Saoirse Ryan (Foto: Presse)
Es läuft gut bei Saoirse Ryan: Fast wöchentlich legt die gebürtige Irin in den Clubs und auf den Festivals dieser Welt auf und betreibt mit trUst Recordings seit 2021 ihr eigenes Label. Zudem veranstaltet sie eigene Partys, bucht Festival-Stages und war bis vor kurzem auch regelmäßig als Radiohost aktiv. Wir wollten wissen, wie Ryan all das eigentlich unter einen Hut bekommt, und wo der Nukleus in ihrem Schaffen liegt.
Ein volles Wochenende liegt hinter Saoirse – wie so oft in den vergangenen Monaten. Doch an diesem Montag stecken der Irin die vergangenen 72 Stunden noch ganz besonders in den Knochen. Schließlich fand da der erste Weekender ihres eigenen Labels und Party-Outlets trUst im aufstrebenden Viertel Hackney Wick in London statt. Der im Nordosten der Stadt gelegene Bezirk wurde in den vergangenen Jahren zum Sinnbild der immer weiter voranschreitenden Gentrifizierung Londons. Neben Künstlerateliers und Agenturen in ehemaligen Industriegebäuden befinden sich hier zahlreiche Cafés und Restaurants. Oder am Wochenende eben Partys mit Acts wie Minou, Goh Well und Marie Malarie.
Wer von denen bislang nichts gehört hat, ist damit nicht ganz alleine, das ist auch Saoirse selbst klar: „Als ich trUst vor ein paar Jahren gestartet habe, ging es immer darum, mit Leuten zu kollaborieren, die einzigartig sind, auch wenn sie noch nicht besonders renommiert sind”, erklärt Ryan. „Stattdessen ging es immer darum, den Künstlern zu vertrauen, weil sie talentiert sind.”
Doch mit Rrose, DJ Perception, Jason Kendig von Honey Soundsystem oder Saoirse selbst spielten während des Weekenders auch einige größere Namen. „Wir hatten über 1000 Gäste”, so Ryan. „Das war zwar noch kein Festival, aber auf jeden Fall die größte Show, die wir für trUst bisher gemacht haben. Unser Ansatz ist natürlich auch ein Risiko als Veranstalter. Aber wenn du an dich und die anderen Künstler*innen glaubst, dann finde ich, dass es wert ist, genau diesen Weg zu gehen.”
Das Kartenhaus wackelt
Alle Tickets für den Weekender waren bereits eine Woche vorab ausverkauft. Doch auch wenn Corona angesichts längst wieder geöffneter Clubs und großer Festivals ohne jegliche oder allzu strenge Hygieneauflagen für die meisten vorbei zu sein scheint, hat man als Veranstalter:in noch immer zu kämpfen – vielleicht sogar mehr denn je. „Im Moment ist es wirklich schwierig. In London mühen sich viele Veranstalter:innen ab, es ist vermutlich das gleiche Dilemma in ganz Europa. Tickets verkaufen sich einfach nicht mehr so gut. Auch wir waren eine Woche vor dem Event noch echt nervös, doch dann lief es, und ich sag’ dir, wir waren echt dankbar dafür.”
„Einige Veranstalter*innen werden wohl aufhören müssen.”
Woran das liegt? Schon vor geraumer Zeit bemerkte Ryan eine Art Blase in Sachen Partys und Festivals. Zu viele Veranstalter:innen, die ihren Teil vom zu kleinen Kuchen abhaben wollen. „Als der Lockdown beendet wurde”, sagt Ryan, „hättest du ein totes Pferd aufs Line-up packen können und das Event wäre ausverkauft gewesen. Doch aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten haben viele die Stadt verlassen. Auf lange Sicht werden einige Veranstalter*innen wohl aufhören müssen. Manche großen Events verkaufen nur noch ein Viertel der Tickets von früher, völlig verrückt.”
Statt auf bekannte Namen setzt Ryan jedoch auf ein anderes Konzept, um dem wachsenden Druck als Veranstalterin standzuhalten. „Für mich geht es immer mehr darum, lokal zu arbeiten, mit den Communitys vor Ort, den Künstlern, die nicht eingeflogen werden müssen. Das ist jetzt ihre Zeit”, so Ryan. „Außerdem müssen die Gagen runter, das war ein wahres Kartenhaus in den letzten fünf Jahren, diese extrem hohen Summen, die irgendwann gar keinen Sinn mehr gemacht haben.”
Don’t put me on a f****** podium!
