Foto: Emil Seidel (n9oc)
Wer Memory Allocator nicht in den Endjahres-Charts für 2023 hatte, wird das Solo-Debüt von N. T. Uyên Nguyễn unter dem Namen n9oc wohl schlicht nicht gehört haben. Nach Compilation-Beiträgen auf unter anderem PH17, Human und Emotional Waves sowie für die erste Veröffentlichung der Online-Community EOS passte auf Oli Hafenbauers Die Orakel das Eine zum Anderen wie sonst nirgendwo: Der Dancefloor wird vom Leftfield aus angestrebt und obwohl deutliche Referenzen auf verschiedene Schulen britischer elektronischer Musik auszumachen waren, wurden deren Formsprachen keineswegs nachgeahmt, sondern in eine ganz andere, eigene Mundart überführt. Nachdem Nguyễn sich zuletzt mit einem Beitrag für die Braindance-Compilation von Die Orakel zurückmeldete, überträgt sie ihren Ansatz auf ihren Beitrag zu unserem Groove Podcast: Clubmusik trifft auf Nicht-ganz-Clubmusik. Auch das geht ganz wunderbar auf.
Wie bist du zur elektronischen Musik gekommen? Gab es für dich besondere Erweckungsmomente, wichtige Veranstaltungen oder Releases?
Ich bin mit sozialen Netzwerken wie MySpace aufgewachsen, bei dem es einen eingebetteten Musikplayer im Profil gab. Dadurch habe ich Peaches entdeckt. Ich war zwölf Jahre alt, habe nichts verstanden, fand sie aber unglaublich cool. Durch eine Radiosendung von Jamie xx auf BBC 6, circa Anfang der Zehnerjahre, da kam auch gerade der Begriff „Post-Dubstep“ auf, bin ich dann zum ersten Mal über Labels wie Hotflush, Hessle Audio, Ninja Tune und Radiostationen wie Rinse FM und NTS gestolpert. Ich konnte das nicht einordnen, da ich keine Ahnung von elektronischer Musik hatte. Es war aufregend, weil ich so etwas noch nie gehört hatte. In der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, gab es nicht viel. Deswegen sind wir mit Freunden am Wochenende ins nahgelegene Offenbach oder nach Frankfurt geflüchtet. Wir sind auf Konzerte gegangen, einfach weil es mit 15, 16 Jahren leichter war als in Clubs reinzukommen, was mein Interesse an Post-Punk, Indie-Pop, Ambient, Shoegaze etc. zusätzlich geformt hat – ein paar der damals besuchten Orte war der alte Hafen 2, der Sinkkasten Arts-Club, den es nicht mehr gibt, und diverse nichtkommerzielle DIY-Schuppen. Im Sinkkasten habe ich zum ersten Mal Mount Kimbie live gesehen. Bisher kannte ich den Sound nur aus den Internetradios, das war ein kleiner Full-Circle-Moment. In den Locations fanden auch Partys statt, das waren die ersten Berührungspunkte zur elektronischen Musikszene. Etwas später haben Freunde und ich in einer Off-Location in Hanau auch selbst kleine, niedrigschwellige DIY-Events veranstaltet, wodurch ich diese Arbeit, aber auch die Gemeinschaft, die wir damals gepflegt haben, sehr zu schätzen gelernt habe.
Wie sahen deine ersten Schritte als DJ aus?
Ich habe schon immer Musik gesammelt. In meiner ersten WG standen Plattenspieler – also habe ich angefangen Platten zu kaufen und einen Sommer lang in einem Plattenladen, dem Mainrecords, ausgeholfen. Der Shop verkauft vor allem Second-Hand-Vinyl, davon viel auf Discogs. Es war cool, auschecken zu können, was früher hier in der Umgebung präsent war. Ich habe durch Sammlungen und Kataloge gewühlt, Plattenregale sortiert, Discogs Bestellungen bearbeitet, wodurch ich viel an Wissen mitnehmen konnte. Die Erfahrung hat mir Berührungsängste zu der Materie genommen. Das Auflegen habe ich damals aber nicht ernsthaft verfolgt. Als ein paar Jahre später meine Produktionen über SoundCloud etwas Aufmerksamkeit bekamen, kamen Anfragen für Podcasts und Radiosendungen, in denen ich eine breite Palette spielen konnte, ganz ohne Performance-Druck. Das hat die Erinnerung daran geweckt, wie ich früher gerne Playlisten zusammengestellt und auf CDs gebrannt habe, um sie zu bestimmten Anlässen zu hören oder zu verschenken. (lacht) Das war so ein kleiner Aha-Moment, dann war ich angefixt.
Als Produzentin bist du erstmals im Jahr 2020 in Erscheinung getreten. Wie gestaltete sich dein Einstieg in die Musikproduktion?
