Claudio PRC – Challenger Deep (Delsin)
Claudio PRC macht keine Musik, die beim Eben-schnell-mal-Durchskippen im Plattenladen erfassbar ist. Die Spannungsbögen in seinen Tracks sind lang und deshalb gemächlich strukturiert, Dramatik wird nicht durch musikalisches Glutamat, sondern durch fein dosierte Elemente auf verschiedenen musikalischen Ebenen erzielt. Der Titel dieser EP könnte deshalb auch so interpretiert werden, dass die Tiefe in seiner Musik, die ja oft als Deep Techno bezeichnet wird, eine Herausforderung ist, auf die es sich einzulassen gilt, um ihre Essenz zu erfahren.
Und es klappt, die Tracks auf Challenger Deep fesseln, wenn ihnen Zeit gegönnt wird. Am besten bei hoher Lautstärke. Und noch viel besser in Gesellschaft, tanzend, feiernd. Denn das ist es letztlich, was diese beim Kurzcheck als ruhig und ambient wirkende Musik tatsächlich in sich trägt: Etwas Ekstatisches, das ohne Hysterie und Effekthascherei eine verblüffend einnehmende und mitreißende Wirkung erzielen kann. Mathias Schaffhäuser
Helena Hauff – Living With Ladybirds (fabric Originals)
Vorsicht, Kabel! Durch Helena Hauffs Studio zu tapsen, muss ein überwältigender Spießrutenlauf sein. Wie viele Synthesizer und Drum Machines sie genau auf ihrer neuen Single zum Singen gebracht hat, weiß wohl nur sie. Diese analoge Studio-Romantik, man stelle sich das nur mal vor, wie sie da an den Maschinen herumfrickelt, hier eine Melodie einspielt, da die Snare-Rolls scheppern lässt, dort wieder einen Knob dreht und die Sägezahn-Bassline aufheulen lässt.
Die neue Single auf fabric Originals drückt jedenfalls den letzten Staubpartikel aus den Bassboxen. Einzig ihre Instrumente limitieren die Hamburger Produzentin – und nicht anders will sie es. Die Vinyl-Puristin ist personifizierter Oldschool, gelebter Underground. Je hörbarer dieser Aspekt in ihren Veröffentlichungen ist, desto besser ihre Platten. Und diese EP muss sich hier nichts vorwerfen lassen. Geschickt pointierter Minimal Wave, der nicht vorgibt, etwas anderes zu sein. Besonders empfehlenswert für alle Fans früher L.I.E.S.-Veröffentlichungen und von Veronica Vasickas Minimal Wave Records. Andreas Cevatli
Jensen Interceptor x DeFeKT – Free Your Mind (Tresor)
Diese Veröffentlichung ist soundästhetisch grandios. Hier geht es um eine physikalische Kausalität: Input ist gleich Output. Und Output ist seit Jahrzehnten eine Konstante von Tresor, das so fett, so nicht-distorted laut wie eh und je veröffentlicht.
Free Your Mind ist ein Lehrstück in runder TR-808-Electro-Ästhetik. Genau so geht Groove. Genau so geht Club („Broken City”). „Leisure Machine” taucht tief in die Detroiter Musikgeschichte ein. Das könnte als Kulturkonservatismus gewertet werden. Sei es drum. Diese radikale Hybris-Verlorenheit und gleichzeitig lupenreine Frequenz-Freistellung der Synthfläche, die sich gegen das Beatkonstrukt erhebt und verschiebt, ist großes Wissen. Die einsame, dreimal nachhallende Snare kurz vor dem Break ist präziseste Detailgenauigkeit. Dort lauert es: Das große Andere der Tanzfläche. Immer noch!
Der Pressetext der Scheibe legt die Multiple-Sklerose-Erkrankung des einen und die familiäre Nähe zu dieser Krankheit des anderen Musikproduzenten offen. Empowerment. Was bedeutet das in Bezug auf analoge Musikproduktion? Gibt es eine Nähe zwischen den labilen Stromkreisläufen der TR-808, elektronischen Feedback-Schleifen, menschlichem Alter und Nervenbahnen? Das ist eine Frage, die mir bei „Nite Night” durch den Kopf fließt. Körperlichkeit wird seit jeher gesellschaftlich-normativ kontrolliert. Unsere alten Disco-Kämpfe sind eure neuen Disco-Kämpfe! Diese Mini-EP hat jedoch in Bezug auf die wohltuende Aktivierung des Dancefloor-Bodys vielleicht eine andere Agenda: Heilung. Mirko Hecktor
Narciss – Dreamcast EP (1Ø Pills Mate)
Was soll ich sagen, hier wummst’s im Karton. Auf den vier Tracks seiner Dreamcast EP macht Narciss wahrlich keine Gefangenen. Das beginnt mit dem atemlosen Trance Techno-Groove des Openers „Feather Boa Constrictor” (zusammen mit Vixen produziert). Anschließend versetzt das mit nächtlichen Atmosphären gemalte „Lovechild (Outrun Mix)” in schlafwandlerische Hypnose. „Tokyo” wiederum verbindet einen repetitiven Techno-Groove mit einer melancholisch-sehnenden Note. Und das Schlussstück „Dreamcast (Repro’s EP Mix)” ist hocheuphorischer Techno-House. Vier Tracks, vier Dancefloor-Killer – nicht weniger. Tim Lorenz
Nikki Nair & DJ ADHD – Golden Monkey EP (Seilscheibenpfeiler)
Auf der Golden Monkey EP, erschienen auf dem Berliner Traditionslabel Seilscheibenpfeiler, begegnen sich der aus Atlanta kommende Produzent Nikki Nair und der Londoner Produzent DJ ADHD. Dabei trifft Footwork auf UK-Bass, verzerrte 808-Basslines auf messerscharfe Snares und abstrahierte Beatfragemente auf vorwärtstreibende Breakbeatgrooves. Fast alle Nummern verfolgen dabei verschiedene Ansätze und verarbeiten unterschiedliche Genre-Einflüsse.
Während beim Titeltrack mit verschrobenen 808-Bassläufen und einem Garage-Pattern gearbeitet wird, flowt auf „Whaa” der MC Logan auf einem Beat irgendwo zwischen UK-Garage und Footwork. Das letzte Stück „Dis One” widmet sich schließlich vollends der Footwork-Logik. Schnelle Hi-Hat-Patterns treffen auf gebrochene Bassdrums, die parallel erklingende Vocal-Shouts rhythmisch unterstützen. Dazu erklingt manchmal eine Cowbell und die Verwirrung auf dem Dancefloor ist perfekt – zumindest für all jene, die noch an keiner Footwork-Shuffle-Nachhilfestunde via Youtube partizipiert haben. Vincent Frisch