Zwar besteht trUst als Partyreihe schon länger, als Label ist es allerdings immer noch ein Baby, wie die Irin sagt. Angesprochen auf das Konzept dahinter, erklärt sie: „Ich glaube, dass alle Beziehungen im Leben oft daran scheitern, dass einfach das Vertrauen fehlt. Doch genau das brauchen wir, das sind wir uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber schuldig. Das wurde mir in den vergangenen Jahren immer wieder bewusst.”
Bislang ist der Labelkatalog von trUst mit nur zwei Releases von Saoirse selbst noch überschaubar. Auf den beiden EPs Trust und Two Bruised Egos EP gibt es Tracks für die ganz großen Floors zu hören. Doch auch tiefergehende Stücke in der Grauzone von House und Techno samt typisch britischem Einschlag sind darauf zu finden. So wie in ihren DJ-Sets selbst darf es bei Saoirse auch gerne deep oder gar mellow werden.
Ein entscheidender Faktor dabei ist für Saoirse auch immer, wo sie gerade auflegt. „Ich mag kleine Venues mit niedriger Decke und einem guten Soundsystem”, schwärmt Ryan. „So was wie das Robert Johnson, da funktioniert mein Sound. Festivals können Spaß machen, doch fühlen sich viele irgendwie zu einfach an. Du weißt, was zu tun ist, um die Menge zufriedenzustellen. Ich nehme die Leute gerne mit auf einen Trip, aber auf Festivals hämmerst du einfach die Hits raus”, so Ryan. „Doch das Schlimmste ist, man steht höher als die Crowd selbst. Ich denke dann immer: Don’t put me on a f****** podium!”
Anpassen aber nicht verbiegen
Doch einige Saoirse-Tracks wie etwa „Drop the Bass” oder „Can’t We Just Have Fun” funktionieren gerade auf großen Bühnen ausgezeichnet. „Natürlich, ich mache Tracks für den Dancefloor”, so Ryan, „es ist tooly music, das ist das Fundament meiner Sets. Einfach Musik, die die Leute in Bewegung hält.”
„Als ich aufwuchs, habe ich viel Hard House und Trance gehört und später auch aufgelegt”, so Ryan, „das beeinflusst mein Mixing bis heute, sehr choppy und so.” Später haben Jeff Mills und Dave Clarke einen bleibenden Eindruck auf die Irin hinterlassen. Als sie schließlich nach London kam, waren es dann Ben UFO, Objekt oder zuletzt Batu. Allesamt DJs, die stets Brücken zwischen Szenen und Stilen geschlagen haben. „Mein Stil ist nicht ganz so extrem”, so Ryan, “vielleicht dauert die Reise von A nach B bei mir länger, aber der Einfluss war definitiv durch diese DJs gegeben.”
„Mein Stil ist nicht ganz so extrem.”
Allerdings habe sie auch schon Dancefloors in Berlin mit Garage House leergespielt, erinnert sich Ryan. „Das ist unglaublich regional beeinflusst. In London und großen Teilen von Großbritannien kann ich alles von Drum’n’Bass bis cheesy House spielen. Anderswo muss ich sehr spezifisch sein. Doch egal wie, man muss sein Publikum kennen”, resümiert Ryan. „In Berlin spiele ich gerne lange und deep. In Großbritannien muss ich immer ein gewisses Energielevel halten. Und klar, ich respektiere DJs, die sagen: F*** you, that’s me. Aber ich versuche, den Raum zu lesen und entsprechend aufzulegen. Ich würde sagen, dass mein Geschmack vielfältig genug dafür ist. Ich werde nie ein Set spielen, was ich nicht mag, aber ich kann mich anpassen, ohne mich zu verbiegen, ganz sicher.”
Wummern in der Ferne
Doch all das kommt nicht einfach so, bereits in frühen Jahren wurde Ryan durch ihre Mutter und die Party- und Raveszene in ihrer Heimat Irland geprägt. „Auf diesen Raves waren immer ein paar Kids”, erinnert sich Ryan. „Viele Leute dort waren ein bisschen hippiemäßig drauf. Manche haben Spenden gesammelt, die Partys waren ja kostenlos. So mit 13 oder 14 Jahren habe ich angefangen zu tanzen. Und meine Mutter hat mir irgendwann Leftism von Leftfield in die Hand gedrückt, nicht nur dafür bin ich ihr sehr dankbar.” Später hat sie auf ebensolchen Partys und Raves auch immer mal wieder selbst aufgelegt. „Die Clubs schließen ja immer schon um 2:30 Uhr, wir sind dann ins Auto gesprungen, irgendwo an den Strand und dann weiter”, erinnert sich Ryan. „Du hast das Wummern in der Ferne gehört und bist da einfach hin. Dieser Oldschool-Rave-Vibe, ich liebe das.”
