Die Neue Kammermusik des kanadischen Violinisten Jeremy Gignoux bringt ebenfalls extreme Positionen zeitgenössischer Komposition zurück in intime und unmittelbar verständliche Formen, die mehr mit avancierter Electronica und Drone zu tun haben als mit akademischem Strukturmodernismus. Gerade im kompositorischen Minimalismus und der delikaten akustischen Umsetzung der sieben Stücke von Odd Stillness (Jeremy Gignoux, 10. Mai) stecken Kraft und Leidenschaft (und als Auslöser Leiden). Weder verborgen noch verrätselt, steckt die Größe dieser Stücke in der Zurückhaltung, von Instrumentalist:innen wie der Flötistin Jiajia Li oder dem Kontrabassist Keith Rodger kongenial umgesetzt.
SPECIO, das Duo aus der mal sprechsingend deklamierenden (Moor-Mother-Style), mal dunkel croonenden Sängerin und Schauspielerin Sasha Andrès sowie dem Instrumentalisten, Produzenten und Labelmacher Nicolas Laureau, macht auf SPECIO (Prohibited Records, 10. Mai) postrockend psychedelische Elektronica und elektronischen Vocal-Jazz. Zusammen ergibt das außergewöhnliche, doch unmittelbar einleuchtende Soundwelten von interessanten Menschen, die einem Roman von Virginie Despentes entsprungen sein könnten, aber in Wirklichkeit vielleicht eher umgekehrt diesem als Inspiration dienten: Beide können auf drei Dekaden Erfahrung im Pariser DIY-Underground zwischen Indie-Rock, Folk-Psychedelik und Noise zurückgreifen, auf Wechselwirkungen mit Theater, Kunst und Film. Dass sie nun mal ganz lässig etwas Neues machen, das auf denkbar entspannte Weise ausprobierend, suchend und verspielt ist, aber eben auch Kunst wollend, Genre sprengend sein möchte, erscheint so mehr als nur folgerichtig.
In Amy Spencers neofolkig vibendem Trip-Hop-Projekt Charlotte Spiral hat sich die ausprobierend forschende Natur der britischen Vokalistin und Produzentin noch eher hintergründig in milde nichtlinearem Songwriting und verfeinerter klanglicher Oberfläche zum Ausdruck gebracht. Dieser Ausdruck und Eindruck ist in ihrem Soloprojekt Ammonite insgesamt kaum weniger subtil. Und doch ist auf der brillanten Mini-LP Blueprint (Ransom Note, 8. Mai) das Experiment die Hauptsache. Technologisch avancierte Stimmbearbeitung bis hin zum Drone mäandern in offene wie fließende Strukturen, die beinahe Songs, aber nie so ganz zu etwas Bekanntem oder eindeutig Fassbarem werden. Es ist kein Widerspruch, dass diese Stücke durchaus nach vorne gehen, beinahe, aber nie ganz zu beatlosen Tracks werden. So könnte sich Stadion-Ambient Vier.Punkt.Null anhören. „You Don’t Know Me”, singt Spencer im ersten Stück, ganz unbearbeitet und unverzerrt. Das ganz und gar offenbarte, doch tiefe Geheimnis ist das Grundprinzip ihrer Musik.
Der japanische Gitarrist und Elektroniker Chihei Hatakeyama ist hier und sonst überall kein Unbekannter. Seit der Jahrtausendwende ist er eine zentrale Inspirations- und Kollaborationsfigur für Ambient und Angrenzendes. Wo in den frühen Jahren noch das Soundprocessing im Mittelpunkt stand, haben sich in seinen Arbeiten die elektrische und mit zunehmender Frequenz die akustische Gitarre als wiedererkennbare Klanggeber etabliert. In der weitere Nachfolgen versprechenden Zusammenarbeit mit dem Improv-Schlagzeuger Shun Ishiwaka, Magnificent Little Dudes Vol.1 (Gearbox Records, 24. Mai), hat die Instrumentierung sogar fast durchweg akustischen Charakter, wobei Ishiwaka sein Drumkit auf derart leise und freie (vor allem von geradem Rhythmus freie) Art bedient, dass es genuin zu Ambient wird. So leise und sanft klappert die Percussion, wie es radikaler kaum vorstellbar ist.