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Reisebericht Ibiza: Die Sehnsuchtsvorstellung eines Raves, den man sich zusammenfilmt

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Am zweiten Abend gastiert Purple Disco Machine mit einem eigenen Abend im Pacha. Der Dresdner hat besonders in Großbritannien, also auch auf Ibiza, eine unwahrscheinliche Anzahl an Fans. Ich selbst lernte ihn 2014 durch seinen Bummel-House-Hit „People” kennen und habe ihn seitdem aus den Augen verloren. Auf dem VIP-Balkon ereignet sich das gleiche Schauspiel wie am Vorabend, das Gedränge in Richtung DJ wirkt aber noch intensiver, direkt proportional dazu schubsen auch die Kellner mit höherer Intensität. Sagen wir’s, wie es ist: Hier ist es abnormal anstrengend. Lieber in der Menge aufgehen, endlich eins mit ihr werden.

Auch heute Abend gelingt das nicht, eher gestaltet es sich noch schwieriger. Dazu trägt Purple Disco Machine, dessen Hemd ihn wie einen psychonautischen Charlie Sheen aussehen lässt, mit seinem kantenlosen, einlullenden Sound bei. Es ist, als ernähre sich der DJ von der kindlichen Vorfreude der üppig zahlenden Crowd wie ein Dementor. Übrig bleiben leere Hüllen, die automatisiert zum immergleichen Beat wogen. Ihr habt es nicht anders verdient, möchte man denken.

Purple Disco Machine thront über der Crowd (Foto: Pacha Ibiza)
Purple Disco Machine thront über der Crowd (Foto: Pacha Ibiza)

2012 habe ich Abitur gemacht, die zugehörige Saufreise ging nach Lloret de Mar. Gotyes „Somebody That I Used To Know” gab es damals schon, ganz zu schweigen von „Under The Bridge” von den Red Hot Chili Peppers. Beide riefen absolut zuverlässig alkoholinduzierte Melancholie hervor. Purple Disco Machine spielt sie zwölf Jahre später, natürlich als Edit, das Ergebnis bleibt dasselbe. Will man sich darüber ernsthaft aufregen? Eigentlich nicht. Bemerkenswert bleibt aber schon, in welcher Schlagzahl hier abgegriffene Welthits laufen.

Bis der Groschen fällt 

Zeit für eine Verschnaufzigarette, draußen im VIP-Garten. Auch wenn Ibiza bislang musikalische Magerkost liefert, hat es was, durch die heiligen Hallen des Pacha zu wuseln. Vorbei an den LEDs, vorbei an Gäst:innen, die eigentlich die Zeit ihres Lebens haben müssten, aber wirken wie affektarme Teenager aus einem Bret-Easton-Ellis-Roman. Lust macht weniger das Erlebnis selbst, eher die Chance, es überhaupt erleben zu können. Trostlos wird es für jene, für die Extravaganz und Exklusivität zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Draußen lädt eine Dreiergruppe Brit:innen zum Abhängen auf Polstermöbeln. „Two nil!”, entgegnet mir einer der beiden Jungs triumphierend, als ich sage, dass ich Deutscher bin. Es dauert, bis der Groschen fällt. Er spielt auf das Viertelfinale der EM 2020 (2021) an, in dem England Deutschland endlich mal wieder bei einem großen Turnier besiegen konnte. Auch mal schön, sich vor der Tür nicht über die Finessen des aktuellen Sets unterhalten müssen – viel gäbe es da auch nicht zu besprechen –, sondern andere Belanglosigkeiten auszutauschen.

Er sei mit dem Guru Josh Project involviert und habe maßgeblich am 2008er-Überhit „Infinity” mitgewirkt, erzählt er mir.

Am dritten Abend, inzwischen ist Dienstag, bietet das Pacha mit Camelphat einen weiteren Act auf, für den man kein selbsternannter Realkeeper sein muss, um an seine Grenzen zu stoßen. Wie ein an- und abschwellender, viskoser Ballon füllt der Sound des britischen Tech-House-Duos den Bienenstock aus. Als würden Keinemusik, Mind Against und Disclosure gleichzeitig spielen, geben sich sanfte Shaker, bedeutungsschwangere, hochemotionale Synths und Pop-Hooks die Klinke in die Hand. Es läuft jene Art von Basslines, die auf einschlägigen Facebook-Kanälen das Prädikat böse verliehen bekommen. Das klappt fürs Publikum gut: Die Zahl der Handybildschirme und Hände, die bei Drops nach oben gehen, dürfte heute am höchsten liegen.

