burger
burger
burger

Paul Kalkbrenner: „Die Maschine arbeitet, und ich bin die Galionsfigur”

- Advertisement -
- Advertisement -

Text: Heiko Hoffmann, Fotos: Sybille Fendt
Erstmals erschienen in Groove 131 (Juli/August 2011)

Vor zehn Jahren sprachen wir anlässlich seines zweiten Albums Zeit zum ersten Mal ausführlich mit Paul Kalkbrenner. Sein Ziel damals: „Techno zu emotionalisieren“. Vor drei Jahren landete sein Alter Ego Ickarus auf dem Groove-Cover – allerdings nicht in Wirklichkeit, sondern im Film Berlin Calling. Seitdem hat sich Kalkbrenners Musik selbst kaum verändert, wohl aber ihr Wirkunsgrad: Er spielt Laptop-Konzerte vor 20.000 Fans, hat Anfragen der Black Eyed Peas auf dem Tisch, und sein neues Album Icke Wieder schießt nur aufgrund der Vorbestellungen schon auf Platz eins der iTunes-Charts. Ein Gespräch mit dem Techno-Megastar Paul Kalkbrenner über Legosteine, Totalverweigerung und den Traum vom Mehrgenerationen-Haus.

Paul, in den vergangenen Jahren hast du ausschließlich Remixe produziert. Warum war es jetzt an der Zeit für dich, ein neues Album herauszubringen?

Hä? Na weil ick musste! Weil ich mal wieder ran musste. Man merkt das so’n bisschen unterm Arsch, dass man mal mit was Neuem ankommen muss und nicht nur mit nem Remix oder so. Drei Jahre sind so die Karenzzeit, jetzt musste ich mal wieder mit einem Album an die Öffentlichkeit treten.

Versteh ich dich richtig: Du machst das weniger aus dem Bedürfnis heraus, selbst Musik zu machen, sondern weil das von dir erwartet wird?

Ich mach wirklich kaum mehr Musik aus Lust heraus. Der Appetit kommt dann eigentlich erst beim Essen. Ich hab mit dem Album ja auch erst vor drei Monaten angefangen. Davor hab ich jahrelang nichts gemacht, nicht die kleinste Skizze. Der Anfang war auch schwer. Und Fritz (Pauls Bruder, Anm. d.A.) hat mir da sehr geholfen, weil er mir so ein paar Sketches gegeben hat, damit ich nicht vor einem völlig weißen Blatt Papier sitze. Ich hätte mich eigentlich schon Ende vergangenen Jahres an das Album setzen können, aber dann hab ich mich lieber mit Lego beschäftigt. Ich hab mir für Tausende von Euro bei Ebay Legosteine gekauft. Ich wollte ’ne ganze Stadt bauen, aber das muss noch warten. Erst mal habe ich nur eine größere Raumstation gebaut. Die hatte damals nur einer aus meiner Klasse, und die wollte ich immer mal selbst haben.

Ein wenig kommt einem deine neue Platte auch wie eine Pflichterfüllung vor: Sie hat genau zehn Stücke, ist exakt sechzig Minuten lang, und der Titel Icke Wieder klingt weniger nach großer Ansage und eher wie eine Selbstverständlichkeit.

Genau. Mir war zum Beispiel auch wichtig, dass keine „Sky & Sand“-follow-ups auf’s Album kommen. Die gibt es auch auf meiner Festplatte. Aber ich will nicht die Fans ansprechen, die meinten: „‚Sky & Sand” war cool, der Rest des Albums eher nicht so.” Sondern eher die, die gesagt haben: „‚Sky & Sand’ hat mich genervt, der Rest vom Album ist aber der Hammer.” Ich wollte eher einen Schritt zurück zu meinem Album Self (2004, Anm. d. A.) gehen. Ein Album, das auch als Ganzes schlüssig ist für den Hörer.

Anders als Self ist dein neues Album aber in erster Linie kein Zuhöralbum. Vielmehr klingt es, als wenn du auch Futter für deine Liveshows gebraucht hättest.

