Ruth Mascelli – A Night At The Baths (Disciples)

Das Debüt-Soloalbum von Ruth Mascelli, Mitglied der queeren No-Wave-Band Special Interest, ist nicht weniger als der wahrgewordene Hedonist*innen-Traum schlechthin. Schon durch das allseits abgefeierte Projekt Psychic Hotline war Mascelli zuletzt in aller Munde. In aller Munde sein, buchstäblich, davon handelt nun auch A Night At The Baths.

Als „Audiotagebuch” betitelt, das die Tour-Erlebnisse in queeren Clubs, Schwulensaunas und Darkrooms aufarbeitet, schält sich Mascelli genüsslich Schicht um Schicht ab, wirft den Trenchcoat lasziv aufs in die Jahre gekommene, schön trashig zerfetzte lederne Clubsofa und präsentiert ihr funkelndes neues Dress. Und das garantiert die ungeteilte Aufmerksamkeit aller.


A Night At The Baths gleicht einer Münze. Es gibt Kopf und Zahl. 


Die Farbe des eng am Körper anliegenden Kleids ist hierbei eindeutig Berghain-Schwarz. Jedoch funkeln die Strasssteine auf dessen Saum im Licht der Discokugel, die die spärliche Beleuchtung reflektiert, verführerisch auf. Wenn man sich mal von dieser visuellen Analogie löst und nüchtern den Blick auf die Musik richtet, wird man feststellen, dass das gar nicht so einfach ist. Zwar bietet A Night At The Baths weitaus mehr Grenzenlosigkeit und Exzess als jeder andere So-Called-Techno-Release dieses Jahres. Aber jenseits der Musik geht es Mascelli auf dieser acht Tracks umfassenden LP um weitaus mehr. 

Ruth Mascelli (Foto: Presse)

Es geht um ein Bekenntnis zum Anti-Mainstream. Um Pride. Um hart erkämpfte queere Geschichte. Um intime Erinnerungen, Sehnsüchte, Ängste und Wünsche, die (noch) keinen Platz in der oft nur vorgeschobenen und mittlerweile von den PR-Firmen zahlreicher Großunternehmen instrumentalisierten Debatte um Gay Rights, die eigentlich eine Debatte über Human Rights ist, finden.

Insofern kann man gar nicht anders, als sich bei Ruth Mascelli zu fragen, ob sie die verkopfte gesellschaftliche Vorstellung von sexueller Etikette in Zukunft ebenso sehr erschüttern wird, wie die 2020 verstorbene Genesis Breyer P. Orridge, die ebenfalls ihr Leben lang dafür – und noch vieles, vieles mehr – kämpfte.

A Night At The Baths gleicht einer Münze. Es gibt Kopf und Zahl. Das ganze Album ist ein gewaltiges Entweder Oder. Auf der A-Seite tropft der Schweiß in Strömen von der Decke. Die drei Tracks „Sauna”, „Petri Dish” und „One For The Voyeurs” pirschen sich vorsichtig heran und bringen doch jeweils ihren ganz eigenen Charakter mit sich. Man könnte auch sagen, dass sie zum Höhepunkt hinführen. Der ist nämlich harter Acid-Cum-Shot-Techno per excellence. „Libidinal Surplus” zerlegt mit einer spastischen 303-Line, roughen Drums und Peaktime-Soundeffekten jeden Club in seine kleinsten Einzelteile.

Die B-Seite zeigt die fragilen Momente jener exzessiven Nächte, die Ruth durchlebt haben muss. Wohlige Erschöpfung macht sich in Form von tiefgründigem Ambient und Synthie-Höchstleistungen, die fast schon das beinahe vergessen geglaubte Genre Berliner Schule erwähnen lassen, breit. Innovativ, in vielen Momenten einfach traumhaft schön – und voller Melancholie. Andreas Cevatli

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