Blue 08 (AD 93)

Blue 08 (AD 93)

Auch die Blue-Serie von Nic Taskers Label wird nach seiner Umbenennung von Whities zu AD 93 weitergeführt. Für die achte Ausgabe des Dancefloor-freundlichen Formats wurden bisher noch recht unbekannte Produzent*innen rekrutiert, lediglich Sapphire Slows machte im vergangenen Jahrzehnt mit Releases auf Not Not Fun oder Nous auf sich aufmerksam. Der Chilene Mucho Sueño eröffnet die Mini-Compilation mit einem langen Spannungsbogen, der über zehn Minuten hinweg holzige Percussion und elegische Klangflächen, zappelnde Kicks und trockene Synthie-Tupfer ineinander schiebt – atmosphärisch dicht und spannungsgeladen. Der zuletzt auf Something Happening Somewhere vertretene Niederländer Dobbelaer geht es weniger trippy, dafür aber ähnlich dramaturgisch an – sein Sound navigiert zwischen unterkühltem raster-noton-Sounddesign und dem IDM-Techno, den das Label Semantica so entschieden geprägt hat. Exzellent produziert, nicht unbedingt aber spannend umgesetzt. Der stampfende und doch wattige Techno von Martinou schafft viel Platz für Pathos, integriert ganz große Gesten in ein ansonsten bescheidenes Klangbild und bereitet damit würdevoll auf das große Finale vor: Die in Tokyo lebende Sapphire Slows verwendet geschichtete und manchmal etwas windschiefe Vocals auf viel Minimal-Geklacker, das sich bald schon in pumpenden Pop auflöst, gegen Ende hin aber unschlüssig versandet. Die Stärken von Blue 08 liegen definitiv in den Ansätzen von Mucho Sueño und Martinou: Clubmusik für die Couch. Kristoffer Cornils

DJ Swisha – Nothing But Net (Fool’s Gold)

DJ Swisha - Nothing But Net (Fool's Gold)

Es war ein produktives Jahr für den in LA aufgewachsenen und mittlerweile aus Brooklyn operierenden DJ Swisha. Nach gleich vier unterschiedlichen EP-Releases kommt mit Nothing But Net ein weiterer Hybrid aus Techno und (Ghetto)House, gemixt mit Juke-Elementen. Das ist eine spezielle Mischung, die sowohl rhythmische Freiheiten lässt und einen gewissen Swag transportiert, gleichzeitig aber auch den Headsdown-Charakter der monothematischeren elektronischen Stile in sich vereint. So kommt der Opener „Reconstructed Club” mit seinen gecutteten Vocal-Schnipseln und den düsteren Stabs angenehm frisch daher und weckt ähnliches Interesse auf mehr, wie es die frühen Swamp81-Releases mit ihren vorwärtsgewandten Bass-Musik-Hybriden taten. „Fake Molly” dreht am Filter und hüpft gut gelaunt durch die Bassbox, passend zum aktuellen Revival von analogem 808-House, tut das aber mit genügend Chuzpe und Drive, um sich nicht selbst zu überholen. Verführerisch die Gesangseinlage von Bahamadia, die der verträumten Nummer „Crypto” eine Portion Street-Cred verleiht. Jenseits der 160-BPM-Marke dann „Methods”, ein knochentrockener, loopiger Juke-Track, dessen Groove sich langsam heraus schält, mit geschickter Rhythmus-Verschachtelung dank seiner Kurzweiligkeit dennoch gewinnt. Der Titeltrack „Nothing But Net” schöpft dann nochmal aus dem Vollen: mit schwergewichtigen Oldschool-Drums, definiertem Acid-Gezwitscher und obligatorischem Ghetto-Chorus kommt hier zusammen, was so noch wenige zusammen versucht haben. Respekt an DJ Swisha, der hier seinen Nischen-Sound gefunden hat, und damit wohl noch eine Weile gut fahren wird. Leopold Hutter

Master Plan – Electric Baile / Pushin’ Too Hard (Gerd Janson & Enzo Elia Edits) (Running Back Super Sound Singles)

Master Plan - Electric Baile : Pushin’ Too Hard Gerd Janson & Enzo Elia Edits (RB SSS)

