Im ersten SchwuZ wurde gestrickt, Partys kosteten eine Mark Eintritt, später traten auch Stars wie Blondie, Boy George oder Erasure auf. Wir wollten von SchwuZ-Aktivist Michael Ostwald wissen, welche Rollen der Club in den verschiedenen Jahrzehnten, an den verschiedenen Orten in den schwulen und queeren Communitys der Stadt gespielt hat – und, wie er zur aktuellen Krise steht.
GROOVE: Welche Beziehung hast du zum SchwuZ? Wie bist du zum Club gekommen?
Michael Ostwald: 43 Jahre bin ich jetzt dabei. Ich kenne alle Locations, hab‘ die teilweise mit aufgebaut und war 35 Jahre mitverantwortlich. Und ich hab‘ die Bauleitung bei der aktuellen Location im Rollbergkiez gemacht.
Kannst du dich an dein erstes Mal im SchwuZ erinnern?
Das erste Mal, das weiß ich noch genau, war am 4. Juli 1981. Das war kurz nach meinem Coming-out. Ich war politisch tätig und dachte: Jetzt versuche ich endlich mal, den Fuß über die Schwelle zu setzen. An dem Abend gab es einen Auftritt von einer Gruppe namens Transitiv. Ich kann mich nur noch schwach daran erinnern, die hatten so eine Behelfsbühne. Jedenfalls war das noch in der Kulmer Straße [in Schöneberg, Anm.d.Red.]. Das war mein erster Berührungspunkt, 1982 kam ich dann richtig rein. Dazwischen ist so eine große Lücke, die kann ich jetzt nicht mehr nachvollziehen.
Wie kann man sich das erste SchwuZ in Schöneberg in der Kulmer Straße vorstellen?
Das war in der vierten Etage, eine Fabriketage, über drei Hinterhöfe zu erreichen. Die Leute waren alle ehrenamtlich tätig, es gab keine bezahlten Stellen. Beim Konzert von Transitiv ging es relativ persönlich zu. Es waren 60, vielleicht 80 Leute da. Samstags beim offenen Abend, also bei den Partys, kamen schon 300, 400 Männer rein – eine ganz andere Größenordnung.
Ausschließlich Männer?
Ja, damals war alles getrennt. Frauen sollten nicht reinkommen, Frauen wollten auch gar nicht reinkommen. Die hatten einen anderen Raum, zwei Etagen tiefer. Dort war das Lesbische Aktionszentrum. Bei uns hieß es ja noch HAW, also Homosexuelle Aktion Westberlin. Es hat sich erst viel später entwickelt, dass alles zusammenkam. Anfang der Achtziger war die Zeit, in der jeder etwas für sich machen wollte. Erst mal politisch und dann natürlich auch partymäßig.

Wie sah dein Einstieg 1982 aus?
Damals hieß es: Wir bauen jetzt eine neue Bühne. Ich hab‘ dann mitgeholfen, die ganzen Baumaterialien für die Holzbühne nach oben zu tragen. Und von da an war ich gefangen und hab‘ angefangen mit auszubauen. Ab 1983 war ich im Vorstand und hatte relativ freie Hand, nötige Reparaturen oder Umbauten zu machen. Weil man damals ja noch rauchen durfte, hab‘ ich erstmal Fensterventilatoren besorgt und eingebaut. Das war extrem, der Rauch war damals unerträglich. Manchmal dachte man, dass wir mit Nebel gearbeitet haben, es war aber Zigarettenrauch.
„Bei uns durften sich alle ausleben.”
Wie kann man sich das Programm damals vorstellen?
Es gab Tuntengruppen, die haben sich selbst so genannt. Das waren Männer, die sich als Frau geschminkt haben und so aufgetreten sind. Heute sagt man Dragqueen dazu, den Begriff gab es damals aber noch nicht. Die Auftritte wurden auch mit politischen Inhalten verbunden: Die Auftretenden wollten bewirken, dass Schwule und Lesben in der Gesellschaft anerkannt werden. Es gab jede Menge Auftritte, manchmal von Einzelpersonen, manchmal zu zweit oder in einer Gruppe. Das kulturelle Highlight war die Ladies Neid, die gab es auch später in der Location an der Hasenheide.
Was hat diese Gemeinschaft damals ausgemacht?
Wir haben die ganze Community miteinbezogen. Verschiedene Gruppen von der Uni konnten zu uns kommen und durften Abende gestalten. Das war ein ineinandergreifendes Zahnrad. Wir haben das schwule Leben in Berlin organisiert, auch mit Vereinen. Bei uns durften sich alle ausleben.
Wie klang das? Was war damals der Sound des SchuwZ?
Das war damals schon ein bisschen poppig, klar. Mitte der Achtziger gab es eine Entwicklung in Richtung New Wave. Insgesamt war es aber eine bunte Mischung. Je nachdem, wer als DJ auftrat oder welche Gruppe den Abend gestaltete. Es gab auch härtere Sachen, das ging dann teilweise in Richtung Techno.

