Samstagabend. Chris Liebing ist inzwischen eingetroffen. Nach einem kurzen Abendessen im Hotelrestaurant sorge ich gemeinsam mit unserem Fahrer dafür, dass unser Bordgepäck und der Equipmentkoffer sicher eingeladen werden. Auf dem Festivalgelände angekommen, werden wir sofort nach der Akkreditierung zur Stage gefahren. Zwischen zischenden Nebelmaschinen und emporschießender Pyrotechnik muss das Equipment aufgebaut werden. Chris übernimmt und treibt die Crowd für die letzen Anderthalbstunden durch ein druckvolles Abschlussset. Gleich im Anschluss, kurz nach ein Uhr nachts, fahren wir zu einem nahegelegenen Flughafen, wo ein Charterflugzeug für uns bereitsteht. Wir nutzen die zwei Flugstunden nach Saragossa, um ein wenig zu schlafen.
Nun könnte man entgegnen, dass ein DJ keine Band ist, auch keiner Crew bedarf und somit ein sogenannter Tourmanager nicht notwendig ist. Schließlich gibt es auch nach wie vor viele erfolgreiche DJs, die alleine zu ihren Sets reisen. Doch die Professionalisierung und Globalisierung hat auch den DJ-Betrieb vollends erfasst. Die Anzahl an international gebuchten DJs nahm nicht zuletzt mit dem Aufkommen der Billigfluggesellschaften enorm zu. Allen voran in Europa wurde es im Laufe der Nullerjahre zur Normalität, zwischen Glasgow und Neapel oder Lissabon und Moskau drei bis vier Gigs pro Woche zu spielen. Hinzu kamen dann die regelmäßigen Buchungen nach Übersee, die wachsende Zahl an Festivals für elektronische Musik oder die mit eigenen Bühnen für Dancemusic. Je mehr Gigs also gebucht wurden, je größer die Shows zudem wurden, umso professioneller mussten die erfolgreichen Künstler in ihrem gesamten Auftreten agieren. Die neuen technischen sowie operativen Anforderungen erschufen in dieser Subkultur einen Beruf, den es bisher vor allem in der Rock- und Popwelt gab. Der Tourbegleiter, meist ein enger Freund, wurde immer mehr zu einem unentbehrlichen Mitarbeiter, der den Künstler unterwegs und bei seinen Auftritten in jedweder Form entlastet. „Das aber kannst du dir erst leisten“, erklärt Thorsten Malitz alias Malle, Richie Hawtins Tour- und Crewmanager (Hawtin reist inzwischen mit bis zu sieben zusätzlichen festen Mitarbeitern für Sound, Visuals, Film und Foto), „wenn du dir das Ganze erarbeitet hast. Es ist ganz gut, dass ein Newcomer erst mal alleine unterwegs ist, um all das alleine zu erleben. Nur so kann ein DJ später besser beurteilen, warum er einen Tourmanager braucht und welche Eigenschaften dieser mitbringen sollte.“
Malle ist gelernter Industrielackierer. Er sagt, er habe „kreuz und quer die Jugend erlebt“, vor allem in der Frankfurter House- und Technoszene, zeitweise sogar als Hausbesetzer in London. Ricardo Villalobos lernte er auf einer der Partys kennen, die er Mitte der Neunziger mit einem Freund organisierte. Und „just for fun“ (ähnlich wie Ian Hussey seinerzeit für Carl Cox) begleitete er Joe Jam, einen Freund und in Frankfurt ehemals bekannten House-DJ, zu diversen Gigs außerhalb der Mainmetropole. 2007 kam dann das Angebot, Ricardo Villalobos auf Tour zu begleiten. Warum glaubt Malle nun, wurde ihm der Job angeboten? „Vielleicht, weil ich im Club am Ende einer Nacht immer noch die Contenance hatte? Vielleicht, weil ich zuverlässig war? Keine Ahnung. Vielleicht war es auch meine Statur: sportlich und groß.“ Malle nahm das Angebot an. Was ihn dazu motivierte? „Ganz klare Sache: die Musik. Es ist schwierig, wenn du die Musik nicht magst. Ein Antrieb war natürlich auch, in den Disco-Strom hüpfen zu können und dafür bezahlt zu werden.“ Nach dreieinhalb Jahren aber benötigte Malle eine Auszeit von diesem Job, die jedoch nicht lange währte. Es dauerte keine vier Monate bis er erfuhr, dass Richie Hawtins damaliger Tourmanager Nima Chatrsimab alias Nyma seinen Job aufgeben wollte. Die konkrete Möglichkeit für Hawtin zu arbeiten, erschien Malle derart attraktiv, dass er kurz darauf zu seinem ersten Einsatz kam. Er erinnert sich, dass er damals im Gegensatz zu heute hinsichtlich der Technik und der Software „von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte“. Zwar wurde er in Hawtins Setup eingeführt, doch Silvester 2010 war mit vier Gigs in einer Nacht wie ein Sprung von einer Klippe ins eiskalte Wasser.