Interview mit freundlicher Genehmigung von Christoph Krelle; Fotos: Marie Staggat
313 ist die Telefonvorwahl für Detroit. „One love“ steht für einen tiefen inneren Zustand: universelle Liebe und Respekt allen Menschen gegenüber. Gemeinsam sind sie 313ONELOVE – eine Liebeserklärung an Detroit, Techno und die Menschen der Motor City. Eine Liebeserklärung in Fotos, Zitaten und Lyrics, kreiert von der Berliner Fotografin Marie Staggat. Detroit gilt als ein Ort, der für die Entstehung der Technomusik so prägend war wie kein anderer. Ende der 1980er Jahren schwappte von dort aus Techno wie eine Welle nach Europa. Vor 25 Jahren entstand der Tresor in Berlin. Bis heute wird er unter Ravern für seine „Berlin-Detroit-Connection“ verehrt und geliebt. Im Interview erklärt die beruflich mit dem Tresor verbundene 29-jährige, wie sie Detroit bei ihren Besuchen dort erlebte, wie ihr Projekt 313ONELOVE entstand, welche Arbeit darin steckt und was sie als Nächstes plant. Zuerst feiert sie heute zwischen 19 und 22 Uhr die Eröffnung einer Ausstellung von ausgewählten Bildern im Buchladen Echo Buecher in Berlin-Wedding.
Marie, was bedeutet es Dir, Fotografin zu sein?
Ganz nüchtern gesehen, ist es mein Beruf, natürlich auch mein Hobby oder meine Passion, die ich zum Beruf gemacht habe. Ich liebe es, Menschen vor der Kamera zu haben und immer vor der Herausforderung zu stehen, ihr wahres Ich zu zeigen oder ein Stück ihrer Seele herauszukitzeln. Besonders rohe Schwarzweiß-Fotografien sind meine Leidenschaft, weil sie sich auf minimale Tonwerte reduzieren und nicht vom Objekt ablenken. Kurz gesagt: Es bedeutet alles für mich – denn ich beschäftige mich zu 75 Prozent meines Alltags damit.
Zur Umsetzung Deines Buchprojekts 313ONELOVE bist Du in den vergangenen Jahren mehrmals nach Detroit gereist. Im Vorwort schreibst Du, dass die Motor City hierzulande, auch durch die Berichterstattung der Medien, eher verzerrt wahrgenommen wird. Wie hast Du die Stadt erlebt?
Detroit wird immer noch als eine der gefährlichsten Städte der USA eingeschätzt und natürlich sieht man die Armut, die runtergekommenen Häuser und Kriminalität. Auf meiner ersten Reise war ich schon nervös. Man muss einfach aufpassen, in welche Gebiete man sich begibt und vor allem wann. Ich denke, das ist überall auf der Welt so, selbst in Berlin. Ich habe von Anfang an versucht, neutral und offen für meine eigene Wahrnehmung zu sein, mich nicht von Medien und Hörensagen leiten zu lassen. Für mich war Detroit von Anfang an wunderschön. Ja, ich habe mich verliebt – in die Menschen, die Atmosphäre und den Spirit. Das, was viele Leute als runtergekommen, kaputt und hässlich betrachten, sehe ich als etwas Schönes, Lebendiges, Geschichtsträchtiges. Detroit ist seit den letzten drei Jahren wirklich auf einem aufstrebenden Ast. Jedes Mal, wenn ich wiederkomme, sehe ich etwas Neues. Ganz viele neue Geschäfte, Kunst, Musik – Letzteres ja schon immer. Natürlich ist das eher die Gentrifikation, die da eintritt, was nicht nur positiv zu bewerten ist, aber das ist ein anderes Thema. Es passiert etwas und das ist ein Fortschritt. Detroit ist jetzt hip und alle wollen ein Stück vom Kuchen.
Angenommen, Du könntest einen Tag lang über Detroit im Fernsehen berichten, wie würde das aussehen?
Ich würde den ganzen Tag nur von den Musikern, welche mittlerweile sehr enge Freunde geworden sind, berichten – ihre Musik und ihre Persönlichkeiten vorstellen. Ich würde über Künstler und Streetartists reden und ihre Kunst zeigen. Ich würde zum Unterstützen von Projekten aufrufen, aber auch dazu ermutigen, Detroit persönlich kennenzulernen. Das bedeutet nicht nur, in Downtown abzuhängen, sondern sich mal ins „echte“ Detroit zu begeben. Eigentlich würde ich nur positive Sachen sagen und zeigen, welche Schönheit ich in der Motorcity sehe, um Leute dazu zu ermutigen, selbst einmal nach Detroit zu kommen. Denn letztlich sollte jeder die Stadt für sich entdecken und herausfinden, wie sie ist.
Nun dreht sich das Projekt 313ONELOVE ja um eine ganz bestimmte Musik- und Clubkultur, die Du persönlich schon länger für Dich entdeckt hast. Wie war es für Dich, Menschen zu begegnen, von denen Du zuvor „nur“ ihre Musik kanntest?
Es war spannend und ich war oft sehr aufgeregt. Ich habe riesigen Respekt vor all den Musikern. Die meisten von ihnen beherrschen oft mehr als ein Instrument und schaffen es, aus so vielen Genres und Inspirationen der Stadt, ihren eigenen Sound zu kreieren, der die Musik- und Clubkultur bereits über viele Kontinente hinweg stark beeinflusst hat. Für mich sind viele meine persönlichen Helden. Wir sind wie eine Familie – das ist ein tolles Gefühl.
Gab es Momente, in denen Du enttäuscht warst, weil Du vielleicht aufgrund eines Tracks, den Du von einem Künstler im Ohr hattest, eine andere Persönlichkeit dahinter vermutet hättest?
Ja, es gab Begegnungen, die mich enttäuscht haben. Ich habe bei einigen eine andere Persönlichkeit vermutet, aber nicht unbedingt aufgrund ihrer Musik, sondern eher wegen ihrer Selbstdarstellung in den Medien. Das ist ok. Am Ende bin ich allerdings straight: Wenn sich wirklich mal jemand daneben benimmt, dann kaufe ich auch seine Platten nicht mehr. (grinst)
Hörst Du manche Tracks eines Künstlers jetzt lieber als die eines anderen?
Nein, ich würde nicht sagen, dass ich Tracks lieber höre, aber ich höre anders zu. Ich kenne von vielen den Hintergrund, ihre Familien, ihre Geschichten, was sie inspiriert, durch welche Schicksalskämpfe sie teilweise gingen – ich fühle die Musik jetzt anders.