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Motherboard: Juli 2024

Was im Techno für Hits und reproduzierbares Hände-in-die-Luft-Werfen gut ist, kommt in anders funktionaler elektronischer Musik eher einer Rarität gleich: in konsequentem Dur trötende Fanfaren. Wenn sie zu hymnisch primitiven Signalen noch einen dezidierten DIY-Sixties-Vibe ausstrahlen, befinden wir uns in der wunderbar freundlich-weirden Welt des kanadischen Heimorgel-Wizards (und Grimes-Kollaborateurs) Chris d’Eon. Dessen phänomenales neues Tape Leviathan (Hausu Mountain, 21. Juni) bringt die Eigenwilligkeit in knalligen Primärfarben auf ein neues Niveau.

Wenn es eine Seinsebene, einen mehrdimensionalen Raumschnitt gibt, in dem das motorische Krautrock-Erbe von Neu! oder Guru Guru, traditionelle tunesische Percussion, Post-Industrial und aktuelle Club-Dekonstruktionen freundschaftlich koexistieren, dann eventuell im Studio des Düsseldorfers Tarek Zarroug alias Taroug. Denn auf dem erstaunlich organischen Album Darts & Kites (Denovali, 10. Mai) fügt er die disparat geglaubten Elemente nahtlos in warm groovende, manchmal beinahe balearische Electronica. Was diese Fusion, in der rein gar nichts hybride oder forciert wirkt, so überzeugend macht, ist eben nicht der Überraschungseffekt selten gehörter exotischer Instrumente, sondern eine tiefe innere Ruhe und eine erstaunliche Präzision in der Anordnung aller Teile.

Von einem Nachwuchskünstler kann man bei dem in Paris lebenden Belgier Basile3 inzwischen wohl nicht mehr sprechen. Trotz prominentem Label flogen die Produktionen doch immer etwas unter dem Radar. Vielleicht, weil sie in kein bekanntes Schema passen wollten. Durchaus in der Tradition von IDM und Glitch, irgendwie schon Electronica alter Schule, aber dann doch zu hibbelig und gleichzeitig zu affin zu Cloud-Rap, Dreampop und modernen Clubsounds. Für diese dann aber wiederum zu wenig offensiv, zu wenig Insta-Snippet tauglich. Auf dem späten Albumdebüt 43°C (Infiné, 31. Mai) begeht er diesen (Nicht-)Fehler schon wieder, macht also alles richtig. Fraktaler R’n’B-Techno für den virtuellen Electro-Underground. Wäre es nicht toll, wenn das der nächste TikTok-Hype würde?

Dass die beiden in Hip-Hop, R’n’B und Jazz fest verwurzelten und gut etablierten Sänger, Instrumentalisten und Produzenten Contour (Khari Lucas) und Omari Jazz aus Charleston, South Carolina im Duo Black Decelerant fast ohne Samples und komplett ohne Vocals oder Beats auskommen, ist schon außergewöhnlich. Dass sie mit Reflections Vol. 2: Black Decelerant (RVNG Intl., 21. Juni), von dem es nach bestem Wissen des Kolumnisten keinen (veröffentlichten) ersten Teil gibt, ein abwechslungsreiches wie konsequent warmschönes und modernes Ambientalbum gemacht haben, eines, das in diesem schon nicht mehr jungen Jahr definitiv heraussticht, ist tatsächlich weitab des Erwartbaren, Gewöhnlichen. Im Kontext des Albums wird der Sound allerdings komplett selbstverständlich; musikalisch-produktionelle Cutting-Edge-Technologie und elektroakustischer Wissensvorsprung als solidarische Geste, als Heilung und Abwehr von Rassismus und ausbeuterischem Spätkapitalismus, das sind schon lange Themen des transatlantischen Afrofuturismus, vom spirituellen Jazz bis zu Detroit-Techno. So sanft und doch so folgerichtig umgesetzt wurde dieser Überbau an Ideen in Kommunion allerdings selten zuvor.

Schon klar: Bei der Produktivität, die uns regelmäßig aus Richtung The Notwist freundliche Hörangebote macht, mischt auch der Drummer der Band Andreas „Andi” Haberl in einer unüberschaubaren Zahl von Projekten mit und veröffentlicht zwischendurch noch solo. Wobei solo nicht allein meint, selbstverständlich helfen alte Freunde und Weggefährt:innen gerne aus. Die sonnenwarm umarmenden Instrumentalsounds von Haberls neuem Projekt SUN kommen zwischen Neoklassik, Easy Listening und Lounge Jazz so lässig wie charmant dahergerumpelt, das Debüt I Can See Our House From Here (Alien Transistor, 7. Juni) fühlt sich direkt vertraut und verlässlich an. Wie dieser eine alte Freund aus Schultagen, den man einige Weilchen nicht gesehen hat, aber kaum ist er da, fühlt es sich an, als wäre er nie weg gewesen.

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