Mischa Fanghaenel ist Fotograf. Und Türsteher. Die Überlagerung dieser beiden Tätigkeiten brachte sein Projekt NACHTS hervor. Zu sehen sind Schwarz-Weiß-Fotos von Menschen, die das Berliner Nachtleben in seinem Facettenreichtum abbilden. Manche posieren dem gängigen Klischee entsprechend ernst, andere grinsen vergnügt, während wieder andere Bilder die Verletzlichkeit andeuten, die in der Flüchtigkeit der Berliner Clubkultur mitschwingt.
Neben prominenten Gesichtern wie denen von Ben Klock, Ellen Allien oder Ricardo Villalobos oder dem von Kollege Sven Marquardt konzentrierte sich Fanghaenel auch auf die Personen, ohne die Klubnächte nicht denkbar wären: Raver:innen und Club-Personal stehen gleichberechtigt neben den ungleich bekannteren DJs.
Noch bis zum 10. März präsentiert Fanghaenel NACHTS in der Berliner Galerie Fotografiska im ehemaligen Kunsthaus TACHELES. Dort treffe ich ihn am Tag der Ausstellungseröffnung. Gleich wartet auf ihn im Erdgeschoss ein Interview vor geladenen Gästen, zuvor sitzen wir in der Bar im fünften Stock und sprechen zu Lounge-Klängen von Bonobo oder Rhye über seine Laufbahn als Fotograf, seine musikalische Prägung durch das Berliner Nachtleben und die Wechselwirkungen seiner beiden Professionen.
GROOVE: Als du vor etwa fünf Jahren erfahren hast, dass Clubs erst mal schließen werden – was hast du gedacht und was hast du gemacht?
Mischa Fanghaenel: Ich war in einer besonderen Lage. Meine Tochter war noch sehr jung. Als Erstes dachte ich, dass ich am Wochenende zuhause sein kann. Für mich war das zunächst ein Luxus. Außerdem mache ich nicht nur Porträts, sondern auch Kunst. Ich hatte das große Glück, dass die Leute zuhause auf leere Wände starrten und realisierten, dass sie Bilder brauchen. Das waren die ersten Tage und Wochen.
Und dann?
Zum einen bin ich gerne Türsteher. Das ist nichts, was mich belastet, ich mache das gerne. Für mich ist das ein angenehmer Job, kein Stress. Als ich realisiert habe, wie andere Leute mit der Lage umgehen, habe ich angefangen, die Situation anders zu beurteilen.
Im clubkulturellen Kontext, meinst du?
Genau. Da habe ich angefangen, drüber nachzudenken, ob da nicht gerade etwas verrutscht. Und dieser Wunsch, dieses Projekt zu machen, bestand schon länger. Ich wollte dokumentieren und festhalten, was ich tue. Wie erkläre ich meinem Kind, meinen Eltern, Schwiegereltern das sonst? Meine Mama hat sich zwar mal angeschaut, was ich mache, aber der Großteil der Menschen außerhalb der Szene begreift nicht, was da passiert. Und oft wird das so eigenartig dargestellt, dass ich dachte: Jetzt erst recht.

Wann hattest du die Idee zu NACHTS?
Ich wusste schon relativ früh, dass ich so was machen möchte. Der Wunsch, das Projekt konkret anzugehen, reifte im ersten Lockdown. Es war unklar, ob wir alle uns überhaupt nochmal auf großen Veranstaltungen sehen. Als es langsam wieder losging, habe ich die ersten Schritte unternommen. Das war mein 2020: Zuerst habe ich die Situation auf die leichte Schulter genommen, dann habe ich die Lage realisiert und wollte unbedingt dieses Projekt machen. Gleichzeitig dachte ich mir, dass es schwierig ist, die Szene so offenzulegen.
Du wusstest nicht, wie weit du gehen kannst.
Ich wusste nicht: Wie setze ich das um, bewahre den Geist des Ganzen und verrate nichts? Fünf Jahre später kann ich sagen: Es gab genug Momente, in denen Leute, die damit nichts zu tun haben, erkannt haben, was das bedeutet. Und warum es so erfolgreich ist und so viele Leute glücklich macht.
Von welchen Momenten sprichst du?
Letztes Jahr war ich mit NACHTS in Stuttgart. Weil die Ausstellung in der Stuttgarter Zeitung besprochen wurde, kamen Leute, die damit gar nichts zu tun haben. 70-, 80-Jährige zu sehen, die zum einen die Bilder mögen und zum anderen die Geschichte dahinter verstehen, war großartig.
Hattest du dieses Ansinnen schon, als du auf Idee zum Projekt kamst?
Auf jeden Fall. Das ist mein großes Ziel. Wir, die wir Teil dessen sind, wissen, wie gut es uns geht und was wir daran haben. Du brauchst hier niemandem erzählen, dass Berliner Clubkultur was Besonderes ist. Wir wissen das. Wir sind ein Teil davon. Das ist aber nicht jeder. Vielleicht nicht mal dein engster Freund, weil er keinen Techno mag. Diesen Leuten will ich zeigen, dass es nicht um das oberflächliche Bild geht, das medial vermittelt wird. Nicht um die plakative Betrachtung derjenigen, die rausstechen.

