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Fritz Kalkbrenner über seine neue Single „Can We Find A Way”: Zwei verschiedene Schuhe zu einem Paar machen

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„Can We Find A Way”, die neue Single von Fritz Kalkbrenner, klingt anders als seine früheren Produktionen: Luftige, lichtdurchflutete Afro-House-Sounds vermischen sich mit dem vertrauten, nordisch-kühlen Kalkbrenner-Groove. Auch seine Stimme wirkt nicht mehr so natürlich wie bisher. Dennoch ist das Fritz-Kalkbrenner-Gefühl sofort da. Wie immer ist bei ihm eine bestimmte Melancholie spürbar, die aufgefangen und in etwas Optimistisches bis Euphorisierendes übertragen wird.

„Die Melancholie ist nie weg diskutierbar gewesen”, sagt Kalkbrenner dazu im Videocall. „Ich habe mich aber nie als Heulsuse hingestellt. Ich habe einen bejahenden Ansatz, auch, weil beide Dinge immer zueinander gehören, wie wenn man zwei verschiedene Schuhe zu einem Paar machen will.  Zumindest hab‘ ich das immer so wahrgenommen. Man weiß ja nie, was beim Hörer ankommt”, fügt der Berliner ein wenig nachdenklich hinzu.

Zeit für einen kurzen Check: Wo steht der Musiker, der von klassischem House bis zu ausladenden Big-Band-Sounds in den letzten 17 Jahren ein enormes stilistisches Spektrum bewältigt hat? Sein letztes Album Third Place, erschienen im November 2024, ist durchdekliniert, erklärt er. „Ich bin damit in der Jetztzeit angekommen, ich werde kein Album mehr machen”, lässt er die Bombe platzen. „Viele elektronische Künstler haben die Zeichen der Zeit schon viel früher erkannt und für sich verbucht, sind wegen dem Streaming vom Album-Format abgerückt”, erklärt er nüchtern.

Fritz Kalkbrenner (Foto: Lisa Wassmann)

Das ist durchaus ein Schritt, der nicht leicht zu verkraften ist. Seine sieben zwischen 2010 und 2024 erschienenen Alben haben das Leben von so manchem Fan in Kapitel eingeteilt. Auch für Kalkbrenner ist das nicht einfach. „Ich sehe diesem Umstand mit großer Trauer entgegen”, erklärt er unumwunden. Aber die digitale Welt fordert auch von ihm Tribut.

„Ich kann heute nicht mehr 14 Monate lang im stillen Kämmerlein an einem File schnitzen und dann sagen, ich schieß‘ den jetzt ab. Der ist dann nach drei Tagen ausgeklungen. Dafür habe ich da dann 14 Monate gesessen – das geht leider nicht.” So erscheinen jetzt zehn einzelne Singles wie am Schnürchen. Als silver lining stellt er seinen Fans die Möglichkeit eines abschließenden Vinyls in den Raum, das aber aufgrund seiner nachträglichen Veröffentlichung konsequenterweise nicht mehr Album heißen darf. 

Mit diesem neuen Veröffentlichungsprozess gehe hingegen eine neue Leichtigkeit einher. Der „Schwermut auf Prozessebene” sei verschwunden.

Dem eingangs vorgestellten „Can We Find A Way” ist im April „Kick It With You” vorausgegangen. Der neue Sound der beiden Stücke hat auch mit der neuen Veröffentlichungsstrategie zu tun. „Je länger man Musik macht, desto mehr gefällt man sich darin, aktuelle Einflüsse auszusperren”, erklärt er. „Man sagt, man hat seine eigene Signatur, ist unabhängig.”

Den technischen Schwund nutzen

Statt sich im stillen Kämmerlein einzuschließen, ist Kalkbrenners Auge, inspiriert von der digitalen Spontanität, über die stilistischen Entwicklungen geschweift, die aus der südlichen Hemisphäre kommen, aus Brasilien, Südafrika. Die Gelassenheit dieser Musik fasziniert ihn.

„Wenn ich vollends in diese Kerbe schlagen würde, wäre das zu weit hergeholt und nicht ehrlich”, gibt er zu bedenken. „Man kann diese Einflüsse aber explizit benennen und mit der Musik aus dem kalten Norden, die mir immer wichtig war, mit der Maschinenmusik aus Detroit, Manchester und Berlin, amalgamieren. Das gefällt mir, da hab‘ ich Spaß dran.”

Fritz Kalkbrenner (Foto: Ruben Hensel)

Der kühle Melancholiker, der alles zerdenkt – „da sind wir alle ein wenig Caspar David Friedrich”, fügt er schmunzelnd hinzu. Mit diesem neuen Veröffentlichungsprozess gehe hingegen eine neue Leichtigkeit einher. Der „Schwermut auf Prozessebene” sei verschwunden. „Das gefällt mir gut”, ergänzt er sichtlich erleichtert.

