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VOGUING Familienersatz

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Foto: Chantal Regnault (Soul Jazz Records Publishing)
Erstmals erschienen in Groove 133 (November/Dezember 2011)

Voguing war nie wirklich weg. Und doch war diese einzigartige afroamerikanische Tanzform lange zu einem Dasein im Untergrund verdammt. Erst seit einiger Zeit schummeln sich die affektierten Posen und exaltierten Armbewegungen wieder in die Popkultur. Acts wie Hercules & Love Affair und Azari & III verwenden in ihren Videos etwa Vogue-Elemente als perfekte Dekoration für ihre queeren House-Entwürfe. Solche Referenzen beziehen sich weniger auf die aktuelle Voguing-Szene, von deren Präsenz man sich auf Youtube überzeugen kann, sondern sind vor allem historische Zitate.

Ursprünglich ging es in der Ballroom-Szene vor allem um Kostümwettbewerbe, bei denen die Teilnehmer soziale Rollenbilder imitierten, die ihrer eigenen Lebensrealität fern waren. Indem sie sich als Filmstars oder Geschäftsmänner verkleideten, brachten sie ein wenig Glamour in die schwarzen Arbeiterviertel. In den frühen achtziger Jahren wurden dann die ersten houses gegründet. Ein house, in der Regel nach einem Modelabel benannt, ist eine Art schwule Gang: ein Familienersatz für Jugendliche, die von ihren Eltern verstoßen wurden. Bevor die balls zum Austragungsort von Vogue-Wettkämpfen wurden, nutzten die Tänzer die New Yorker Clubszene als Experimentierfeld. In legendären Läden wie der Paradise Garage musste nur der richtige Disco- oder House-Track gespielt werden, schon stürmten Voguer die Tanzfläche. Entscheidend war, wer die beeindruckendsten Posen machte, sie am flüssigsten verband und bei alledem im Takt blieb. Das Prinzip der battles, aber auch die Bedeutung von realness und Dissen machen Voguing gewissermaßen zur kleinen Schwester des Breaking in der HipHop-Kultur. Um eine ähnlich steile Karriere hinzulegen, war es aber zu sehr in der schwulen Subkultur verhaftet. Tatsächlich gab es ab 1989 eine Zeit, in der Voguing mit einem Fuß im Mainstream stand. Madonna und Malcolm McLaren machten Videos mit Szenegrößen wie Willi Ninja und José Extravaganza, während sich Jennie Livingston in ihrer Doku Paris Is Burning den Stars der balls widmete.


Video: MadonnaVogue

Umso verwunderlicher ist, dass es bis heute kein Buch zu diesem Thema gegeben hat. Soul Jazz holt dieses Versäumnis nun nach. Voguing And The House Ballroom Scene Of New York City 1989-92 ist wie die anderen Publikationen des Labels sowohl inhaltlich fundiert als auch sehr hübsch aufbereitet. Herzstück sind die Fotografien von Chantal Regnault, die mit einer Vielzahl an Schnappschüssen und inszenierten Porträts einen umfassenden Einblick in die Szene bietet. Hintergrundwissen vermitteln ein historischer Abriss von Tim Lawrence (Autor des Disco-Standardwerks Love Saves The Day) sowie Interviews mit bekannten und weniger bekannten Protagonisten der houses. Soul Jazz hat mit diesem Band ganze Arbeit geleistet und bringt die Ballroom-Szene endlich wieder dahin, wo sie hingehört: ins Rampenlicht.

 

Chantal Regnault & Tim Lawrence (Hrsg.)

Voguing And The House Ballroom Scene Of New York City 1989-92

250 Seiten, Soul Jazz Books, 2011

 

DiverseVoguing And The House Ballroom Scene Of New York City 1989-92 (Soul Jazz)

1. Inner Life — Moment Of My Life
2. Masters at Work — The Ha Song (Ken/Lou Mix) 
3. Ellis D — Just Like A Queen (Share The Throne Mix) 
4. Cheryl Lynn — Got To Be Real 
5. Loose Joints — Is It All Over My Face
6. Armand Van Helden — The Witch Doktor (Dark Ages Mix) 
7. Raze — Break 4 Love (Spanish Fly Mix) 
8. First Choice — Let No Man Put Asunder
9. 2 Body’s — Body Drill
10. Diana Ross — Love Hangover (12″ Mix)
11. George Kranz — Din Daa Daa (Original Mix)
12. Junior Vasquez — X
13. MFSB — Love Is The Message (Tom Moulton Mix)
14. Rageous Projecting Kevin Aviance — Cunty (Party Mix) 
15. First Choice — Love Thang
16. Malcolm McLaren — Deep In Vogue (Benjie Realness Mix)
17. Nitro Deluxe — This Brutal House
18. Salsoul Orchestra — Ooh I Love It (Love Break)

Bonus CD (mixed by Junior Vasquez)

1. Ellis D – Just Like A Queen
2. Raze – Break 4 Love
3. Salsoul Orchestra – Ooh I Love It (Love Break)
4. First Choice – Love Thang
5. First Choice – Let No Man Put Asunder
6. Masters at Work – The Ha Dance
7. Kevin Aviance – Cunty
8. George Kranz – Din Daa Daa
9. 2 Bodys – Body Drill
10. Armand Van Helden – The Witch Doktor
11. Loose Joints – Is It All Over My Face?
12. Diana Ross – Love Hangover
13. MFSB – Love is the Message
14. Inner Life – Moment of My Life
15. Cheryl Lynn – Got to be Real
16. Junior Vasquez – X
17. Nitro Deluxe – This Brutal House

Format: 3xCD, 2xLP, MP3-Download. VÖ: 03.02.2012

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