Das ist richtig. Ich hab auf meiner Tour ja auch wieder drei Stunden lange Konzerte vor mir, und da macht man sich natürlich seine Gedanken, wie man die füllt. Es kann nicht sein, dass man ein Album macht, und am Ende sind da nur zwei Dinger dabei, die man auch live spielen kann, weil der Rest nur listening ist.

Bist du zufrieden mit der Platte?

Ich bin sehr zufrieden! Im Januar dachte ich noch „Oh Gott, wo soll die Musik denn herkommen?” Und das ist jetzt das Maximum, was ich in der kurzen Zeit rausholen konnte.

Hast du während der Produktion andere um ihre Meinung gefragt?

Diesmal gar nicht. Früher hab ich zum Beispiel oft Sascha (Funke, Anm. d. A.) neue Sachen vorgespielt und gefragt: „Sag mal, was sagste denn dazu?” Aber durch die Erfahrung und den Erfolg hab ich jetzt, glaube ich, auch die Selbstsicherheit, zu wissen, was gut ist.

Du spielst mittlerweile als Headliner auf Rockfestivals oder füllst die Berliner Openair-Bühne Wuhlheide mit 20.000 Zuschauern. Inwieweit verändert das eigentlich die Musik?

Was das Set-up betrifft, ändert sich im Prinzip nichts. Eigentlich hab ich wie vor zehn Jahren 16 Einzelkanäle zur Verfügung und schraube an denen live rum. Nur, dass ich das jetzt auf einer Riesenbühne mache.

Im Prinzip machst du also mitten im Rampenlicht das, was bei Rockkonzerten der Typ hinterm Mischpult macht, der unbeobachtet irgendwo im Publikum steht.

Das ist schon Wahnsinn, wie sich das verändert hat. Vor 15 Jahren hätten die Leute da noch die Stirn gerunzelt. Interessant ist auch, dass viele im Publikum nicht abstrahieren können: Die denken dann, das ist der Typ aus dem Film, der jetzt von der Leinwand auf die Bühne tritt.

Mit dieser Ambivalenz hast du aber auch selbst gespielt. Bei deinen Konzerten liefen Filmausschnitte aus Berlin Calling.

Das war, weil wir die Tour so’n bisschen aus dem Boden gestampft haben und einfach Material für die Visuals brauchten. Um die visuellen Sachen kümmern sich ja die Jungs von der Pfadfinderei. Und für die neue Tour war es uns wichtig, da anderen content zu haben als die alten Berlin-Calling-Bilder.

Du genießt diese Selbstinszenierung schon, oder?

Na klar. Das ist genau mein Ding: Die Maschine arbeitet, und ich schraub mich da als Galionsfigur ran. Ich bin sozusagen der Grüßaugust, den du vorne hinstellst.

Andere elektronische Liveacts arbeiten eher mit Kunstfiguren – Deadmau5, Daft Punk, Kraftwerk.

Ja, gut. Aber bei mir ist das halt icke. Das bin ich selber, da auf der Bühne. Das ist als Künstler natürlich schwieriger zu handhaben, weil man selbst die Grenzen von dem abstecken muss, wie viel man von sich preisgeben will. Und man braucht auch einen körpereigenen Exhibitionismus. Man muss det schon mögen, so ausgestellt zu werden.

Was macht das mit einem?

Pfff. Also wenn man doof ist, fliegt man weg. Aber man muss halt damit klarkommen, für viele Leute als Projektionsfläche zu dienen. Nicht durchdrehen und Mensch bleiben, das ist schon eine Herausforderung. Ich muss mir immer wieder sagen, dass das Meiste, was da um mich herum passiert, nicht passiert, weil ich so’n toller Typ bin, sondern weil da viele Dinge zusammengekommen sind.

Denkst du manchmal, dass du einfach auch verdammt viel Glück gehabt hast?

(lacht) Aber absolut! Und das war schon immer so.

