Chris Liebing – Bruson EP Redux (CLR)
Chris Liebing hat mit seinem selbstbetitelten Imprint CLR die Technolandschaft seit 1999 bedeutend mitgeprägt. 2010 schien es Zeit für eine erste Kursänderung, mehr Kollaborationen sollte Raum geboten werden, die Buchstaben standen fortan für „Create Learn Realize”. Doch ab 2016 wurde es still um CLR, bis zum vergangenen Sommer. Liebings eigene Bruson EP sollte eine nunmehr dritte Phase einläuten, in der die ikonischen drei Buchstaben für „Create Learn Repeat” stehen.
Um zwei zusätzliche Remixe erweitert geht diese bislang nur auf Bandcamp erhältlich gewesene EP im Februar nochmals an den Start. Die drei Originaltracks sind dabei Liebing-typisches Dancefloor-Futter. Dicke Drums, prasselnde Hats, drönende Synths. Alles klingt groß, grimmig, und ein muskulöser Groove arbeitet unablässig nach vorne.Der Planetary-Assault-Systems-Mix schafft mehr Raum für die einzelnen Elemente, zieht gleichzeitig aber gefühlt das Tempo gehörig an. Mit lebhaft texturierten Synths versprüht Luke Slaters Version also viel mehr Dynamik als das geradlinige Original. DEAS hingegen bleibt der Marschrichtung treu, versucht ihr mit Echo, Panning und Samples eine düster-cineastische Stimmung zu entlocken. Am Ende aber bleibt sein Remix zu nah an der Vorlage und vermag sich kaum vom Rest der EP abzusetzen. Leopold Hutter
dBridge & Madison Willing – Made In Silence EP (Exit)
Auf Made in Silence kollidieren die Welten von Madison Willing und dBridge alias Darren White. Ambient und orchestrale Kompositionen treffen auf mechanisch klingende Drums. In die Tracks sind filmtypische Elemente wie sanfte oder auch Spannung aufbauende Streicher oder Klaviermelodien eingelassen, die meist noch von samtigen Pads durchzogen sind. Die konfrontativ darauf treffenden, abgehackten Drums stoßen im ersten Moment auf – aber auch nur im ersten: Beide Klangwelten gehen eine Symbiose ein, in der Willing die Wogen etwas glättet und White ihnen wiederum Kanten verleiht.
Herzstück der EP ist „Set Me Free”, das ein Zurückfinden Willings zu sich selbst nach einer toxischen Beziehung rekonstruiert. Anfangs hat der Track durch dessen gebrochenen Rhythmus noch etwas Verschrobenes, doch ein Umbruch, in dessen Zuge schillernde Pads die Härte der abgehackten Drums aufbrechen, vermittelt ein Gefühl der Leichtigkeit und Katharsis. Hier, wie auch bei den anderen Tracks, ergänzen sich die Beiträge der Filmmusikproduzentin und der Drum’n’Bass-Ikone gegenseitig in polyrhythmischer Eigenwilligkeit. Louisa Neitz
Soreab – Perspectives (Accidental Meetings)
Verfeinerter Bass. Der Londoner Produzent Dario Picchi alias Soreab hat erst eine Handvoll EPs beigesteuert, gibt sich aber schon jetzt als feinsinniger Rhythmiker mit Gespür für die etwas andere Clubmusik zu erkennen.
„Drunken Ballad” abstrahiert Dancehall durch dezent außerweltliche Sounds und gezielten Einsatz nordafrikanischer Perkussion. In „Maranza Percussion Ensemble” strafft Soreab den Beat etwas, ergänzt um sparsam gesetzte Dub-Effekte. „Done Everything” gibt sich als Techno-Grime-Hybrid, passend ergänzt um einen Rap von Logan von TheOtherSide. Mit „The Sphere” endet die Geschichte dann in einer auf Beat-Diät gesetzten Dub-Techno-Variation, die fast ohne Rückgriff auf traditionelle Klangsignaturen auskommt.
Dass Soreabs stilistischer Rundumschlag auf weniger als 20 Minuten dabei nicht beliebig erscheint, hat vor allem damit zu tun, wie treffsicher er vertraute Genres mit unerwartet gestalteten Elementen umkrempelt. Tim Caspar Boehme
Space Cadets – Warp Drive (Planet Euphorique)
Für ihre zweite EP als Space Cadets, die erste erschien 2019 auf Seven Hills, kreierten Lisene und Adam Pits mit Warp Drive eine – der Titel lässt es ahnen – spaceige Angelegenheit. Mit Beats, denen das Kunststückchen gelingt, sowohl fluffig schwerelos als auch nach vorne preschend zu klingen, hüpfen sie dabei zwischen Trance und moderner Prog-House-Interpretation freudig hin und her. Für den Remix haben sich die beiden Rudolf C geangelt, der die psychedelischen Komponenten des Tracks hervorhebt: mit Warpdrive direkt ins schwarze Loch hinein und hindurch, sozusagen.
Wie schon auf ihrer ersten gemeinsamen Platte findet auf der B-Seite jeweils ein Einzeltrack der Produzenten Platz. Und war die A-Seite schon ein Bringer, so wird es auf der dunklen Kehrseite der EP noch interessanter. Lisenes „Moral Panic” ist ein düster groovender Afterhour-Hit, der sich mit swingendem Electro-Beat mysteriös ins Gehirn schraubt. Auch Pits’ mit gerader Bassdrum stampfende „Mineral Mine” ist von nicht minderer, in Trance schwingender Hypnotik – und dabei eher Peaktime als Afterhour. Tim Lorenz
V.A. – NDVAX02 (Night Defined)
Night Defined Recordings gehören zur Familie des Salzburger Plattenladens Minerva Records, der auch für seine Podcast-Serie bekannt ist und sich überhaupt als soziale Institution und nicht nur als schnöder Vinyl-Dealer versteht.
Die zweite Compilation-EP startet mit dem clubbigsten Stück des Viertrackers: Mesaks „Palic” ist ein wunderbar verspulter Breakbeat-House-Hybrid, der Electro-Sets genauso bereichern wird wie Post-Bass-Music- oder avancierte Techo-Mixe. Salzburgs best kept secret Nurah liefert danach eine ruhige, ambient-loopige und dennoch cool groovende Leftfield-Meditation. Seite zwei startet mit Mary Yalex (KANN, Dial), deren nur zweieinhalbminütiges „Running Out Of Time” ebenfalls eher für die Sofa-Hörer*in gedacht ist. Das folgende „In Circles” appelliert wieder an das menschliche Bewegungszentrum mit leicht verstimmten Chords und einem einnehmenden Bordunbass – eine Kombination, die leicht weiter modifiziert werden könnte in Richtung flockiger Summer-Tune samt poppiger Vocals. Stattdessen unterläuft Produzent Even Tuell diese Erwartungshaltung aber ab der Hälfte des über neun Minuten langen Stücks mit einer Fragmentierungsradikalkur, bis nur noch Snaredrum und Rimshot übrig bleiben. Danach dürfen alle Elemente immer mal wieder für ein paar Takte mitspielen, alles Hymnenhafte und Hittige wird aber konsequent ausgetrickst. Kann man so machen – mixfreudige DJs wird’s besonders freuen! Mathias Schaffhäuser