Berliner Clubkultur wird zwar mit einem dezenten Auftreten assoziiert – Leute tragen schwarze Kleidung, Techno wird nicht als die expressivste Musik wahrgenommen. Trotzdem geht es oftmals um die Menschen, die rausstechen. Da gibt es beispielsweise Patrick Mason, der in NACHTS auftaucht und sehr flamboyant ist. Auch in der Berliner Clubkultur geben extrovertierte Leute den Ton an. Wie wichtig war es dir, Platz für Introvertierte zu lassen?
Ein normales Wochenende stellt sich so dar: Die Leute kommen an die Tür. Entweder sind sie zufällig hier, das Line-up hat ihnen gefallen oder sie mögen den Club, die Diskothek. Es ist nicht so, dass ich jemanden einlade. Ich wollte es so ähnlich machen: Ich habe eine Insta-Story gemacht, in der ich zur Teilnahme am Projekt aufgerufen habe. Da stand drin, dass ich in einer Diskothek arbeite und mich freuen würde, wenn Leute, die mich kennen, an einem Porträt-Projekt teilnehmen wollen. Um diese Kultur darzustellen. Die Rückmeldungen habe ich danach ausgewählt, ob ich jemanden als Gast wiedererkannt habe. Dabei habe ich keinen Unterschied gemacht, ob jemand jedes Wochenende oder einmal im Jahr kommt. So ergab sich eine gute Mischung, in der auch ein paar Extrovertierte dabei waren. Das ging ganz von selbst, so wie es sich auch an einem normalen Wochenende ergibt.
Wie sieht die für dich aus?
In meiner Welt sind die Auffälligen stärker repräsentiert als im Alltag.
Weil sie schlicht mehr Platz einnehmen.
Oder? Ich würde aber nicht sagen, dass am Wochenende in Berliner Clubs, egal auf welcher Tanzfläche, nur solche Leute sind. Da sind auch Menschen wie wir, von denen du nicht genau weißt: Was hören wir für Musik? Wer sind wir und was tun wir? Die sind die Mehrzahl. Und das ist das Angenehme an dieser Kultur. So wie ich da reingekommen bin.
Wie lief das denn?
Ich komme aus einem Hip-Hop-Kontext, so bin ich sozialisiert. Als Teenager, zu Abitur-Zeiten, habe ich viel Hip-Hop gehört und bin in die Diskotheken gegangen. Man wird aber erwachsen. Das dauert als Mann etwas länger, ist aber auch ok. Mit Mitte zwanzig konnte ich mir das nicht mehr geben, das war alles zu aggressiv, zu einseitig. Das hatte nichts mehr mit meiner Lebensrealität zu tun.
„Ich bin überzeugt davon, dass der schönste Schnitt an Normalität auf einer typischen Berliner Party für elektronische Musik zu finden ist.”
Wo warst du denn unterwegs?
Es gab damals das Kurvenstar oder das Silverwings. Oder das Acud. Das war Berlin in den Neunzigern, das ist 30 Jahre her. Techno gab es im Tresor und insgesamt vielleicht in zwei, drei Läden. Sonst gab’s überall Hip-Hop. Jedes Wochenende verschiedene Hip-Hop-Veranstaltungen. Daraus bin ich dann relativ schnell ausgebrochen. Das lag an meinem eigenen Erwachsenwerden und dieser eher aggressiven Kultur.
War dir Hip-Hop zu maskulin geprägt?
Maskulin, als Teenager-Variante, weißt du?
Gerade das hat dich als Teenager aber auch gereizt, nehme ich an.
Das ist lustig. Du suchst dich. Wer bist du als Mann und wo stehst du? Und natürlich machst du da viel Blödsinn.
Es gibt noch heute Bushido-Tracks, die ich mit 30 schlicht lustig finde.
Deutschen Hip-Hop habe ich nie wirklich gehört, sondern bin eher mit New-York-Hip-Hop sozialisiert. Redman hat letztes Jahr ein neues Album veröffentlicht, den feiere ich nach wie vor. Aber das ist alles die gleiche Suppe, das hat alles miteinander zu tun. Mein Schritt war raus aus diesem Umfeld. Dann ging es los mit dem Golden Gate und solchen Läden. Ich habe gearbeitet, auf russischen Partys und auf Hip-Hop-Partys, und wollte bei der Arbeit normale Leute sehen. Und wo findest du die? Ich bin überzeugt davon, dass der schönste Schnitt an Normalität auf einer typischen Berliner Party für elektronische Musik zu finden ist.
Welche elektronische Musik hörst du denn?