Camelphat thronen über der Crowd (Foto: Pacha Ibiza)
Dieses Mal thronen Camelphat über der Crowd (Foto: Pacha Ibiza)

Keine exponierten Podest-Tänzerinnen, die zur Musik ihr Programm abspulen

Ich kontaktiere aber ein letztes Mal Phrank, um in einen Club mit dem vielsagenden Namen Underground zu kommen. Dort spielt tINI, die ganze Nacht. Nochmal Taxi, nochmal irgendwo hin über die Insel heizen, noch ein letztes Mal freudige Aufregung. Der Fahrer hält um halb 5 Uhr morgens vor einer ausladenden Steinterrasse, auf der sich das Feiervolk eine Pause genehmigt. Unter anderem sitzt dort ein Herr mittleren Alters mit einer jüngeren weiblichen Begleitung. Er sei mit dem Guru Josh Project involviert und habe maßgeblich am 2008er-Überhit „Infinity” mitgewirkt, erzählt er mir. Es wirkt, als würde er nicht das erste Mal von seinen Meriten berichten.

Drinnen an der Bar lehnt Phrank, im Gepäck seine stattliche Kamera mit externem Blitzgerät. Obwohl er, wir erinnern uns, seine Saisons seit den Neunzigern auf Ibiza zubringt, wirkt er kein bisschen satt, sondern scheint jede Nacht als neues Abenteuer zu begreifen. Wir sprechen bei einem Bier über die Unterschiede zwischen dem Underground und den Superclubs Amnesia und Pacha. Die beginnen bei der schieren Dimension: Das Underground trägt seinem Namen tatsächlich Rechnung und mutet an wie ein traditioneller Club ohne großen Pomp: Eine enge DJ-Booth, ein langgezogener, nach hinten geöffneter Dancefloor und keine LED-Installationen oder exponierte Podest-Tänzerinnen, die zur Musik ihr Programm abspulen.

Ein Urlaub auf Ibiza bedeutet nicht nur Feiern, er bedeutet auch eine völlige Abwesenheit diskursiver Verpflichtungen.

Gerade jene markieren einen der größten Unterschiede zwischen etwa der Berliner und der ibizenkischen Clubkultur. Auf der Insel tanzen die Augen in höherem Maße mit, in jeder Hinsicht. Die knapp bekleideten Damen auf ihren Podesten dienen nicht nur als Animateurinnen, sondern natürlich auch als Blickfang für die Testosteronbolzen im Publikum. Phrank will meine Kritik an diesem Anachronismus – der mich übrigens erneut an meine Abifahrt nach Lloret, speziell die Hip-Hop-Disse Londoner, erinnert – so nicht stehenlassen: Auf Ibiza gehe es ohnehin tolerant zu, da brauche man das woke Zeug nicht. Außerdem tanzten nicht nur Frauen, sondern immer wieder auch Queers und Trans-Personen über der Menge.

Der Vibe im Amnesia (Foto: phrank.net)
Der Vibe im Amnesia, sicherlich ohne diskursive Verpflichtungen (Foto: phrank.net)

Gewissermaßen verstehe ich den Einwand. In Ibiza ordnet sich alles dem Hedonismus unter, der Dancefloor ist hier im konservativsten, althergebrachtesten Maße unpolitisch. Gesellschaftliche und politische Umwälzungen, die in der Clubkultur mitverhandelt wurden, wie etwa Black Lives Matter, der Nahostkonflikt oder die immer präsentere Awareness-Arbeit finden hier kaum bis nicht statt. Ein Urlaub auf Ibiza bedeutet nicht nur Feiern, er bedeutet auch eine völlige Abwesenheit diskursiver Verpflichtungen. Das kann entspannend sein, gerade weil es die Realität so konsequent ausblendet.

