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Wolfgang Tillmans‘ Ausstellung „Weltraum” in Dresden: Das Remscheid-Paradoxon

Mit seinen Bildern von Berliner Technopartys der frühen Neunziger hat Wolfgang Tillmans das Bild der entstehenden Subkultur geprägt, ebenso die Ästhetik eines queeren Aufbruchs, der die schwul-lebischen Identitätskategorien der Achtziger aufbrach.

Als Auftakt des Super-Tillmans-Jahres mit drei Großausstellungen in bedeutenden Museen eröffnete das Albertinum Dresden im Frühling Weltraum. Bei der Schau geht es um nicht weniger als um einen Take zum Status Quo der menschlichen Zivilisation, sie umfasst Bilder aus verschiedenen Zeiten und diversen Werk-Reihen. Außerdem sind in einem Albertinum-Kino mehrere Videos zu sehen, die der Künstler zu seiner eigenen Musik geschnitten hat. Was alle Stücke vereint, ist ihre Geschwindigkeit: relaxt bis moderat, findet GROOVE-Autor Christoph Braun.

Ausstellungsansicht Wolfgang Tillmans. Weltraum (Foto: Oliver Killig/ Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

Alle kennen Remscheid. Das ist eine jener zig Städte im Ruhrgebiet, die nicht ganz so groß sind wie Essen oder Dortmund. Oder war das Lüdenscheid? Beide liegen zwar am Rande, doch nicht eindeutig im Ruhrgebiet. Den Namen beider Städte hören wir dennoch „immer wieder mal”.

Ausstellungsansicht Wolfgang Tillmans. Weltraum (Foto: Oliver Killig/ Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

So kann es uns passieren mit den Arbeiten der Künstler:innen, mit denen wir aufwachsen. Sie mögen wichtig sein für uns ganz persönlich, weil sie vielleicht in einer entscheidenden Phase unseres So-werdens-wie-wir-sind ganz nah und ganz da waren. Vielleicht haben sie uns sogar die Augen für etwas geöffnet. Etwa, wie Kunst sich ändern kann. Oder dass Kunst sich ändern kann, und es bleibt noch unsagbar, was das Neue ist, das wir gerade sehen. Und doch kann diese Nähe zu einem Paradoxon führen, nennen wir es „Remscheid-Paradoxon”.

Ausstellungsansicht Wolfgang Tillmans. Weltraum (Foto: Oliver Killig/ Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

Es kommt die Zeit, da verlieren wir den oder die Künstler:in aus der Sicht. Irgendwann taucht die Person, nennen wir sie Wolfgang Tillmans, dann wieder auf. Und dann beginnen wir zu stammeln. Denn es fehlt das Update, es mangelt am Abgleich: mit der Person und ihrer Weltsicht und ihrer Sprache, die wir heute sind. In diesem Jahr gibt es in Dresden, im Centre Pompidou zu Paris sowie im Haus Cleff in Remscheid drei bedeutende Einzelausstellungen des Fotografen, der sich ebenso als Musiker, Filmer und Aktivist begreift und seinen derzeitigen Wohnsitz mit Berlin angeben lässt.

Der vor hellgrauer Hochhauslandschaft im Inneren wachsende Rosenkohl ahmt die Geometrie der Welt da draußen nach und schenkt ihr gleichsam seine zerdellte Kugelförmigkeit.

Wolfgang Tillmans wurde 1968 in Remscheid geboren. Bevor er zu einem der weltweit bekanntesten Fotografen heranwuchs, machte er sich einen Namen mit der Veröffentlichung in Zeitgeist- und Modemagazinen wie The FACE und i-D, später auch in der GROOVE. Und bei einem ersten Gang durch die Ausstellung Weltraum im Dresdner Albertinum wird deutlich, dass der junge Fotograf radikal mit der Geschwindigkeit der Fotografie brach.

Landschaft des Lichtfalls

Bis in die späten Achtziger hinein prägten Blitz und Kontrast die Bildsprache jener Magazine – und somit die Geschwindigkeit. Das individualisierte Ego sollte aufgemotzt hergezeigt werden, eindeutig und FETT, doch mit Tillmans kam etwas ganz anderes auf: er zeigte Freund:innen an der englischen Küste im natürlichen Licht und in ungestellten Posen. Selbst wenn er porträtiert, etwa Jodie Foster, geht es um die ganze Landschaft des Lichtfalls. Oder wie Tillmans sich im GROOVE-Interview anlässlich des Groove Podcast 417 äußerte: „Ich wollte keine coolen Frauen und trendigen Typen fotografieren, ich war auf der Suche nach der Essenz des Ganzen. Eine jede Person stand stellvertretend für ein Gefühl, das ich in anderen Nächten oder Personen erlebt oder in mir selbst gespürt hatte.”