Nach der Kulmer Straße ging es in die Hasenheide. Wie kam es dazu?
1986 sollte das Gebäude saniert werden. Wir hätten bleiben können, wegen einer neuen Wendeltreppe und den Fluchtwegen wären aber nur 100 Personen erlaubt gewesen. Das kam nicht infrage. Ende September haben wir Schluss gemacht, und dann bin ich mit meinem engsten Partner aus dem Vorstand auf die Suche gegangen. Wir haben uns viele Locations angeguckt, sind aber letztendlich an die Hasenheide gekommen. Auch wieder eine Fabriketage, auch wieder vierter Stock – aber dieses Mal mit Lastenfahrstuhl.

Welche Vision hattet ihr für die Hasenheide?
Es war klar, dass wir nicht kleiner werden durften, das hätte nicht funktioniert. Aber wir wollten auch nicht wachsen. Es sollte ähnlich wie in der Kulmer Straße sein. Wir hatten 500 Quadratmeter in der Etage, hatten aber auch die Schwule Presseschau, den Rosa-Winkel-Verlag und die Siegessäule dabei. Die haben wir alle mitgenommen.
Wie hat sich die Stimmung am neuen Ort verändert?
Es war viel mehr Kultur, viel mehr Gruppen, die teilweise auch heute noch unterwegs sind. Thomas Hermanns mit seiner Frontbetreuung, zum Beispiel. Es gab auch politische Veranstaltungen, etwa eine Talkshow-Serie, die Matthias Frings gemacht hat. Er hat immer prominente Menschen eingeladen. Und dann gab es Bühnenstücke, das waren nicht speziell schwule Geschichten, das war ein bisschen breiter gefasst.
In der Hasenheide wart ihr bis 1995. Warum musstet ihr schließlich weg?
Es passierte dasselbe wie zuvor in der Kulmer Straße. Der Vermieter kam auf uns zu und wollte modernisieren. Dann stieg natürlich die Miete, das konnten wir uns aber nicht mehr leisten.
Die dritte Location des SchwuZ lag am Mehringdamm.
Es ging in den Keller. Freitags kam das Café im SchwuZ dazu. Und es gab andere und einfach mehr Veranstaltungen. Das ging auch mit einer Professionalisierung einher, 1996 gründeten wir eine GmbH.
Wieso?
Ich habe das nur am Rand mitbekommen, aber: Es gab Schwierigkeiten, als Verein eine Gastronomie zu betreiben, weil man die Mehrwertsteuer nicht absetzen kann. So musste man hinterher über die Steuererklärung versuchen, das wieder reinzubekommen. Und vor allem sollten die Leute ja auch bezahlt werden. Der Verein ist aber bis heute der Eigentümer der GmbH.