Um über mehr stimmliche Bandbreite zu verfügen, wollte Kalkbrenner nicht nur auf seine eigene Stimme setzen. Deshalb nutzt er die neue, nicht unumstrittene KI-gestützte Technologie Splice. „Egal wie sehr ich mag, was ich mache: Meine Stimme, das bin immer nur ich. Das ist ein enger Korridor, aus meinem Kehlkopf kommt keine Frauenstimme raus. Das finde ich schön, jetzt ein neues Spektrum einbinden zu können.”

„Ich schiebe die neuen Einflüsse aus der südlichen Hemisphäre mit meiner Erfahrung aus der nördlichen Hemisphäre, mit meinem Wust, wie zwei Kontinente zusammen.”

Die Vocals klingen ein wenig nach Autotune, erklärt Kalkbrenner den neuen Ansatz. Diese Technologie kam aber nicht zum Einsatz. „Wir, Hendrik Müller von den Riversides Studios und ich, haben meine Gesangsstimme via Künstliche Intelligenz in eine andere Stimme gewandelt und die andere Stimme wieder in meine Stimme zurückverwandelt. Was dabei verschwindet, der technische Verlust, das haben wir letztlich genutzt. Das ist ziemlich cool.”

So kann den KI-Kritikern entgegnet werden, dass es nicht darum geht, sich fremde Federn anzueignen, sondern eher darum, das eigene Individuum in der Ästhetik dieser Technologie zu spiegeln. „Wir haben den technischen Schwund genutzt. Wie wenn man ein Video im Achtziger-Jahre-Look haben will – dann kopiert man das Band immer wieder um, dass es so einen Verlust gibt. Das sind die aktuellen Tricks und Kniffe.”

Der neue Prozess läuft – sämtliche zehn Singles werden in diesem Fahrwasser stattfinden. Auch die anderen acht Nummern warten bloß noch auf ihre Mischung: „Dann kann das wie eine Perlenkette runtergestrippt werden.” Obwohl Kalkbrenner diese Songs nicht live singen kann, werden die Stücke auch bei seinen Live-Shows im Sommer aufgeführt – zusammen mit seinen Klassikern, die fundamental neu bearbeitet wurden.

„King & Queens” vom Album True Colours, „Back Home” von Ways Over Water und „Sky & Sand” habe er in minutiöser Kleinarbeit in neue Live-Versionen umgebaut. Das gesamte Backing habe er gelöscht, um die Klassiker im gänzlich neuen Umfeld erklingen zu lassen.

„Sky and Sand” ist mittlerweile fast 18 Jahre alt, das braucht man in der Version von damals nicht mehr, findet er. Er hat bei Live-Shows schon lange andere Versionen gespielt, um die Konzerte interessant zu gestalten. Nun stand ein fundamentales Makeover auf der Tagesordnung. „Ich bin da jetzt bei einer Brasil-Baile-Funk-elf-Minuten-Version, die ist strictly für die Live-Shows, da ist keine Veröffentlichung geplant”, erklärt er begeistert. „Das ist total lustig: Bei ‚Back Home’ sind die gesamten Harmonien weg, das Vocal funktioniert aber trotzdem, obwohl es jetzt ein ganz anderer Harmonie-Ansatz ist. Die Leute verstehen das auch, ich hab’ die neuen Versionen schon bei Club-Gigs und Festivals wie dem Ikarus getestet.” Ebenso freut er sich über das begeisterte DJ-Feedback, das der EDE-Remix der aktuellen Single ausgelöst hat.

Fritz Kalkbrenner (Foto: Lisa Wassmann)

Ein Wermutstropfen bleibt: Es gibt keinen Albumtitel, unter dessen Zeichen die Tour stehen kann. Einen Namen hat sie trotzdem: Kontinentego. „Das ist ein Begriff aus dem Esperanto, für den Superkontinent. So wie Gondwana oder Pangaea.“ Denn Kalkbrenner habe sich gefragt, was er hier eigentlich mache: „Ich schiebe die neuen Einflüsse aus der südlichen Hemisphäre mit meiner Erfahrung aus der nördlichen Hemisphäre, mit meinem Wust, wie zwei Kontinente zusammen. Das fand ich lustig, diesem Prozess so eine Begrifflichkeit zu geben. Dr. Zamenhof hat mit Esperanto versucht, die Grenzen zwischen den Menschen mit seiner Plansprache aufzulösen. Ich maße mir keinen Kommentar zur Weltlage an, das wäre vermessen. Aber angesichts des aktuellen Weltzustands fand ich es ganz passend, dieses Zeichen der Verbindung zu setzen.” Und einen Titel für einen Zusammenschluss der Singles, der nicht mehr Album heißen darf, gibt es damit auch schon.

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