Zuhause vor allem Amapiano und Gqom, Techno ist beim Feiern am ehesten meine Richtung. Die Mischung auf den Partys ist immer am ehrlichsten. Es gibt keinen Dresscode, es gibt kein Wir-müssen-so-und-so-viele-Frauen-aufreißen. Es gibt kein Wir-lassen-keine-Gruppen-rein. Das gibt es nicht. Die Entscheidung für elektronische Musik ist eine individuelle Entscheidung, die ich schon vor 30 Jahren getroffen habe. Ich stand im alten Tresor und dachte mir: Das ist einfach eine andere Welt. Das fühlte sich ehrlich an.

Gehst du noch viel aus?
Nicht mehr so oft wie früher in dem Club, in dem ich arbeite, aber immer noch sehr gerne.
Es ist ein wenig surreal, die Türsteher des Clubs im Club zu sehen.
Spooky?
Es hat was Verwirrendes.
Wenn ich reingehe, wollen viele Leute mit mir reden. Dabei ist Musik für mich alles, ich höre immer Musik.
Das meintest du auch in einem Podcast. Für dich ist Musik die Basis, von der aus alles entspringt. Gibt es Acts, die dich in den Neunzigern besonders fasziniert haben?
Ehrlicherweise: Ich bin in den Tresor komplett unwissend reingegangen.
Weil du mal was anderes als Hip-Hop machen wolltest.
Ich dachte mir: Ich verstehe, was hier läuft. Das finde ich gut. Steinige mich nicht, aber die Parallelen zwischen Hip-Hop und Techno sind für mich da. Ganz deutlich. Techno kam zu mir über die Arbeit an Diskothekentüren in Brandenburg. Du kannst dir vorstellen, was da für ein Techno lief.
Nicht so ganz.
(lacht) Es klang wie derzeitiger Hard-Techno. Wenn du dir ansiehst, wie die Tanzenden aussehen und sich benehmen. Die Mode dazu.
Sehr testo, oder?
Unfassbar. Die Neunziger waren krass. Du kannst wahrscheinlich auch ins Ruhrgebiet gehen, und es ist genau das Gleiche. Die Richtung ist ok, und du verstehst auch auf einem gewissen Level, warum das Leute mögen. Aber nach zwei, drei Liedern möchte ich was anderes hören. Das ganze Auftreten dort erinnert mich an die Hip-Hop-Kultur, über die wir eben gesprochen haben.
„Mir ging es bei Auswahlprozessen immer um die Frage: Bist du aus den richtigen Gründen Teil dieser Kultur?”
Wo liegen die Unterschiede zur Berliner Clubkultur?
Wenn ich irgendwo hingehe, und da jemand ist, der halb so alt ist wie ich, von Mode viel mehr versteht als ich und meinetwegen noch DJ ist, wird der mich nicht komisch angucken. Wir können trotzdem Zeit miteinander verbringen. Es wird garantiert einen Moment geben, in dem wir die Musik beide so gut finden, dass wir uns angrinsen. Genauso geht es auch in die andere Richtung. Es gibt Leute, die nochmal 20, 30 Jahre älter sind als ich.
Wie alt bist du denn?
Alt genug. Und ich weiß von Leuten, die sind Mitte 60 und gehen regelmäßig feiern. Nicht jedes Wochenende, aber regelmäßig.
Ich habe vor sechs Jahren noch regelmäßig Günther Krabbenhöft im Berghain gesehen. Das ist aber etwas weniger geworden.
Der ist jetzt auch knappe 80, glaube ich. Der war viel unterwegs, auch in seinen Siebzigern. Den kennen wir schon lange. Das ist, was ich meine. Der Typ, in dem Stil, wie er unterwegs ist, ist eine Erscheinung. Und daneben steht ein 20-Jähriger, zweites Semester, kann gerade mal so den Eintritt bezahlen, ist aber Musik-Nerd. Es ist ganz wichtig, dass der dabei ist.
Als introvertierter Gegenpol.
Die stillen Charaktere gehören genauso dazu.

Du willst einen heterogenen Dancefloor, auf dem trotzdem alle gleich sind. Das findet sich in der Ästhetik von NACHTS wieder. Die namenlosen Schwarz-Weiß-Porträts stehen gleichberechtigt nebeneinander. Soll deine Ausstellung den Egalitarismus in der Clubkultur widerspiegeln?
Genau. Warum haben die Bilder alle dasselbe Format? Warum sind sie alle schwarz-weiß? Das gehört alles dazu. Jeder hatte die gleichen Rahmenbedingungen. 95 Prozent der Bilder sind mit einem Licht aufgenommen. Die Idee dahinter war: Wenn du dich auf der Tanzfläche umsiehst, siehst du manchmal einzelne Charaktere, wenn es blitzt. Mal da, mal dort. Diesen kurzen Moment wollte ich einfangen. Ich hoffe, ich habe alle so dargestellt, dass sie sich attraktiv finden.
Wie fiel das Feedback aus?
Viele meinten, sie fühlen sich schön dargestellt. Deshalb mache ich Porträts. Ich will zeigen, wie schön Menschen sind. Damit meine ich nicht, dass wir alle Models sind, sondern Schönheit. Für mich ist es spannend, was am Wochenende passiert.