Schon bald, so Ryan, wird es auf trUst Recordings neben ihren eigenen Veröffentlichungen einige Überraschungen zu hören geben. „Das können gute Freunde von mir sein oder ganz andere, unerwartete Künstler*innen”, sagt Ryan, ohne zu viel verraten zu wollen. „Ich habe viele Pläne, doch das braucht alles etwas Zeit – und auch das Vertrauen meiner Fans.” Unter anderem zu rechnen wäre natürlich mit Releases von befreundeten Künstlerinnen wie Peach und Shanti Celeste, mit denen Ryan sich auf Festivals von Freerotation bis Glastonbury nicht selten die Bühne teilt oder direkt b2b spielt. Doch auch wenn diese Vermutung keineswegs falsch zu sein scheint: Details gibt’s noch keine.
Noch vor ihren ersten Veröffentlichungen hatten viele Saoirse hierzulande wohl vor allem als BBC-Radio-1-Resident auf dem Schirm. Üblicherweise werden die Residencys von der BBC für sechs Monate vergeben, doch nach einem halben Jahr war für Ryan noch lange nicht Schluss. „Vielleicht mochten sie einfach, dass ich so viel Arbeit in die Themen der Sendungen steckte, und haben das Ganze deshalb verlängert”, so Ryan. „Mal war das Bleep Music aus Sheffield, mal der Sound einer ganz bestimmten Ära. Die Radios lieben das, diese Konzepte, und wenn man sich mal wirklich Gedanken über die Auswahl macht.”
„House und Techno höre ich eigentlich nur, wenn ich einen Mix mache oder Musik kaufe.”
Doch all das ist für Ryan nichts Neues. Schon mit 16 hostete sie Shows auf kleinen Piratensendern, später auf RTÉ und Rinse FM. Doch zumindest diesbezüglich gönnt sich die Irin inzwischen eine Auszeit. „Ich liebe das Radio wirklich, vielleicht mache ich es irgendwann wieder, aber momentan habe ich einfach keine Zeit dafür.”
Im Studio runterkommen
Wie so viele andere DJs auch braucht Ryan nach einem langen Wochenende mit mehreren Gigs vor allem eines: Ruhe. „An Montagen meide ich Musik wie die Pest”, sagt sie. „Jedes Geräusch macht mich wahnsinnig, meine Ohren brauchen einfach eine Pause.” Generell höre sie in den eigenen vier Wänden kaum elektronische Musik, sondern eher Klassik, den Online-Radiosender NTS oder älteren Trip-Hop.
„House und Techno höre ich eigentlich nur, wenn ich einen Mix mache oder Musik kaufe”, so Ryan. Das sei „weird”, sagt sie, „denn das ist ja mein Job.” Und der bringt es eben mit sich, dass man Musik sammeln, vorsortieren und einordnen muss, anstatt sie einfach nur genießen zu können. Letztendlich ist sie eine Art Werkzeug, so wie der Hammer für den Handwerker. Aber wie findet sie dann noch die Zeit und Passion, um selbst ins Studio zu gehen und an Tracks zu arbeiten? Das hingegen sei kein Problem, so die Irin. „Musik zu produzieren ist ein Ventil für meine Emotionen und Gefühle. Wenn ich in mein Studio in Cambridge Heath gehe, vergesse ich alles andere um mich herum. Was mich sonst stresst, kann ich dort völlig ausblenden. Es ist fast eine Art Meditation.”
Etwas Großes erschaffen
Doch als wäre das Leben als DJ, Produzentin und Veranstalterin noch nicht voll genug, ist Ryan neben all dem auch noch Mitbegründerin und musikalische Leiterin des queeren Festivals Body Movement, das Ende Juli im Osten Londons stattfand. In diesem Jahr spielen dort unter anderem Sherelle, rRoxymore, Midland und Lakuti. Laut eigener Aussage geht es Ryan dabei nicht einfach nur darum, eine Reihe großer Namen auf dem Line-up stehen zu haben, sondern eine echte Community aufzubauen.
„House, Techno und viele andere Musikarten, die man in den Clubs hört, entstanden in marginalisierten Gemeinschaften”, so Ryan. „Da fanden viele dieser Events statt, aber eben nicht in diesem großen Ausmaß. Ich habe in Großbritannien und in Europa auf vielen Queer-Events gespielt, ich fand das immer großartig. Ich dachte nur, wir sollten sie alle zusammenbringen und etwas wirklich Großes erschaffen. Und nicht zuletzt eine verdammt gute Party haben.”
