Die auffällige Rückkehr der Geister in die Popkultur verändert auch das Verständnis von Schönheit. Wie die Goth-Kultur so klar erkannt hat, ist Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit, die Möglichkeit des Verschwindens ein wesentlicher Teil ihrer Faszination. Schönheit ist Tod in kleiner, pharmazeutischer Dosis.

Wie morbide dieses spezielle Wissen um ihr flüchtiges Wesen, die Vorahnung von Verlust und die Nachbilder von Emotionen ist, hängt natürlich vom Charakter der Menschen ab die sie in ihrer Arbeit zulassen. So ist die Live-Aufnahme Avalon von Celer in der Tradition von Leyland Kirby, Stephan Mathieu und Richard Chartier aus in Echo, Hall und Feedback verwehtem Pop und nostalgischen Ballsaal-Tanzmusik gefertigt und erinnert nicht zufällig an die halluzinierte Geisterwelt aus Stanley Kubricks The Shining. Aber Will Long wäre nicht der Ausnahmekünstler der er ist, wenn nicht eine gebrochene Schönheit Tod und Zerfall jederzeit überwinden würde.

Im Vergleich zu Celer sind die verlorenen Sounds von Richard Chartiers Geisterbeschwörungsprojekt pinkcourtesyphone, in dem er die minimalistische Strenge seiner Soundart-Kompositionen unter seinem bürgerlichen Namen zugunsten von delikatem Ambient auf der Basis nostalgischer Samples erweitert hat, auf Indelicate Slices (Room40) sehr düster und maschinell kühl geraten. Das Klangbild „Negative Mood Music“ prägt weniger morbider Schellack-Spuk aus verfallenen Großbürgervillen denn defekte Industriemechanik aus giftmüllverseuchten Maschinenhallen.


Stream: Pinkcourtesyphone – Indelicate Slices

Drone- und Soundartist Yann Novak lebt wie Chartier in Los Angeles und hat mit ihm auch schon kollaboriert. Sein enigmatisch betiteltes Album The Future Is A Foward Escape Into The Past (Touch) lässt allerdings geringfügig mehr Licht in die dräuende Düsternis. Novak ist ein Meister der subtilen Kunst in einem vermeintlich gleichförmigen Wulst aus Klang kleine Soundereignisse geisterhaft aufscheinen zu lassen, die aber bevor sie richtig erkennbar sind schon wieder verschwunden sind. Die Geister denen er hinterherjagt sind die der Erinnerung, der vergehenden Zeit. Der klassisch ausgebildete Cellist Jean-Philippe Feiss, der bisher vorwiegend akustisch und als Soundtrack und „Library Music“-Komponist zwischen Jazz und Neoklassik aktiv war, hat sich für Ghost Planet (Opa Loka), sein Debüt als Elektroniker unter dem Alias Ze-Ka, von einem realen dystopischen Ort inspirieren lassen, der Reaktorruine von Tschernobyl mit ihren verstrahlten „roten“ Wäldern in der Umgebung. Fragile Cello- und Synthesizer-Drones die den geisterhaften Spuren von Leben in einer vom Tod geprägten Umgebung nachspüren.


Stream: Ze-Ka – Red Forest

Eine weltlichere Art von Spuk sucht das heim, was als gemeinhin als „Post-xyz“ firmiert. Im Gegensatz zu den geradlinigen genretreuen Originalen vor der „Post“, ist ihrem Nachhall die Vergeblichkeit und gefühlte Nutzlosigkeit nicht fremd. So arbeitet Post-Rock gerne mit dem Pathos von Rock und der erhabenen, ebenfalls gerne pathosreichen Komplexität von Prog und holt sich seine Verbindlichkeit aus den flüchtigen, temporären Denk- und Spielweisen von Jazz und Improv. Kommt dann noch ein gewisses Gespür für Pop-Momente dazu, kann im besten Fall eine unwiderstehliche Mischung entstehen, wie das Berlin-Brüsseler Trio Dictaphone in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder demonstriert hat. Die smarte Besetzung aus Saxophon/Klarinette, Violine und Elektronik erlaubt ihnen einen warmen organischen und recht freien jazzigen Sound, der aber weitgehend in leichtgängige Songstrukturen zwischen Folk und Pop eingebunden ist. Ihr erst viertes Album APR70 (Denovali) bringt diese auseinanderstrebenden Elemente und Gefühlslagen in einen perfekten Einklang, wie schon ihre früheren Arbeiten, die zum Bandjubiläum jetzt alle auf Denovali wiederveröffentlicht werden.

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