Hast du dich durch den Erfolg verändert?

Ich kann schon bestimmte divenhafte Züge an mir feststellen, für die ich mir vor zehn Jahren noch selber eine runtergehauen hätte. Zum Beispiel wollte ich heute die Interviews kurzfristig um drei Stunden nach hinten verschieben, einfach weil mir das besser gepasst hätte. Da muss ich mir dann erst sagen lassen, dass das vielleicht keine so gute Idee ist. Und Larmoyanz zieht manchmal ein, so ein gewisser Hang zur Weinerlichkeit.

Im vergangenen Jahr hast du in einem Interview gesagt, dass eine entscheidende Frage für dich ist: „Wie wird man Tiësto, ohne so ein Tiësto zu werden?”

Genau. Darum geht’s. Die meiste Musik, die sich auf dem Level „Techno” schimpft, ist einfach bullshit. Davon distanziere ich mich. Ich glaube, es ist schon wichtig, dass ich seit Jahr und Tag immer dasselbe gemacht und mich da nicht groß verändert habe. Auch bei diesem Album ist es mir wichtig, dass die Tracks in Technoclubs laufen können, und die Leute sagen: „Ja, nett.”

Früher warst du mal großer Underground-Resistance-Fan. Was du heute machst, ist, was deine Selbstdarstellung betrifft, schon ziemlich genau das Gegenteil von deren Verweigerungsstrategien.

Richtig. Aber heute halte ich das auch für Unsinn. Als das mit Techno losging, hatte das ja als Gegenentwurf alles seine Berechtigung. Da gab es Clubs wie den Bunker in Berlin – drei Räume, in denen eigentlich keiner wusste, wo der DJ steht. Aber Techno hat halt auch diese ganz normale Entwicklung durchgemacht. Alles, was mal Avantgarde war, muss diese Stellung irgendwann aufgeben. Heute bummert Techno auf jedem Berghang beim Skifahren. Es bleibt nur zu hoffen, dass nicht alles so schlimm ist wie David Guetta. Auch wenn ich in dieser Liga spiele, will ich halt für ein bisschen Technoqualität sorgen.

Fällt es dir leicht, Nein zu sagen und Angebote abzulehnen?

Unbedingt. Es geht nicht darum, das maximale Geld einzufahren. Das fängt schon bei den ganzen Kollabo-Anfragen an. Die Black Eyed Peas und so’n Scheiß wollten zum Beispiel mit mir arbeiten. Aber die Säue gucken doch nur, wer gerade cool ist, und saugen dich dann ab. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob Modeselektor viel davon hatten, einen Song mit Fettes Brot aufzunehmen. Ich würde sagen, eher anders rum. Ich spiel auch nicht auf der Time Warp. Die fragen mich seit der Berlin-Calling-Geschichte, aber wollten davor nie was von mir wissen. Und ich sag grundsätzlich alle Werbeanfragen ab. Braun hätte zum Beispiel ein Vermögen dafür gezahlt, wenn ich ihre neue Maschine, die Haare und Bart rasiert, bewerbe. Aber ick will nich ein Jahr lang von Plakaten und aus Magazinen lächeln. Mein Vater hält mich deswegen für bescheuert. Aber ich mach so ‘nen Unsinn nicht.

Weiter zu Teil zwei des Interviews

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Marrøn: „Ich bin als DJ auf der Tanzfläche geboren”

Für Marrøn ging es vom Parkett auf die Tanzfläche – uns hat er unter anderem erzählt, warum er seine Profisportlerkarriere gegen die DJ-Booth eintauschte.

A100 in Berlin: Nie wieder Autobahn

Berliner Clubs und Initiativen haben wieder gegen den Ausbau der A100 demonstriert – wir haben uns vor Ort umgehört.

Waking Life 2024: Der Schlüssel zum erholsamen Durchdrehen

Das Waking Life ist eine Anomalie in der Festival-Landschaft, was programmatischen Anspruch und Kommerzialität anbetrifft. Wir waren dabei.