Ausstellungsansicht Wolfgang Tillmans. Weltraum (Foto: Oliver Killig/ Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

Diese Bilder nehmen sich die Zeit, sich auszubreiten in ihren Farbläufen, in ihren immer wieder trocken-lustigen Formen. Der vor hellgrauer Hochhauslandschaft im Inneren wachsende Rosenkohl ahmt die Geometrie der Welt da draußen nach und schenkt ihr gleichsam seine zerdellte Kugelförmigkeit.

Leuchtende Rinnsale

Unten, im Kinoraum, werden Regentropfen zu Weichzeichnern: Im Videofilm zu seinem Track „Modernist Survival Unit” hält die Kamera auf die Frontscheibe während einer Fahrt durch die nächtliche Großstadt. Es regnet, Tropfen bilden Rinnsale in leuchtenden Farben. Das Weiß einer türkisen Wasserfläche ist dagegen Formbildner in einem weiteren Video. Dass die Filme der eigentlichen Ausstellung im ersten Geschoss des Dresdner Baus vorgeschaltet sind, ist ein Trick, bietet der abgedunkelte Kinoraum doch Platz zur Konzentration auf das, was kommt, nämlich sieben weitere Räume.

Ausstellungsansicht Wolfgang Tillmans. Weltraum (Foto: Oliver Killig/ Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

Die wirken, kuratiert von Museumsdirektorin Hilke Wagner, überwältigend. Diese Raumdimensionen! Die schiere Anzahl der Bilder! Sie werden weder nach ihrer Entstehungszeit noch nach Themen gruppiert, wobei eine Porträtwand eine Ausnahme bildet: Dort finden sich unter anderem Dub-Dichter Linton Kwesi Johnson, Sänger Kele Okereke, Schauspielerin Irm Herrmann oder die schwule Kino-Ikone John Waters. Sie sammeln sich an der Längswand wie eine Ahnengalerie: Freund:innen oder aus anderen Gründen unverzichtbare Leute, dem Raum guten Geist gebend.

Die Kunst der optischen Täuschung

Und so fallen einige Greatest Hits ins Auge wie das Porträt eines Tukans, der da im Raum eine Nähe erzeugt, die zwischenmenschlich wirkt. Dazu die Mohnknospen auf einem Balkon und einige abstrakte Studien aus Tillmans Zyklus Greifbar, in dem der Künstler lichtempfindliches Papier im Labor physisch manipuliert. Fotos ohne Kamera also; von ähnlicher Wirkung sind die Goldbarren, die klassisch fotografiert die Verführung einfangen, die von materiellem Gewinnstreben ausgeht: glitzernd, überirdisch, gleißend.

Ausstellungsansicht Wolfgang Tillmans. Weltraum (Foto: Oliver Killig/ Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

An der Endwand des langgestreckten Ganges 2 ist aus der Ferne eine großformatige Landschaft zu erkennen, eine Landschaft, in deren Hintergrund ein medienvertrauter Waldbrand tobt und im Vordergrund einige zivilisatorische Kennzeichen. Bei Rain Splashed Painted Life aus dem Jahr 2022 handelt es sich jedoch, und diese Einsicht dauert viele Meter, um eine optische Täuschung. Statt verkohlter Palmen sind es am Ende ein paar kümmerliche Vorgartenpflanzen, die wieder mal gegossen werden müssten.

Ausstellungsansicht Wolfgang Tillmans. Weltraum (Foto: Oliver Killig/ Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

Der Witz geht umso mehr auf, als sich erst wenige Meter vor der breiten Leinwand die tatsächliche Abbildung zu erkennen gibt. Rain Splashed Painted Life kommentiert somit auch die Ausstellung selbst, indem die Platzierung des Fotos ausdrücklich unterstreicht: Es geht um eine Freude, eine joie de vivre, wie es im Impressionismus hieß.

Wolfgang Tillmans, Rain Splashed Painted Life, 2022 (Courtesy of Galerie Buchholz; Maureen Paley, London; David Zwirner, New York)

Insbesondere summiert das Foto, das einen Großteil der Ausstellungshalle unter Kontrolle hält: Wolfgang Tillmans nimmt die dystopische Gegenwart, den Zustand des Raumes der Welt zur Kenntnis. Von da an geht seine Kunst erst los.

Wolfgang Tillmans. Weltraum, Albertinum Dresden, bis 29. Juni 2025

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