Dass sich einer wie er nicht mit dem Laptop auf die Bühne stellt, um seine Tracks live zu präsentieren, versteht sich unter diesen Vorzeichen von selbst. Vor zehn Jahren wagte Parrish schon einmal den Schritt in die Welt der handgemachten Musik. Unter dem Namen Rotating Assembly trommelte er 21 Musiker seiner Heimatstadt zusammen, um das Album Natural Aspirations aufzunehmen. Eine Platte voll ätherischer, mäandernder Jazz-Vocal-Stücke, live eingespielt und nachher vom Bandleader minimal nachbearbeitet. Bei Parrish-Liebhabern stieß das Werk allerdings – ähnlich wie die Konzerte des Kollektivs – nur bedingt auf Gegenliebe. Vermutlich weil die Tracks zu glatt und geschmeidig wirkten – im Vergleich zu dem rauen, holpernden Stil von Parrishs Solo-Platten auf seinem Label Sound Signature. Im Rückblick betrachtet er das Projekt selbst mit gemischten Gefühlen. „Rotating Assembly war nicht ganz das, was ich mir vorgestellt hatte“, sagt er. „Ich war zu unbekümmert und unterschätzte die Vorarbeit, die nötig ist, um ein so großes Projekt entsprechend umzusetzen.“

Nachdem er sein Rotating Assembly 2006 auf Eis gelegt hatte, widmete sich er sich wieder ganz der Rolle als Produzent. 2007 veröffentlichte er mit Sound Sculptures Vol. 1 ein Opus Magnum, auf dem er die Brücke zwischen stolpernden Vocal-House-Perlen wie „Soul Control“ und Club-Granaten wie „Synthethic Flemm“ schlug und seine unverkennbare Handschrift noch weiter verfeinerte. Auf Maxis kollaborierte er mit Kollegen wie IG Culture und Isoul8, sowie mit Marcellus Pittman und Omar-S (als T.O.M. Project) – und war durch die global einsetzende Deep-House-Renaissance als DJ plötzlich gefragter denn je. Vor vier Jahren erwachte die Lust am Live-Spielen in ihm dann erneut. „2010 hatte ich die Chance nach Nigeria zu reisen und dort eine Show mit Tony Allen und Amp Fiddler zu spielen. Nach nur zwei Probetagen standen wir auf der Bühne – vor zweitausend Menschen! Ich war verdammt nervös, aber es war toll.“

„Genießt das Hier und Jetzt. Tanzt und schaut nicht auf den alten Griesgram auf der Bühne!“

Den finalen Impuls gab dann noch die Sache mit dem Auflegen. Nach etlichen Jahren zwischen Nachtclubs, Hotels und Flughäfen war für ihn die Luft ein wenig raus. „Ich war immer mehr unterwegs, aber immer seltener glücklich nach meinen Gigs. Weil sich die Atmosphäre in den Clubs veränderte“, sagt er. „Es ist eine Entwicklung, die ich seit längerem beobachte: Die Menschen tanzen kaum noch. Sie starren mich beim Auflegen an. Oder halten mir ihre Handys ins Gesicht, um mich zu filmen. Oder um Selfies mit mir im Hintergrund zu knipsen. In solchen Momenten denke ich mir: Seid doch nicht blöd! Genießt das Hier und Jetzt! Tanzt und schaut nicht auf den alten Griesgram auf der Bühne!“


Stream: Theo ParrishSynthethic Flemm

Parrish entweicht ob dieses emotionalen Ausbruchs ein erstes Lächeln. Er taut auf. Je länger er spricht, desto dichter wird sein Wortschwall. Besonders wenn man ihn zum Status Quo aktueller Clubkultur befragt, beginnen seine Augen zu leuchten, seine Hände zu gestikulieren. Warum? Weil ihn das Thema bewegt. Dass Parrish den technischen Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre kritisch gegenüber steht, ist kein Geheimnis. Laptops auf der Bühne, Selfies im Club, Selbstbeweihräucherung auf sozialen Netzwerken – bei solchen Themen sieht er rot. Nicht, dass er per se ein Technikverweigerer wäre, nicht, dass früher alles besser war, aber Musik hatte definitiv schon einmal mehr kulturelle Bedeutung als heute. Da ist er sich sicher. Und er liebt es, darüber zu sprechen. Deshalb haftet ihm auch mittlerweile das Image des Gralshüters an. Des Predigers der reinen Lehre, der nichts mehr hasst als Bequemlichkeit und Faulheit, die er vielen Produzenten und DJs im gegenwärtigen Musikgeschäft ankreidet. Ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Bei seiner Fangemeinde kommt das gut an: Bei Vinyl-Apologeten und denen, die von einer Clubnacht mehr verlangen als das Aufwärmen der aktuellen Beatport-Charts. Was Parrish allerdings nicht ist: ein humorloser Nostalgiker. Wenn er sich selbst als alten Griesgram bezeichnet, kommt genau der Funken Selbstironie durch, der ihn von konservativen Jammerlappen unterscheidet. Auch auf dem neuen Werbeflyer für sein Label zeigt er Humor: „Fühlst du dich depressiv? Tun deine Ohren weh? Dann leidest du vielleicht unter… schlechter Musik. Um dieses unangenehme Problem zu beheben, frag deinen Arzt nach: Sound Signature.“

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