Parrishs Musik als Heilmittel? Vielleicht. Noch effektiver ist es allerdings, Doktor Theo selbst um Rat zu fragen. Denn schon vor Halbzeit des Interviews wird klar: So ungern er über seine kreativen Abläufe spricht, so wichtig ihm die Privatheit seines Tonstudios ist, umso leidenschaftlicher gibt er den humorvollen Ratgeber und Lebenshelfer. Auch was Paarungsrituale anbelangt.

„Lass dein Handy bei der nächsten Party daheim und geh mit Freunden hin. Ich garantiere dir: Diese Party wird dir als eine der besten deines Lebens in Erinnerung bleiben, egal ob sie scheiße ist oder nicht. Weil du sie mit deinem Körper und deinem Geist erlebst. Wenn du ständig auf dein Telefon starrst, wenn du es zwischen dich und die Cluberfahrung drängst, dann entgeht dir etwas.“

Und weiter: „Es ist doch ganz einfach: Wenn du dich früher mit einem Mädchen verabredet hast, hast du nicht beim ersten Anlass die Kamera gezückt. Weil du am Ende der Nacht so vermutlich keinen Kuss bekommen hättest. Ich möchte meine Gigs nicht mit einem Rendezvous vergleichen, aber es geht doch darum: Ich brauche als DJ die Energie der Tänzer genauso wie sie meine Musik. Es ist eine Symbiose. Außerdem ist deine Zeit kostbar. Du arbeitest hart und am Wochenende willst du den Stress vergessen und dich vom Alltag befreien. Das Problem ist: Wir sind Sklaven unserer Mobiltelefone. Ständig leben wir in dem Zwang, alles zu dokumentieren. Und auch wirklich jede SMS und jeden Anruf zu beantworten. Ich kenne Männer, die von ihren Frauen verlassen wurden, weil sie ihre Fotos auf Instagram nicht kommentiert haben.“

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Es ist zu verlockend, um nicht nachzufragen: Parrish selbst hat ein iPhone 3, das er allerdings als notwendiges Übel bezeichnet. Was er damit macht? Sicher nicht sein Facebook-Profil oder die brandneue Website seines Labels verwalten, sagt er. Das überlässt er seinen Helfern. Er braucht es, um regelmäßig seinen Sohn in Detroit anzurufen. Seit Parrish seinen Zweitwohnsitz in London hat, sieht er den Kleinen selten. Noch seltener als früher.
„Er ist der das Wichtigste in meinem Leben, ich will das Beste für ihn. Und da wäre es schon sehr verlockend, ihn nach London zu holen. Um ihm zu zeigen, was es heißt, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die ihn nicht als Bedrohung wahrnimmt“, sagt er. „Weißt du, was ich am meisten an London schätze? Du kannst in einen Laden gehen und nach dem Manager fragen – und du hast keine Ahnung, welche Hautfarbe der Typ hat, der dir gleich entgegentreten wird. Das beeindruckt mich. In den USA ist das anders. Und ganz nebenbei: Mein Sohn steht auf Fußball. Schon allein deswegen würde es ihm hier gefallen“, sagt er und lacht.

Ausgehend von seiner Monatsresidenz im Plastic People Club hat sich Parrish an der Themse in den vergangenen Jahren eine musikalische Achse aufgebaut, die schon jetzt ansehnliche Blüten zeigt. Mit Andrew Ashong veröffentlichte er 2012 den Konsenshit „Flowers“. Eine entspannt groovende Uptempo-Soul-Nummer mit schnaubendem Rhodes-Piano und schallenden Hi-Hats, die bei Gilles Petersons Worldwide Awards zum besten Track des Jahres gekürt wurde. Mit seiner Londoner Lebensgefährtin startete er im Mai ein neues Label namens Wildheart Recordings. „Sound Signature ist für den Körper zuständig, Wildheart für alles andere“, beschreibt er die Ausrichtung. Die aktuelle dritte Katalognummer vom jungen HipHop-DJ Budgie unterstreicht das eindrucksvoll: verstolperte Tracks mit souligem Sonnenbrand und psychedelischem Einschlag, die aus dem Archiv von J Dilla stammen könnten. „Sound Signature hat seine treue Gefolgschaft. Aber die hat auch gewisse Erwartungen an den Output. Die gewagteren Platten des Labels kamen nie sonderlich gut an. Mit Wildheart nehme ich mir nun die Freiheit, weniger tanzflächentaugliche Tracks zu veröffentlichen.“

Übrigens: Auch Parrishs letzte Maxi „71st & Exchange Used To Be“ erschien im Januar bei einem Londoner Label: The Trilogy Tapes, geführt von Design-Guru Will Bankhead, bekannt durch seine stilprägenden Plattencover für Labels wie Mo’ Wax und Honest Jon’s. „Ich lernte Will über eine Gruppe Skateboarder kennen, die meine Tracks für ihre Videos verwendet hatten“, sagt er. „Wir verstanden uns auf Anhieb und beschlossen, eine gemeinsame Platte zu machen. Ich die Musik, Will das Layout. Und ich bin verdammt froh über diese Begegnung, denn die Arbeit an den drei Stücken stellten gleichzeitig den Ausgangspunkt für mein neues Album dar.“

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