Huren – Blood Fire Debt EP (KR3)
Wenn Huren kommt, steht die strenge Kammer bereit. Dave Foster lässt den Lederriemen seit zweieinhalb Jahrzehnten auf dieselbe Stelle schnalzen, KR3 Records klopft blankpolierte Hinterteile erst seit 2019 auf Windelweich-Releases ab. Dass sich Huren und KR3 so spät festketten, ist trotzdem eine – sorry! – Überarschung. Beide passen zusammen wie die Dom zum Sub. Wer hier wen knechtet, überlässt man dem Interpretationsspielraum.
Blood Fire Debt spannt fünf Stampfer auch ohne Machtverhältnis auf die Streckbank. Es riecht nach Leder und Metall („Polymorphia”). Schweiß fließt („The Grand Insect Operation”). Jemand schreit („Mytologinen”). Zartbesaitete mögen besser Nase, Mund und Augen schließen, dabei sind die Regeln klar: Gefickt wird, bis alle Giftlein wieder draußen sind („Ritual Purging”). Jetzt müssen wir nur noch das Safeword klären! Christoph Benkeser
Maroki – Plastic Brain EP (Ano Ano)
Verspielten Dancefloor-Schmiss in vier Teilen offeriert Maroki. Und entgegen dem Titel wirkt hier nichts künstlich, wie aus Plastik. Stattdessen wohlig warm ziseliert in analogen Bögen, kleinen klängernen Brückchen, die den Weg über den Breakdown weisen – ein fruchtig buntes Tal dort unten, durch das die Acid-Lines wie orientierungslose Schmetterlinge ihre Bahnen ziehen. Mal sind’s tief technoid wummernde Kickdrums, die den Pfad bilden. Mal hyperenergetische Breakbeats, die in ihren Bann ziehen auf dem Weg durch diesen analogen Garten irdischer Freuden, wundersamer Melodien, sanft verzögert-verwischter Stimmfetzen.
An jeder Ecke gibt es hier Neues zu entdecken. Sicherlich weniger Peaktime-Material für den verschwitzten Schwarzlicht-Floor als ein sprudelnder Genre-Springbrunnen für die entspannte Afterhour-Tanzfläche, meinetwegen auch im Freien, und als solcher wunderbar erquickend. Nicht zu vergessen: der fünfte, Vinyl-exklusive Track. Ein Remix von Kincaid nämlich, der dann doch in die tiefschwarze Bass-Nacht zieht, auf ebenjenen feuchten, verschwitzten Dancefloor. Und warum auch nicht Tim Lorenz
Mausimental – Schonzeit EP (Kame House)
Manchmal gilt wohl doch nomen est omen. Dass das Hallenser Trio Leonard Siegl, Conrad Neumann und Niklas Maranca sich unter dem Namen Mausimental zusammengetan hat, bereitet einen semantisch-kalauerisch recht zielsicher auf das Programm ihrer Debüt-EP Schonzeit vor.
Die Songs nehmen zunächst mit obertonverhangen-impressionistischer Produktion für sich ein. Herbstlich getragene elektronische Weisen, viel Stimmung, wenig Beat. Kann man alles machen. Der hingehauchte Gesang hat ein klein bisschen vom New-Wave-Weltschmerz, den seinerzeit Foyer des Arts auf Deutsch zur Meisterschaft gebracht haben. Bei Mausimental haben die Wortspiele allerdings kaum etwas von Max Goldts virtuosem Sprachwitz, vielmehr hat alles etwas artig kalkuliert Surreales. Mehr PeterLicht, doch in sehr bemüht. Da fast durchgehend Text, ein- oder mehrstimmig vorgetragen, zur Musik dargeboten ist, hängt es doch sehr vom eigenen Sinn für Humor ab, wie sehr man die Komik von Mausimental verknusen kann. Oder halt nicht. Tim Caspar Boehme
Photonz – Orpheus (One Eyed Jacks)
Als Sänger konnte Orpheus bekanntlich irdische wie überirdische Wesen erweichen. Der portugiesische Produzent Marco Rodrigues alias Photonz schaffte es mit seiner Musik jetzt immerhin, das vor sechs Jahren eingestellte Label One Eyed Jacks zu reaktivieren. Wobei sich begünstigend ausgewirkt haben dürfte, dass er das Label selbst gegründet hat.
In immer neuen Anläufen kommt dieser Orpheus ins um sich selbst kreisende Sehnen, mit kleinen, ineinandergreifenden Melodiestückchen, dazu wahlweise verzweifelt synkopisch pochende Beats (Original), tribalistisches Beharren (Kara Konchar), entschlossen vorwärtsdrängender Kuduro (SHE Spells Doom) und schließlich ein filigranes Acid-Lamento (Lake Haze). Runde Sache. Mit Kanten. Tim Caspar Boehme
Proc Fiskal – Rt Hon DL (Hyperdub)
Die Musik von Proc Fiskal klang für mich immer so, als würde sich eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung an zwei bis zwölf Quadratmetern Luftpolsterfolie zu schaffen machen. Sie knallt, aber nie so laut, dass es weh tut. Außerdem macht sie sehr viel Spaß. Diesen seelischen Scherenschnitt schafft der Schottenrock unter den Beat-Briten auch mit seinem neuen Hyperdub-Release Rt Hon.
Wir sprechen hier von vier Tracks, die allesamt in futuristischen Kurzfilmen laufen könnten, in denen sich menschenähnliche Geschöpfe in der Fisheye-Perspektive verrenken, bevor sie, sagen wir: mit Goldfischen blubbern. Man sieht diese Filmchen und denkt sich: What the fuck, zum Glück dauert der Scheiß nur drei Minuten! Der Soundtrack bleibt trotzdem hängen. Monate später hört man was Ähnliches – eine abgehackt klirrende Bassline, verschwörerischen Autotune, Pling-Plong-Percussion – und denkt sich erneut: What the fuck! Nicht aus Ablehnung, sondern der Überraschung wegen, weil: Woher kennt man bloß diese Sounds? Proc Fiskal hat diesen Brainfuck-Moment patentiert. Die einzige Reaktion ist: What the fuck! Christoph Benkeser