Nur zwei Jahre haben dem Chicagoer Duo Master Plan ausgereicht, um die Geschicke der Dance Music maßgeblich mitzuprägen. Mit „Electric Baile” hatten die Sängerin Pepper Gomez und der Produzent Tom O’Callahan 1986 einen Hit, der bereits zwei Jahre später auf der einflussreichen, das Genre Chicago House für europäische Hörer*innen aufschlüsselnden Compilation The History Of The House Sound Of Chicago seinen Platz neben Derrick May und Kevin Saunderson eingenommen hat. Insbesondere die Konvergenz von Electro/Freestyle-Elementen, Italo-Disco-Motiven und Latin-Sounds, für die ungefähr zur gleichen Zeit in New York The Latin Rascals und in Chicago Ralphi Rosario standen, wirkte seinerzeit stilbildend und wirkt heute noch exemplarisch. Im Rahmen seiner grandiosen Super-Sound-Singles-Serie schickt Running Back die Proto-House-Nummer im Edit von Enzo Elia erneut auf den Dancefloor. Der italienische Producer, erst vor kurzem mit seinem Debütalbum Alles Paletti ! wieder ausgesprochen positiv in Erscheinung getreten, begradigt die Matt-Warren-Produktion um eine retardierende Passage und poliert die Beats des an Jagos „I’m Going To Go” erinnernden Grooves auf, indem er den Nachdruck der Drum-Machine-Patterns, Robo-Handclaps und Steeldrum-artigen Latin-Percussion verstärkt. Wie auf den Maxis der 80er gibt’s ganz stilecht noch einen „Dub Edit” und „Bonus Beats” dazu. Gerd Janson nimmt sich dagegen des Master-Plan-Debüts von 1984 an: Mit ihrer ersten Produktion, dem The-Seeds-Cover „Pushin’ Too Hard”, hatten sich Gomez und O’Callahan an einem Contest des von Studenten des Columbia College geführten Labels AEMMP beteiligt und gleich den ersten Platz abgeräumt. Faszinierend, wie Janson das Geschehen in seinem „Mega Mix” verdichtet, ohne die Substanz zu verfälschen. Fast noch wirkungsvoller der „Instrumix”, der auf Vocals zwar naturgemäß verzichtet, wodurch aber die Interjektionen umso besser zur Geltung kommen. Running Backs Super-Sound-Singles-Serie hält auch mit dieser Ausgabe an ihrem Versprechen fest: Musik von gestern für die Floors von morgen. Harry Schmidt

Otik – Amor / Seasonal FX (Keysound)

Otik - Amor: Seasonal FX (Keysound)

Der englische Produzent Otik ist ausgerechnet in diesem Jahr in der Form seines Lebens. Das ist irgendwie sehr schade für ihn, würde man ihm doch wünschen, dass er seinen kreativen Lauf unter günstigeren Bedingungen besser ummünzen könnte. Mit seiner neuesten Single gastiert der in Bristol aufgewachsene, inzwischen in London lebende Musiker mal wieder beim UK-Label Keysound Recordings, das einst zu Dubstep-Zeiten von Dusk und Blackdown gegründet wurde. Die A-Seite seiner neuen Platte trägt den emotional positiv besetzten Titel „Amor”. In Wirklichkeit jagt dieser sehr sphärische Broken-Techno-Track in einem Moment Schauer über den Rücken, während man im nächsten vor seiner Schönheit in Ehrfurcht erstarrt. „Seasonal FX” auf der Rückseite ist in der Vorweihnachtszeit des letzten Jahres entstanden, klingt aber nicht unbedingt so. Der Track ist deutlich schneller, von der Szenerie her erinnert er ein bisschen an solch deep-darke Drum’n’Bass-Platten, wie sie zirka 1993, also eigentlich vor Drum’n’Bass, von Leuten wie DJ Crystl oder DJ Mayhem produziert wurden. Ebenfalls grandios. Holger Klein

Vinicius Honorio – 4×4 Series Pt. 2 (Fiedeltwo)

Vinicius Honorio - 4x4 Series Pt. 2 (Fiedel Two)

Das Label Fiedeltwo knallt als Sublabel von Fiedelone – das nur Eigenproduktionen von Fiedel selbst veröffentlicht – dunklen und rohen Techno international renommierter Musikproduzenten auf die Tanzflächen der Welt. Ganz so, als gäbe es keine Pandemie, klingt das nach Main-Room. Und der Gründer und Berghain-Resident weiß ganz genau, wie eine Kickdrum durch eintausend nackte Oberkörper pflügen muss. Das hat ihm nicht nur die Funktion-One-Showroom-Anlage im Berghain klar gemacht. Er bespielt und betreut ebenfalls seit Jahren das legendäre Killasan Soundsystem als Tontechniker. Den Vertrieb des Labels gewährleistet Hardwax. Seit 30 Jahren ist der Plattenladen in Kombination mit dem Mastering-Studio Dubplates & Mastering die Instanz in Sachen Berliner Techno. Die 12’’-Platte des in London lebenden Brasilianers Vinicius Honorio, der in den Nullern für seine Drum’n’Bass-Produktionen bekannt wurde, treibt deshalb logischerweise jackend-industrielle und gerade Four-to-the-Floor-Dampframmen-Kicks in deepe, paranoid-psychedelische Detroit-Triolen („Pandora’s Box”).  „Brainwash” morpht analog und sexy in wackeligen Schaltkreisen der TR-909 umher und entfacht über synkopischen Rolltreppen-Schleifsounds euphorische Glockensynth-Mystik. Die B-Seite bietet weniger konventionelles DJ-Material. „Just Another Acid Track” und „Naughty” zeigen eine Mischung aus Dead-on-Breaks, gepaart mit eindringlichen, geisterhaften und hypnotischen Stimm-Samples. Man denkt an früher, und bekommt fast etwas Lust, in einem eng gefüllten Club mit zweitausend schwitzenden, im Gleichschritt stampfenden Lederoutfit-Jungs die Sau rauszulassen. Mirko Hecktor

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