„Don’t believe the hype“, warnten die Rap-Revolutionäre Public Enemy schon 1988 in ihrer wütenden Breitseite gegen die Medien. Natürlich schossen Chuck D und seine Mitstreiter mit ihrem Frontalangriff, der unter anderem einen Aufruf zum Lynchen von Musikkritikern enthielt, weit über das Ziel hinaus. Doch Übertreibung gehört eben zum (Musik-)Geschäft, sei es nun auf Seiten der Künstler, ihrer Vermarkter oder der Presse. Der unübersichtliche Bassmusik-Genre-Dschungel, in dem jeden Monat ein neuer Post-Dubstep-Ableger entdeckt wird, der die elektronische Tanzmusik von Grund auf verändern wird, bietet dafür einen besonders fruchtbaren Nährboden. Der jüngste ganz große Hype heißt Samir Alikhanizadeh, kommt aus Leeds und produziert unter dem Namen Happa (eine Abkürzung, die für „Half A Persian Prince And…“ steht). Alikhanizadeh hat noch keine einzige Platte veröffentlicht, wurde aber bereits auf der Webseite des britischen Hipster-Zentralorgans i-D vorgestellt und als Gast-DJ in die Radiosendung der Bassmusik-Patronin Mary Ann Hobbs eingeladen. Schuld an der Aufregung ist Alikhanizadehs Alter: Er ist gerade mal 15 Jahre alt. Eine ordentliche Portion Talent besitzt er auch, doch der Titel eines Wunderkinds à la Skream wäre anhand der Handvoll ungeschliffener Tracks auf seiner Soundcloud-Seite doch etwas zu hoch gegriffen. Alikhanizadeh hat gut aufgepasst und sich bei seinen Vorbildern Boddika und Addison Groove einiges abgeschaut. Sein Track „Boss“, der beim Label Wigflex aus Nottingham erscheinen soll, besitzt mit synkopierten Snares, wabernden Acid-Basslines aus einem 303-Emulator-Plugin und einem einprägsamen Rap-Sample alle Zutaten, die einen ordentlichen Bassmusik-Hybriden des Jahrgangs 2012 ausmachen. Nach einem ähnlichen Rezept, nur mit stärkerem Techhouse-Einschlag und einem „Doom’s Night“-Bass, funktioniert auch „Freak“, das sich 2nd Drop zur Veröffentlichung gesichert hat. Aus dem Jungen kann definitiv etwas werden – vorausgesetzt, er übersteht den Wirbel um seine Person unbeschadet.
Stream: Happa – Boss
Stream: Happa – Freak
Acht Jahre älter als Alikhanizadeh ist ein weiterer Produzent, dessen Musik auf der Insel gerade als der heiße Scheiß gehandelt wird, und der bisher nur unter seinem Künstlernamen South London Ordnance in Erscheinung getreten ist. In seinem Fall gibt es keinen Zweifel, dass hier eine wichtige neue Stimme im Bassmusik-Kontinuum auf den Plan getreten ist. Die erste Single von South London Ordnance, „Sanctuary/Roofy“ (2nd Drop), erschien im Mai und enthielt zwei fein konstruierte Slow-House-Tracks mit subtilen UK-Garage-Einflüssen. Auf seiner aktuellen, zweiten Veröffentlichung „Trojan/Pacific“ (Well Rounded) sind das Tempo und die Intensität deutlich erhöht. Bei „Trojan“ sorgt über einem robusten Techno-Fundament vor allem die Kombination aus weichen Synthesizer-Stabs und grummelnden Jungle-Bässen für einen bleibenden Eindruck.
Stream: South London Ordnance – Roofy
Stream: South London Ordnance – Trojan
Einen Hype anderer Art hat Uncle Dugs ausgelöst, der auf Rinse FM die im Augenblick aufregendste Radiosendung Londons verantwortet – ausgerechnet mit einem Programm, das ausschließlich aus alten UK-Hardcore- und Jungle-Platten besteht. Den Piratensender-Veteranen Dugs zeichnet neben seiner unbändigen Energie am Mikrofon vor allem ein beinahe enzyklopädisches Wissen seiner Materie aus. Jede seiner Sendung ist einem Jahr oder einer bestimmten Periode gewidmet, und Dugs zaubert dazu jedes Mal Raritäten aus seiner Sammlung hervor, die selbst Experten zuvor selten oder gar nicht gehört haben. Auf der Mix-CD Rinse 20 (Rinse) hat er nun seine definitive UK-Rave-Geschichte zusammengestellt, die mit Lenny De Ices „We Are I.E.“ beginnt und mit dem legendären Zinc-Remix des Fugees-Hits „Ready Or Not“ endet.
Stream: Lenny De Ice – We Are I.E.
Herausragend ist auch der Mix, den Steve Bishop alias Oneman für den 64. Teil der Fabriclive-Reihe (Fabric) abgeliefert hat. Bishops Spezialität ist die schlüssige Mischung neuer und alter britischer Genres und so finden sich auf der CD etwa Übergänge von Boddika zu Basement Jaxx oder von Joy Orbison zu Distance, ohne dass ein einziger davon erzwungen klingen würde.
Video: Oneman – Fabriclive 64 (Trailer)
Nicht auf dem Mix vertreten ist ein Künstler, der sonst öfter in Bishops DJ-Repertoire auftaucht. Oris Jay alias Darqwan aus Sheffield gehörte Anfang der Nuller Jahre zu den wichtigsten Protagonisten des Übergangs von 2Step zu Dubstep, doch erst jetzt erscheint sein Debütalbum To The Fly (Texture). Dieses bietet ein vielfältiges Kaleidoskop an Bassmusik-Stilen, das sich hoffnungsvolle Nachwuchsproduzenten unbedingt einmal anhören sollten.
Stream: Oris Jay – To The Fly (Album Sampler)