Balance Club / Culture Festival (Foto: Lucie Marsmann)
Das Balance Club / Culture Festival versteht sich als Schnittstelle von progressiver Clubkultur und Gesellschaftskritik und findet seit 2018 in Leipzig statt. Nachdem das Festival im letzten Jahr kurzfristig als Online-Format umgesetzt wurde, geht es am 2. Oktober erstmals als eintägiges Event im UT Connewitz über die Bühne. Mit seinem interdisziplinären Programm aus Musik, Kunst und Diskurs untersucht das Festival die politische Bedeutung von Clubkultur in der Gesellschaft, ihre Rolle in verschiedenen Communitys und ihren Beitrag für technischen und kulturellen Fortschritt. Für musikalische Highlights sorgen Lotic oder Odete.
Was hinter dem neuen Motto Re:Balance steckt und wie die Organisation während Corona geklappt hat, haben wir mit den Organisator*innen Ulla Heinrich und Franz Thiem in einem kurzen Interview vorab besprochen.
Was ist Euer Anliegen mit dem Balance Club/Culture Festival und was steckt hinter dem neuen Slogan Re:Balance?
Ulla Heinrich: Neben unserem Fokus auf progressive Clubkultur ist uns die Interdisziplinarität unserer Veranstaltungen extrem wichtig. Die Clubnächte und Konzerte sind ebenso bedeutungsvoll wie die Diskursbeiträge und die Kunst. Viele unsere Artists sind eh in all diesen Feldern gleichzeitig unterwegs. Das Balance Festival soll auch immer ein Raum sein, um gemeinsam mit Künstler*innen, Publikum und Clubakteur*innen dringende gesellschaftspolitische Fragestellungen anzuschauen.
Dabei geht es eher um ein konsequentes und kollektives Fragen als um eindeutige Antworten. Wir haben uns in den letzten Jahren unter anderem mit Club und Kapitalismus, kritischen Allianzen, Körperpolitiken, Safe(r) Spaces und Communitybuilding beschäftigt. Aber natürlich wollen wir auch einfach zusammen feiern und gute und aufregende Musik präsentieren.
Ein wichtiger Schwerpunkten für unser Festival sind queere Perspektiven. Club als queerer Schutzraum war schon immer Motor für Innovation in Musik, Kunst und Fashion. Das gleiche gilt für die Schwarze Community. Die, die am wenigsten für Innovation und Entwicklung von Clubkultur- und Musik getan haben, sind aber immer noch die, die am meisten Geld damit verdienen: weiße Cis-Männer. Da braucht es auch dringend ein Re:Balance, aber das ist noch mal ein anderes Thema.
Franz Thiem: Re:balance, weil eine schon aus den Fugen geratene Welt durch die Krise noch mehr aus der Balance gekommen ist und sich gesellschaftliche Konflikte verschärft haben und sichtbarer wurden. Es braucht eine Neukalibrierung, ein Re:Balance in der Gesellschaft und im kulturellen Bereich.
Ulla Heinrich: Durch die Covid-19-Pandemie wurden viele subkulturelle Strukturen zerstört. Viele Communitys und Projekte haben diese Zeit nicht überstanden, und auch wir selbst sind ziemlich lädiert. Die Hoffnung auf einen neuen Anfang können wir uns sicher alle schenken, aber wir wollen trotzdem klar machen, dass wir vorsichtig schauen wollen, wie wir zusammen weitermachen können: ob im Club oder in der Community.
Wie hat die Organisation während Corona geklappt? Wie seid ihr mit der ganzen Situation umgegangen?
Franz Thiem: Uns hat die Krise ziemlich aus der Bahn geworfen. Auch die Entscheidung, das Festival dieses Jahr durchzuziehen, haben wir erst sehr spät getroffen. In dem Sinne war 2021 wesentlich anstrengender, weil im Gegensatz zum Vorjahr ein paar Sachen möglich waren, wohingegen 2020 klar war, dass halt einfach nichts geht außer digital. Das Hin und Her mit Lockerungen, Schutzverordnungen und Öffnungswahnsinn dieses Jahr hat eine längerfristige Planung sehr schwer gemacht, weswegen wir uns auch dafür entschieden haben, erstmal nur einen Tag zu planen und das Festival radikal zu reduzieren.
