Der Sound der japanischen Bubble Economy der mittleren Achtziger war der City Pop, die genuin japanische Verschmelzung von später Disco, (P-)Funk, Boogie-Rock und experimentellem Synthwave und Postpunk zu einer polierten, doch immer verspielten Popmusik an den Rändern des J-Pop Mainstream. Die Popularität außerhalb Japans war wechselhaft bis kaum vorhanden. Immer wieder von ambitionierten Cratediggern als der nächste Reissue-Compilations-Hype ausgerufen, zuletzt etwa ziemlich prominent von XL Middleton und seinem Label MoFunk, blieb City Pop doch ein Spezialisten-Ding, aber doch immer ergiebiger Quellcode für funky Samples oder, runtergepitcht, für Slush- und Vaporwave. Ein echtes Comeback, ein Revival zeichnet sich in den vergangenen Jahren allerdings immer deutlicher ab. So etwa bei der japanischen Producerin und Sängerin NTsKI. Eventuell hat sogar SOPHIE zur Vorbereitung ihres letzten, vor kurzem posthum erschienen Album City Pop gehört. Die in Belgien lebende Japanerin Shoko Igarashi hat es definitiv getan. Onsen Music (Tigersushi, 6. Dezember) zitiert City Pop nicht, das Album führt den alten City Pop weiter, zu universell experimentellem elektronischem Pop. Das wäre ja mal was, wenn das zum universellen Mainstream würde.
Die vergangenheits-elektrisch infizierten Klangvorstellungen der Combo Organi um den enigmatischen Producer Mike Walti aus Oakland, Kalifornien kreisen um die Westküsten-Sounds der Siebziger, Adult Oriented Rock und dem was heute unter Connaisseuren als Yacht Rock oder Sophisti-Pop überhöht wird. Aber Achtung, obwohl Produktion und Instrumentierung einem analogen und garantiert sauteuren und schwer zu erreichenden Vintage-Klang nacheifern und ihn zelebrieren, sind die Stücke auf dem zweiten Organi-Album Babylonia (Alien Transistor, 29. November) keineswegs retro, allerhöchstens meta-retro. In dem Sinne, dass alter Sound in neue Form gegossen wird. Ein reichlich abwegiges Unterfangen, das doch jederzeit stimmig wirkt. Wer braucht schon die Originale, wenn es Organi gibt.
Das Label von Britt und Amanda Brown, Not Not Fun, ist beinahe so lange aktiv wie diese Kolumne und praktisch von Beginn an gern gesehener Gast. 20 Jahre, 400 Tapes und Vinyle mit elektronischer Soft-Psychedelik aus aller Welt, gefiltert vom weichen, kalifornischen Licht Malibus, das muss eine kleine Feier wert sein. Not Not Fun zelebriert das jubilierende Erwachsenwerden mit der ausladenden Compilation Alley Of The Sun (Not Not Fun, 4. Oktober) mit Beiträgen praktisch aller aktuellen und wiederkehrenden Labelkünstler:innen. Eine Doppel-LP, deren Aktionsradius vom enigmatischen Collage-New-Age des Tokioter Kollektivs Unknown Me zum experimentellen Dream-Pop der Russin Andra Ljos reicht. In diesem Spektrum freundlicher Lo-Fi-Weirdness spielen noch vier weitere, alle im Oktober auf Not Not Fun erschienene Tapes und LPs. Etwa der analog-synthetische Tropfsteinhöhlen-Funk Drifting Horses des gegen alle Evidenz emotional immer sonnenuntergangswarmfreundlich gestimmten Russen Frunk29.
Oder Owl Island, das tribal tropicalistische Bollern und Poltern (in Dub) des jüngst nach Florida gezogenen Hunter P. Thompson als Tegu. Thompson führt den Sound seiner (vorübergehend?) stillgelegten Projekte DJ Panthr und Akasha System, die bei Deep-House-Afficionados noch immer einen guten Namen haben, in verrauscht-verkrümelte Lo-Fi-Gefilde, die Balearic Ambient und vielleicht noch andere Rauchwaren tief inhaliert haben. Oder die gleißende Noir-Synthesizer-Suite End Time Loop des ebenfalls in Florida lebenden Severed+Said, dem lebenden Verbindungsglied von Dark Ambient zu Dark Wave. Und nicht zuletzt die organischen Synth-Variationen (in Dub, mit Melodica) des Chicagoer Heimorgelextremisten Jimmy Lacy alias SiP. Wie schon Leos Naturals ist Leos Ultras eine Sammlung von Stücken, die wirken, als hätte es sie schon immer gegeben. Von Musik, die in jeder der vergangenen fünf, sechs Dekaden versponnen-verspielter Außenseiter-Kram gewesen wäre, nur um irgendwann als Kultklassiker wiederentdeckt zu werden.
Yasuhiko Fukuzono aus Tokio betreibt nicht nur seit fast zwei Dekaden das exzellente wie renommierte Electronica- und Neoklassik-Label Flau, als aus produziert er in sehr unregelmäßigen Abständen selbst. Zuletzt gelang das ziemlich tanzbar und überraschend extrovertiert auf EP-Länge, mit dem jüngsten Album Fluctor (Flau, 27. November) ist allerdings die milde nach innen zeigende Traurigkeit in seine Stücke zurückgekehrt. Eine Melancholie, die nie in Depression oder Düsternis umschlägt, die in den delikatesten Schönklängen schwelgt. Die tausend frühherbstliche Sonnenuntergänge einfängt und einweckt in elegische Piano- und Streicher-Arrangements. Ein geballtes Paket Restwärme, das uns allen eine gute Grundlage gibt, um über diesen, eigentlich sogar jeden Winter des Gemüts zu kommen.
Es ist ja fast schon tragisch, wie wenig die japanische Produzentin und Sängerin Sanae Yamasaki alias Moskitoo veröffentlicht. Denn zarter und bezaubernder kann experimentelle Pop-Electronica kaum werden. Wie sie es mit Unspoken Poetry (Weather86/HEADZ, 4. Oktober) wieder schafft, beinahe auseinanderfallende, hyper-empfindliche Songs auf elektroakustische Klangforschung zu projizieren, ist schlicht phänomenal. Und alles bleibt dabei jederzeit hyper-schön. Wie ein derart introvertiertes (Nicht-)Songwriting mit Soundexploration nahe der Stille zusammenkommen und doch etwas Großes, für sich Stehendes schaffen kann. Das sind Klänge, die die Welt im aktuellen Zustand braucht. Denn die Kollaboration mit Minamo (Motherboard berichtete) ist nun auch schon über vier Jahre her. Deshalb war dieses Album einfach unverzichtbar.