Alex.Do war YouTube sein eigentlicher Einstieg ins Digging: „Um ehrlich zu sein, habe ich es anfangs gar nicht anders kennengelernt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mich in den unendlichen Weiten Discogs’ verlieren konnte; ein Tab für Discogs, einer für YouTube und dann ging es ab.“ Mit Empfehlungen über Social Media und immer besser werdenden Algorithmen bei SoundCloud, YouTube oder Spotify kommt man so vom Hölzchen aufs Stöckchen. Und doch erscheint den meisten diese Methode irgendwann auch limitiert. „YouTube und Discogs funktionieren nur teilweise, irgendwann befindet man sich leider immer in einer Endlosschleife“, beschreibt Helena Hauff das Dilemma. Christian Pannenborg sieht es ähnlich: „Man bewegt sich im Kreis.“

Regeln wie im Fight Club

Dabei gab und gibt es bereits Tools, um abseits der klassischen Algorithmen und Hyperlinks auf persönlich empfohlene Musik zu stoßen: File-Sharing-Plattformen mit integrierter Chatfunktion und der Möglichkeit, anderen Leuten auf die gut sortierte Festplatte zu gucken, also im Plattenregal zu stöbern. Doch die sind, nun ja, out und rechtlich bedenklich, indes gibt es sie noch. Hier hat sich aber mittlerweile eine Geisteshaltung durchgesetzt, die der ersten und zweiten Regel vom Fight Club ähnlich ist: Ihr verliert kein Wort über die Tauschbörse!

Alex.DoAlex.Do:

“Discogs, YouTube und dann ging es ab” Zum Interview.

Also doch verzugsweise vor die Tür, hinein ins soziale Biotop Plattenladen? Discogs hat zumindest erste Versuche mit Plattenbörsen gestartet. Ähnlich wie andere disruptive Onlinehändler, zum Beispiel Amazon oder eBay, die mit temporären Pop-up-Shops, aber auch permanenten Läden den Schritt aus dem Cyberspace in die reale Welt gewagt haben, hat das Unternehmen zusammen mit dem Plattenladen Grimy! in den USA drei „Crate Diggers“-Events auf die Beine gestellt. Ende September fand der erste Event im Berliner Club Prince Charles statt. Auf der gut besuchten Veranstaltung mischten sich einen Nachmittag lang eine Vielzahl professioneller Händler mit vereinzelten Labels und privaten Verkäufern. Gerade bei Letzteren galt: Während man früher auf Plattenbörsen eher komisch angeguckt wurde, wenn man als Verkäufer die Discogs-Preise vor Ort zurate zog, um eine Verhandlungsbasis mit dem Käufer festzulegen, war es mittlerweile gängige Praxis. Auch umgekehrt: Käufer mit gezückten Smartphones waren keine Seltenheit.

Theo Parrish, der später ein begeisterndes Back-to-back-Set mit Marcellus Pittman auf der Afterparty spielen sollte, nutzte nachmittags die Gelegenheit, um sich mit einem Stapel Platten einzudecken. Mit einem Smartphone, um sich Informationen zu Platten und Preisen zu holen, wurde er nicht gesehen.

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