Ulla Heinrich: Wir haben, wie sicherlich viele Gruppen, die sich kollektiv organisieren, die Zeit genutzt um auf unsere Struktur zu schauen ein paar grundlegende Fragen miteinander zu beackern, beispielsweise: Welchen Anspruch haben wir an kollektives Arbeiten und die Prozesse, die damit verbunden sind? Wir sind jetzt auch weniger Menschen als noch bei unserem letzten Festival. Ich fand’s echt schwer, als Kollektiv durch diese Zeit zu kommen, weil so viel weggefallen ist, was für diese Art der Organisierung zentral ist. Aber ich bin auch stolz auf uns, dass wir noch da sind und bald unsere erste Veranstaltung seit zweieinhalb Jahren ansteht. Wyld!
Herrscht bei den Künstler*innen noch eine gewisse Skepsis oder überwiegt die Freude endlich wieder aufzutreten?
Ulla Heinrich: Bei den Artists überhaupt nicht, die haben alle sowas von Bock! Beim Publikum aber wohl. Wir haben als In-Door-Veranstaltung die höchstmöglichen Gesundheitsauflagen und hoffen, dass Leute genauso viel Lust haben wie wir.
Neben der Musik bietet ihr auch noch Workshops und Lektüren an. Wollt ihr mit diesem Angebot speziell auf gesellschaftliche Krisen aufmerksam machen?
Franz Thiem: Ja, unbedingt.
Ulla Heinrich: Das ist ganz unbedingter Teil unseres Festivals, von Beginn an. Wir haben uns auch schon vor Covid mit gesellschaftlichen Missständen, sozialen Bewegungen und clubkultureller Gegenkultur beschäftigt. Musik ist, wenn sie spannend ist, ja viel mehr als nur Sound. Das ist aus unserem Programm von 2019: „In Krisenmomenten zeigt sich deutlicher denn je, wie sehr die kapitalistische Logik unsere Gesellschaft bestimmt – und wie wichtig solidarische Care-Praxen, Tender Squads und radikale Allianzen sind.”
Wir haben uns schon immer gefragt: Kann Clubkultur revolutionär sein? Wie können wir radikale Ideen einer Subkultur im Spannungsfeld ökonomischer Abhängigkeit von Institutionen denken? Und wie schaffen wir es, auch in Krisenzeiten, füreinander, miteinander und beieinander da zu sein? Wir wollen Diskurse aufgreifen und anregen. Wir können keine allgemeingültigen Antworten formulieren – aber Fragen stellen und aus kritischen und emanzipatorischen Perspektiven beleuchten. Balance ist also explizit auch Diskursraum für Gesellschaftskritik und Gegenkultur.
Aber jetzt doch zur Musik – was sind Eure persönlichen Highlights?
Franz Thiem: Definitiv Odete, die aus einer sehr spannenden Community in Portugal kommt. Ich hab’ sie als DJ für Deconstructed-Club-Sounds kennengelernt und bin sehr gespannt, wie sich das in ihrem Live-Set widerspiegelt.
Ulla Heinrich: Geht mir auch so! Odete macht so viele unterschiedliche Sachen, auch Film und Kunst, und ihre Platten sind so verschieden, dass ich auch sehr gespannt bin, wie das als Konzert wird. Ich bin aber auch megahappy über Lotic! Als einer der wichtigsten Protagonist*innen für progressiven Clubsound der letzten Jahre mit neuem Album Ende Oktober und nach diesen elenden Zeiten ohne Konzerte und Clubnächte stelle ich mir das Konzert sehr orgiastisch vor, muss ich sagen. So, wie wenn ein Knoten platzt. Und das passt auch gut zur sexpositiven Rapperin Myss Keta aus Italien. Ich freue mich einfach sehr darauf, laute Musik, gut gemischten Sound und Künstler*innen, die ich liebe, außerhalb meines WG-Zimmers zu hören, muss ich sagen. Da bin ich basic.
GROOVE präsentiert: Balance Club Culture Festival 2021
02. Oktober 2021
Line-Up: AUCO, Elle Fierce, Lotic, Myss Keta, Odete, Vanessa Opuku
Tickets: Tageskarte 19,80€
Balance Club Culture Festival 2021
UT Connewitz
Leipzig