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Motherboard: Dezember 2024

Die vollelektronische französische Post-Rock-Supergroup FOUDRE! hat in den zehn Jahren ihres Bestehens ihren Sound immer wieder radikal infrage gestellt und überdacht. Die gemeinsame Bestimmung ging aber immer in Richtung Dichte, Schwere und Melancholie, sei sie nun als improvisierte Drone-Skizze, orchestraler Dark Ambient oder Synthesizer-Elegie angelegt. Das sechste Album Voltæ (Chthulucene) (NAHAL/ZamZamRec, 25. Oktober) weicht von dieser Linie nicht ab, macht aber dennoch wieder einiges anders. Es klingt tatsächlich elektronischer als je zuvor, weniger rau und roh, die Intensität des Zusammenklangs dreier Akteure ist ausgefeilter denn je, die gemeinsame Wirkung der Sound-Elemente bis in kleinste Details austariert. Es hört sich an nach: großer Aufwand – große Wirkung. Außerdem: Respekt für das Donna-Haraway-Zitat im Albumtitel.  

Was der Wind zu sagen hat. Die crossmediale Berliner Künstler:in Diane Barbé hört nicht nur den Fröschen, den Insekten, dem Rauschen der Blätter, dem Wasser zu. Sie konstruiert und spielt zudem Flöten und anderen Holzbläsern ähnliche Instrumente sowie Patches von Modular-Synthesizern, die die Klänge der Natur künstlich hervorbringen. Dabei funktionieren die elektronisch erzeugten Klänge, die auf Musiques Tourbes (Forms of Minutiae, 22. November) nahtlos in aufgenommene und gespielte übergehen, gerade nicht als Mimikry oder Hybride. Sie machen die mikrofonierten natürlichen Klänge fremd und die artifiziellen wiederum vertraut. So entsteht eine zweite Natur, eine neue Welt, die ohne die alte nicht existieren könnte, die auf die Fülle und die Verletzlichkeit der alten Welt verweist. Musiques Tourbes ist ein wichtiges Album des Anthropozäns.

Dass der New Yorker Pianist Bruce Brubaker die Pianisierung Brian Enos noch weiterführen würde, war naheliegend, konzentrierte sich Eno Piano in der Übersetzung auf das Klavier doch auf eher songhafte Aspekte von Enos Gesamtwerk. Die Fortsetzung in Mini-LP-Länge, Eno Piano 2 (Infiné, 24. Oktober, 2024), betont nun ein wenig mehr, was an Music For Airports und Another Green World wirklich Ambient war. Dazu nutzte Brubaker einen einfachen, aber effektiven Trick, indem er in sein Klavier e-Bows drapierte. Sie nehmen die gespielten Töne auf, verstärken sie, schwingen mit und nach. So wird einerseits der kristalline Klang von Brubakers Steinway Grand Piano gedämpft, weicher und wärmer gemacht – ein avanciertes elektroakustisches Sounddesign, das ohne digitale Elektronik auskommt. Andererseits verlängern die Bögen die Töne zu milden Drones. Brubaker hat es also schon wieder geschafft, aus den so übersatt ausgespielten Eno-Gassenhauern etwas Neues herauszuarbeiten.

Dass das in Hamburg gegründete, nun in Berlin ansässige Label von Lawrence und Carsten Jost neue Künstler ins exklusive Portfolio aufnimmt, kommt nicht häufig vor. Die beiden Schweizer, in Zürich und Basel operierenden Produzenten Ben Kaczor & Niculin Barandun sind so eine Ausnahme. Ebenso ihr Album Pointed Frequencies (Dialrec, 29. November) das nicht dem emotionsreduzierten minimalen Düster-Techno frönt wie die meisten von Kaczors Soloproduktionen, sondern sich in waschecht vollexperimenteller Klangkunst übt, Elektroakustik mit klassischen Instrumenten, knurpselnden Mikrofonen, Noise und Feedback. Im ersten Eindruck eventuell abweisend, fragmentarisch und disruptiv, weisen die Stücke doch jeweils einen Kern aus Electronica oder Neoklassik aus, der jeglicher Abstraktion widerspricht. Das Album lebt aus der Balance dieses Gegensatzes und ist klanglich und inhaltlich tatsächlich das Spannendste, das auf Dial seit langem erschienen ist.

Wenn es um Ambient gehen soll, der nicht nur, aber eben auch Raumatmosphäre und Thermostat sein will, ist das kleine Tape-Label Muzan Editions aus Osaka seit einiger Zeit eine der beständigsten Adressen. Etwa mit Yuri Urano, die in den vergangenen anderthalb Jahren gleich drei Tapes ablieferte (unter anderem das subtile Awawa, das das Genre entschieden voranbringen konnte). Oder das Deep-Space- und Drone-Ambient-Album Celestial Echoes (Muzan Editions, 25. Oktober) des Belgiers Pierre Nesi alias Owl. Oder nochmal anders: Software (Muzan Editions, 25. Oktober), die minimalistisch kosmische Analogsynthesizer-Krautmotorik des Stuttgarter Guenter Schlienz. Was Ambient eben sein kann in 2024. So gut wie alles. Vergangenheit und Zukunft, Retro und Futurismus und pure Gegenwart.

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