Im Underground kommt Rave-Stimmung auf (Foto: phrank.net)
Im Underground kommt Rave-Stimmung auf (Foto: phrank.net)

Zertifiziert woke geht es im Underground sicherlich nicht zu, doch vermittelt sich hier zu jeder Zeit das Gefühl, in einem aufs Wesentliche fokussierten Club zu stehen. Phrank führt durch eine Tür neben der Bar ins Backstage hinter der Booth. Von dort aus hat er freie Schussbahn auf tINI, deren konstant groovender Vinyl-Tech-House nach den schunkeligen EDM-Kurzschlüssen der letzten Nächte energetisiert. Dass die Münchnerin überhaupt einen ihrer berüchtigten Allnighter spielt, lässt sich durchaus als Statement des Clubs lesen. Hier hat sich in dieser Nacht eine Party nach und nach entwickelt, ganz ohne brutale Drops und Laser-Dauerfeuer, das sich in die Netzhaut brennt. tINI macht auch nach einigen Stunden hinter den Decks noch eine außerordentlich lebhafte Figur und posiert ausgelassen für Phrank, der in seinem Leben Abertausende an Fotos geschossen hat, aber, wie die DJ auch, noch immer großen Spaß an der zur Normalität geronnen Ekstase ausstrahlt. tINI kommuniziert mit dem Publikum auf Augenhöhe. Ihr Auftreten wirkt nicht so durchchoreographiert wie bei den Acts im Pacha oder Amnesia, die von der Kanzel aus bedeutungsschwanger den Hohepriester mimen. Als letzten Track spielt sie Baby Ds Hardcore-Hit „Let Me Be Your Fantasy” von 1995, der mit hittigem Refrain, Breaks, Rave-Piano und einem Acid-Klimax den Sehnsuchtsort Ibiza reminisziert, den es mal gegeben haben muss und den es auf diesem Dancefloor zumindest für einige Stunden gibt.

tINI hat im Underground Spaß (Foto: phrank.net)
tINI hat im Underground Spaß (Foto: phrank.net)

Eine Line, während Passant:innen ungerührt vorbeitrotten

Dann ist es 6 Uhr, das Morgengrauen schleicht sich langsam auf den zu den Seiten geöffneten Dancefloor und der Club schließt. Viele der Anwesenden schwärmen auf die anschließenden Afterhours aus, ein Taxi zurück ins Pacha Hotel lässt sich zum Glück schnell auftreiben. Mittags führt der Katerspaziergang bei sengender Hitze nochmal Richtung Hafen. Am Straßenrand, auf einer niedrigen Mauer neben dem Bürgersteig, sitzen zwei Männer, noch mittendrin statt nur dabei. Einer der beiden sieht bis auf seine filzigen Rastas aus wie eine schlecht gealterte Version des Lloret-Clowns Don Francis, und das will was heißen. Er zieht eine Line weißes Pulver vom Handy, die ihm sein Kumpane eilig gelegt hat, während Passant:innen ungerührt vorbeitrotten. Die Zusammenkunft der beiden wirkt trostlos, zweckmäßig und dient zum Abschluss meines Trips deshalb formidabel als definitives Sinnbild für den Status Quo der ibizenkischen Clubkultur.

Sie werden die Flughafengäste weiter beäugen, versuchen, sich mit aller Macht voneinander abzuheben und zahlende Kundschaft anzulocken

In den Monaten seit meinem Besuch auf der Insel ist viel passiert. Das Pacha hat nicht nur eine neue PR-Agentur, die kurze Hosen womöglich ebenso verabscheut wie die alte, sondern auch einen neuen Eigentümer. Der indische Unternehmer Kabir Mulchandani hat mit seiner in Dubai ansässigen Firma FIVE Holdings die Pacha Group für über 300 Millionen Euro übernommen. Damit einher geht ein Rebranding des Destino Pacha Hotels zum Destino Five Ibiza, wo Luxus und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen. Immerhin: Mulchandani scheint ein Freund der elektronischen Tanzmusik zu sein und findet, die Marke Pacha habe es verdient, dass man sich um sie kümmert. Was diese Entwicklung für die DJs bedeutet? Wahrscheinlich nichts. Sie werden die Flughafengäste weiter umwerben, versuchen, sich mit aller Macht voneinander abzuheben und zahlende Kundschaft anzulocken. Durch marginal andere Musik, andere Fotos, andere Fonts.

Schlimmer hat es das Underground getroffen. Die Polizei hat den Club im vergangenen August während des laufenden Betriebs geschlossen. Laut den Behörden habe die nötige Lizenz gefehlt, um Partys zu veranstalten. Dass das trotzdem passierte, sei bei einer Inspektion festgestellt worden. „Underground [der Club, d.Red.] ist mittlerweile zu und wird es wahrscheinlich auch bleiben”, schreibt mir Phrank im Dezember dazu. „Der Underground [der clubkulturelle, d.Red.] wird weniger”, schiebt er nach. Man kann nicht umhin, ihm beizupflichten. Auch wenn man nur einmal vor Ort war.

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