Neben der Musik gibt es noch eine weitere große Passion in ihrem Leben. „Ich bin ein Foodie, das ist mein Ding. Ich liebe es einfach, drei bis vier Stunden in einem guten Restaurant zu sein, mit einer tollen Begleitung und einem guten Wein”, so Ryan. „In einem Google-Doc habe ich all diese Orte, die ich besucht habe und die ich noch besuchen will, und ich bewerte sie nach Sternen”, gesteht sie lachend vor Scham oder Stolz, nicht ganz so leicht zu sagen. „Im Lockdown habe ich viel gekocht und mein Instagram war voll damit. Ehrlich gesagt hat das sogar besser funktioniert, die Leute lieben diese Einblicke in dein Privatleben.”
Den Beruf zum Hobby machen
Doch schaut man sich ihr Instagram-Profil einmal genauer an, entdeckt man dort zwischen Gigs und Afterhours unter anderem auch eine bestimmte Person immer wieder: Ricardo Villalobos. Der ist für die Irin jedoch weit mehr als nur leichtes Meme-Futter zwischendurch: „Er ist einer meiner größten Einflüsse”, so Ryan, „einer der besten DJs. Die Risiken, die er als Künstler auf sich nimmt, das ist der Wahnsinn. Auf eine gewisse Art ist er sein eigenes Genre. So etwa alle ein bis zwei Jahre muss ich ihn hören, ich brauche dann dieses Update: Wo steht Ricardo Villalobos gerade?”
Doch wie oft geht sie selbst eigentlich noch aus? „Ich komme vom Dancefloor, ich bin ein Raver”, so Ryan. „Erst letztes Wochenende war ich in den Corsica Studios hier in London. Natürlich passiert das nicht mehr so oft wie früher, doch hin und wieder gehe ich einfach so aus, weil ich es immer noch liebe.” Ryan sei es wichtig, mit dem Dancefloor „in touch” zu bleiben, wie sie sagt. „Sonst siehst du all das irgendwann nur noch als einen Beruf, den es zu machen gilt”, so Ryan, „und ich war schon mal in dieser Phase. Man vergisst dann, warum man all das eigentlich tut. Da mittendrin stehen und tanzen, das ist es, sonst verlierst du irgendwann den Antrieb.”
Das Ego unter Kontrolle
Aber genau das scheint Ryan nach etlichen Jahren in der Szene erfolgreich zu vermeiden. Mit 22 Jahren fing sie an, bei Resident Advisor im Event- und Ticketbereich zu arbeiten. Dafür verließ sie Dublin, ein Traum wurde wahr: „Ich bin dort noch weiter in diese ganze Szene reingewachsen”, so Ryan. „Das war ein großartiger Job für mich, dazu noch gut bezahlt, und ich habe unglaublich viel Musik kennengelernt. Ich bin da musikalisch vielleicht ein bisschen engstirnig reingegangen, habe aber am Ende sehr viel entdecken können.”
„In dieser Industrie kann die kleinste Sache passieren und du bist weg vom Fenster.”
Dass ihr Job bei Resident Advisor eine Art Sprungbrett für ihre eigene Karriere hinter den Decks gewesen sei, verneint Ryan ohne zu zögern: „Ganze acht Jahre habe ich dort gearbeitet, bevor irgendwas passierte. Vielmehr war es so, dass Leute mich wegen dieses Interessenkonflikts eben nicht gebucht haben.” Mit vielen Booker:innen stand sie auf gleich zwei Ebenen in Kontakt, mal als DJ, mal als Ticketmanager im Auftrag von Resident Advisor. „Bloody awkward” war das, wie sich die Irin erinnert.
Doch die größte Lektion, die Ryan bei Resident Advisor für ihre eigene Karriere lernte, war eine ganz allgemeine: Behandle Leute stets mit Respekt. „Manche Künstler:innen haben ein oder zwei große Tracks”, so Ryan, „oder einen viralen Boiler-Room-Auftritt, und schon drehen sie durch. Doch es ist egal, wie groß du bist oder denkst, es zu sein.”
Auch sie selbst habe in der Vergangenheit Momente gehabt, wo sie hätte netter sein können. Doch inzwischen habe sie ihr Ego unter Kontrolle. Ryan sah viele Promoter:innen größer werden und ihre Macht ausnutzen, weil sie dachten, sie wären „too big too fail”, wie sie sagt. „In dieser Industrie kann die kleinste Sache passieren und du bist weg vom Fenster. Ich denke, ein bisschen Respekt und Demut können da nicht schaden. Wer weiß schon, was morgen ist.”