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Motherboard: Juni 2024

Zweckfrei, aber definitiv nicht sinnarm kommt die hart an den Lebkuchenhäuschen der Kategorien nagende Mini-LP OM/PR (Noorden, 10. Mai) der beiden Kölner Produzenten Orion Moustache & Panta Rex daher. Trocken, groovende, electroide Electronica, nicht für den Club gemacht, aber dort doch bestens aufgehoben, sehr früh oder sehr spät. Auf produktive Weise die Peaktime verpassen, das muss man schon können. Bissen drüsch, ävver rischtisch lecka.

Sehr fein: Der japanische Gitarrist und Elektroniker Keiichi Sugimoto hat zumindesteines seiner Solo-Aliasse, nämlich FourColor, nach viel zu langer Pause wiederbelebt, nachdem vor zwei Jahren schon sein Bandprojekt Minamo nach ebenfalls etwa Dekaden langer Inaktivität wieder auf der Bildfläche erschien. Lightscape (5. April) fokussiert aktuell wieder stärker auf sein erstes Instrument, die Akustikgitarre, wie ebenfalls zuletzt bei Minamo zu hören. Was alle von Sugimotos Projekten besonders und wiedererkennbar macht, war und ist die Zugänglichkeit und Wärme der Sounds, die, außergewöhnlich im gerne strengen Umfeld der elektroakustischen Komposition und freien Improvisation, nie abstrakt oder abweisend klingt, sondern zutiefst menschlich, ja, geradezu humanistisch. Das hat sich in den vergangenen 25 Jahren nicht geändert.

Man tut ja im Allgemeinen weder einer Rezension noch den rezensierten Künetler:innen einen Gefallen, wenn man eine Band oder ihren Sound als nett bezeichnet. Selbst wenn es nur gut gemeint ist, schwingt doch immer das Sentiment des Lauwarmen und milde Egalen mit. Es hilft nur manchmal nicht. Die Musik des flandrisch-belgischen Duos The Day ist einfach auf überwältigende Weise nett und freundlich und genau handwarm euphorisch. The Kids Are Alright (Sinnbus, 10. Mai) in jedem denkbaren Sinn halt. Eigentlich eine schon wieder radikale Ansage, die Jungen sind in Ordnung. Wenn diese noch in so feinen Indie-Synthpop und unaufdringlich erwachsenes Songwriting gegossen ist, was soll daran nicht ok sein? So proper und so clean mit minimaler Post-Punk-Melancholie und jeder Menge Shoegaze-Fluff. Sympathischer geht es kaum. Die Definition von nett.

Übrigens kein bisschen weniger hübsch, um das andere oft toxische Komplimentwort zu benutzen: Die Musik des jugendlichen Amsterdamer Indie-Quartetts Loupe. Deren tolle EP Flaws Of A Circle (Sinnbus. 3. Mai) erfindet den sanften elektronischen Indie-Pop nicht neu, überhaupt nicht, macht das aber so wunderbar und, genau, nett wie sympathisch, dass altbewährte Ideen wie Innovation oder Transgression vor Neid erblassen.  Von „Flaws” also keine Spur.

Das Staunen darüber, dass noch nicht alles verloren ist, dass es uns und die Welt immer noch gibt, man hört es der erstaunlichen Mini-LP Schlachtrufe BRD (Staatsakt, 20. April) der erstaunlichen Stefanie Schrank immer wieder an. Wo das Album doch die Sozialisation in einer vergessenen Welt reminisziert, das Postwende-Westdeutschland im Heranwachsenden-Soundtrack der titelgebenden Anarcho-Punk-Kompilations-Reihe (auf CD). Wo brüllende Jungmänner das System stürzen wollten, der verfeinerten Wahrnehmung einer frühvollendet reflektierten Jugendlichen doch etwas mitgeben konnten, das heute noch Geltung besitzt. Musikalisch eben gerade nicht, denn Schrank packt ihre klugen Texte in klugen, krautmotorischen Synthpop. Emotional ebenso wenig, denn es sind weniger die Wut und der Schmerz des Dagegenseins (und der kommende Zynismus der Anpassung), die sich hier einen Weg bahnen, denn die Melancholie des Durchgekommenseins, des Immer-noch-da-Seins, trotz oder wegen einer postbohemischen Existenz als Musikerin und bildende Künstlerin.

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