Wie lief diese Art der Professionalisierung?
Wir haben uns als Team aus sechs bis acht Leuten zusammengesetzt und wöchentlich besprochen, was in der Folgewoche passieren soll. Es gab zwei Samstage, die wir selbst gesteuert haben, dafür hab‘ ich das DJ-Booking übernommen. Da hatten wir beispielsweise Paul van Dyk oder Superzandy bei uns.
Wie habt ihr den Ausbruch der Techno-Kultur damals wahrgenommen? Hat euch das damals beeinflusst?
Bei uns ging es damals eher um House, härtere Sachen liefen nur gelegentlich. Aber wir hatten auch einen zweiten Floor mit der üblichen Popmusik. Der Techno-Trend hat uns nicht beeinflusst. Wir haben uns damals auch mehr mit den Bühnenshows befasst.
„In der Zeit war ich jeden Tag hier, habe morgens aufgeschlossen, wenn die Bauarbeiter kamen, und abends wieder abgeschlossen.”
Am Mehringdamm wart ihr bis 2013. Warum seid ihr da weg?
Wir hatten ständig Stress mit dem Sohn des Eigentümers, der hat vorne das Café betrieben. Da mussten wir immer durch, um zu unserem Keller zu gelangen. Am Anfang war uns das erlaubt, irgendwann meinte er, dass wir dafür Geld bezahlen müssen, weil wir ihm Gäste wegnehmen würden, was natürlich Quatsch war. Die haben vorher ein Getränk bei ihm gehabt, bis wir öffneten, dann sind sie runtergegangen. Wir hatten auch einige Havarien an den Abwasserrohren. Wenn es draußen stark regnete, lief da was raus. Dann haben wir gesagt, dass wir diesen Stress nicht mehr lange mitmachen. 2008 gingen wir wieder auf die Suche, anfangs haben wir aber keine passende Location gefunden.
Wie seid ihr dann auf die heutige Location am Rollbergkiez gekommen?
Per Zufall. Ein Bekannter hat uns gesagt, dass es am Rollbergkiez eine Insolvenz gab. An der Stelle war vorher das Cube, ein Techno-Club. Die haben wahnsinnig viel Geld in den Umbau gesteckt, 1,5 Millionen Euro. Die hatten dann diese riesige Halle, aber das falsche Konzept. Es kamen immer nur 50, 60 Leute.
Wie war der Start in Neukölln?
Manche waren begeistert, andere haben gesagt, dass das überhaupt nicht gehe mit dem Umzug nach Neukölln, in diese angeblich queerfeindliche Ecke. Anfang April 2013 haben wir uns die Location trotzdem angeschaut und danach ein halbes Jahr umgebaut. Die Aufteilung des alten Ladens war nämlich völlig daneben. In der Zeit war ich jeden Tag hier, habe morgens aufgeschlossen, wenn die Bauarbeiter kamen, und abends wieder abgeschlossen.
Warst du dann auch beim SchwuZ angestellt?
Das war alles ehrenamtlich. Ich habe nur ein-, zweimal in der ganzen Zeit am Mehringdamm Geld genommen, als ich quasi dazu gedrängt wurde. Ich war parallel im öffentlichen Dienst tätig, hatte da einen tollen Job bei den Berliner Wasserbetrieben. Mir ging es nicht ums Geld.
Und wie wurde der neue Standort im anderen Kiez von eurer Community angenommen?
Anfangs euphorisch, dann zögerlicher, im Ganzen aber gut. Es gab Veranstaltungen, die richtig gut besucht waren. Ein Beispiel dafür ist Bump, die Retro-Veranstaltung. Eine andere ist der Popkicker. Das waren Größenordnungen, die Leute standen bis an den REWE.
Lag der musikalische Fokus damals immer noch auf House, Disco und Pop?
Es war schon poppiger geworden. Die Veranstaltungen mit Rock und Indie waren vollkommen raus, weil die in den neuen, größeren Räumen nicht mehr gut genug besucht waren. Auch House ist ein wenig weggebrochen, das hat sich langsam so entwickelt, das verstehe ich bis heute nicht. Vielleicht lag es am Booking oder an der Konzeption der Veranstaltungen, das lief ja vor allem über die GmbH.
Aktuell steckt das SchwuZ in einer großen Krise, musste sogar Insolvenz anmelden. Wie hat sich das so zugespitzt?
Ich bin natürlich nicht mehr voll im Tagesgeschäft. Nach Corona habe ich mir allerdings die Zahlen angeschaut und gesehen, dass es in jedem Monat ein Minus gab. Weniger Besucherzahlen, weniger Gäste, aber dasselbe Personal. Da passte die Balance nicht mehr. Trotzdem wurde zu spät reagiert, man hätte einige Mitarbeitende früher kündigen müssen.
Wie erklärst du dir die zurückgegangenen Besucherzahlen?
Die junge Generation geht weniger aus, und wenn sie ausgeht, dann eher in Bars oder kleinere Clubs. Dort gibt es auch DJs, das ist aber eine andere Welt. Das Problem haben auch andere Berliner Clubs.

Wie ist euer Altersdurchschnitt aktuell?
Sehr jung, der größte Teil ist zwischen 20 und 30. Es gibt noch einen Anteil an Ü30-Leuten, danach nimmt es stark ab. Die Älteren kommen nicht mehr, weil sie nicht mehr so oft ausgehen. Und natürlich spielt auch die Uhrzeit eine Rolle. Sie wollen mit der Party nicht mehr erst um 23 Uhr starten.
Wie stehst du zu einem Umzug zurück in eine kleinere Location, zurück zu den Wurzeln? Wäre das ein Ausweg aus der aktuellen Problematik?
Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Das Problem ist, dass wir das Mobiliar und die Technik nicht mitnehmen könnten, weil wir uns aktuell in der Insolvenz befinden. Bei einem Umzug fehlt uns dann das Anfangskapital. Wir haben in der aktuellen Location auch eine unglaublich günstige Miete. Wir zahlen hier das Gleiche wie am Mehringdamm, wo wir nur die Hälfte der Fläche hatten. Das findet man im Innenstadtbereich nicht mehr.
Was wollt ihr dann verändern?
Wir wollen andere Veranstalter mit anderen Partykonzepten reinholen, um das Ganze ein wenig variabler zu gestalten. Das versuchen wir aktuell zum Beispiel mit Buttcocks, einer sexpositiven Techno-Party.
Wie fühlt es sich an, das SchwuZ gerade in der Krise zu sehen?
Es tut schon weh, wenn man die ganze Entwicklung mitgemacht hat. Ich hab‘ dem SchwuZ in der Vergangenheit selbst was geliehen, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ich sag‘ immer: Zeiten ändern sich. Wenn es wirklich bis zur Schließung kommt, wäre das sehr schade. Ich glaube aber, dass wir das schaffen.