R&S Records ist ein Zustand. Er wölbt sich zurück bis zur Geburtsstunde von Techno in Detroit. Seine Konturen verlaufen kongruent zu den Momenten innigsten Glücks, zu Augenblicken der Verzauberung tanzender Menschen durch Irrsinn. Nach einer Ruhepause zwischen 2001 und 2006, in der sich Renaat Vandepapeliere ganz der Rennpferd-Zucht und damit jener Leidenschaft widmete, der R&S das Logo zu verdanken hat, hat sich das Unternehmen wieder überraschend schnell einen Namen machen können. Und zwar einen neuen. Die Geschäftstüchtigkeit des einstigen Co-Gründers und all die „Greatest Hits“-Zusammenstellungen von Model 500 oder Aphex Twin nämlich sind längst keine Garanten gewesen für einen geglückten Neuanfang. Hat sich doch in genau der genannten Zeit die gesamte Art, wie Musik produziert, vertrieben und vor allem gehört wird, fundamental verändert.
Und doch: was für Namen das seit dem Neustart von London aus operierende R&S veröffentlicht hat, was für Tracks! Mit zwei CDs verschafft die Compilation I O T D X I nun einen Überblick über die Renaissance des Labels. CD1 steigt mit den Diamanten ein: mit Stücken wie „OFI“ von Juan Atkins’ Projekt Model 500, der schon zur Frühzeit des Labels zu Beginn der Neunziger mit dabei war. Hier ist es der Beatpsychedeliker Bullion, der aus den mondänen Sphären des Originals eine Serpentine dreht, dass es scheppert und schallt, dass es endlos widerhallt. Oder mit Stücken wie „Orpheus“ von Pariah. Auch Untolds „Stereo Freeze“ wuchtet mit seiner Drum-Matrix die schnatternden Hochfrequenzen um und erschafft eine lediglich scheinbare Schlichtheit. Das ist alles von einer Wirkung, dass es nicht noch einmal James Blakes „CMYK“ bedurft hätte. Doch I O T D X I braucht ihn doch, den Hit: um klarzustellen, welchen Zustand das Label R&S eigentlich etikettiert – „CMYK“ als Festhalten des Moments direkt vorm großen Blake-Album für das Majorlabel Universal macht es deutlich. R&S kennt die Whitelabels, die in London kursieren, ebenso wie die A&Rs, die einen Sound an die Oberfläche hinauf hieven können. Renaat Vandepapeliere vertraut da ganz seinen eigenen, seinen jüngeren Londoner A&Rs Dan Foat und Andy Whittaker. Ein Zug von beinahe ergreifender Weisheit!
Denn nur so konnte sich R&S wieder als Schaltstation zwischen Under- und Overground etablieren, und deshalb kommt angesichts der CD2 von I O T D X I schon wieder die Frage auf, wer der nächste Pariah werden könnte, wenn schon niemand mit der Pop-Gabe eines James Blake in Sicht ist. Vielleicht The Chain, wegen des Sogs von „Lostwithiel“, vielleicht Airhead, wegen der enormen Farbsättigung in „Lightmeters“. Wahrscheinlich fängt aber genau jetzt die Zeit von Blawan an. Seine jüngste EP sowie das exklusiv für I O T D X I produzierte Pfeifen-und-Blechbüchsen-Garage-Stück „Shader“ weisen darauf hin. Heftig, eindeutig.
Stream: Pariah – Left Unsaid