Das erste Mal als ich eine DAW, eine Free-Version von FL-Studio, öffnete, habe ich sie direkt wieder geschlossen. Ich war überfordert und dachte, „Okay, das ist nichts für mich. Mir fehlt dieses ‘Musikerhirn’“. (lacht) Ich hatte keine klassische Musikausbildung und Angst, etwas „falsch“ zu machen. Es hat noch etwas Reflektion und Geduld gebraucht, bis ich einen eigenen Zugang dazu finden sollte. DAWs können anfangs erschlagend sein – man hat plötzlich ein komplettes Studio vor sich, und weiß vielleicht gar nicht wo man anfangen oder worauf man sich limitieren soll. Und das Programm bedienen zu lernen, wie ein Instrument zu erlernen, ist zwar eine Sache. Aber die Möglichkeit, alles sofort aufnehmen zu können, kann stark unter Druck setzen; ist eine Session erst erfolgreich, wenn daraus verwertbares Material, oder ein Produkt entstanden ist? Wenn es die Prämisse ist, verwertbares Material zu herzustellen, inwiefern beeinflusst das den Prozess, meine Entwicklung, die künstlerische Praxis, das Ergebnis, meine Beurteilung? Ist das ein Ansatz, mit dem ich arbeiten möchte? Nach der Auseinandersetzung mit diesen Fragen kam ich einer Arbeitsweise näher, die besser funktionierte und wurde experimentierfreudiger, wodurch alles endlich richtig Spaß gemacht hat.
Welches Set-up verwendest du und wie würdest du deinen Arbeitsprozess beschreiben?
Ich nutze einen Windows Laptop, Ableton Live 9, verschiedene Audio Plug-ins zur Klangsynthese und für Effekte. Dazu manchmal ein Akai MPK Mini MIDI-Keyboard. Ich nehme Sachen im Alltag mit meinem Handy auf, um sie danach zu samplen oder zu verfremden. Ich habe zunächst pragmatisch mit dem angefangen, was schon da war oder ich ausleihen konnte, aber bisher noch kein Bedürfnis verspürt etwas upzugraden – außer bessere Abhörmöglichkeiten, das Einzige, mit dem ich von Beginn an keine Kompromisse eingehen wollte. Meine Arbeitsweise ist eher unstrukturiert. Vor allem wenn ich das Gefühl habe festzustecken, probiere ich verschiedene Workflows aus – da versuche ich mich nicht zu sehr an einer bestimmten Arbeitsweise festzubeißen. Mit der Zeit habe ich einen Katalog an losen Klängen und Melodien aus meinen Jams angesammelt, die ich zu einem späteren Zeitpunkt miteinander arrangiere – das ist der Teil, in dem ich versuche Ordnung hereinzubringen. Dadurch kam ich schon zu überraschenden Ergebnissen. Manche Stücke entstehen aber auch „from scratch“, innerhalb eines Tages aus einem Guss. Ich versuche zu erkennen in welchem der „Modi“ ich mich befinde, und lasse mich darauf ein. Es gibt Phasen, in denen ich kaum hinterherkomme, meine Ideen umzusetzen, und dann wiederum welche, in denen es keinen Output gibt, aber stattdessen viel gehört wird, oder ich mir anderweitig Inspirationen einhole. Manchmal passiert aber auch einfach gar nichts. Das gehört auch zum Prozess.
Memory Allocator lautete der Titel deiner Debüt-EP für Die Orakel, der Begriff wird unter anderem im IT-Bereich ebenso wie in der Neurowissenschaft verwendet. Was bedeutet er im Kontext dieser Tracks?
In der Zeit, in der die Tracks entstanden sind – da gab es noch keine Vision für eine EP – habe ich mich viel umorientiert: Einerseits beruflich, aber ich habe andererseits auch eigene Anschauungen und erlernte Verhaltensmuster hinterfragt. In dieser Zeit habe ich auch richtig mit dem Produzieren angefangen, kurz vor der Pandemie. Zuerst war es nur eine Ablenkung, die sich aber sich schnell zu etwas Meditativem wandelte. Ich wollte nicht konzeptionell oder zu verkopft herangehen, sondern es einfach „flowen“ lassen. Die Tracks sind nur eine Momentaufnahme. Beim späteren Anhören dachte ich oft „krass, was ging denn da ab?“ In der Informationstechnik wird damit ein Vorgang beschrieben, bei dem Speicher in einem System für Prozesse zugewiesen oder freigegeben, also verwaltet wird. Ungefähr so hat sich es angefühlt, mit zeitlichem Abstand, diese Tracks zu hören: ich habe mich von ihnen auf eine friedliche Weise abgegrenzt gefühlt. Anscheinend konnte ich dadurch Eindrücke und Empfindungen sortieren, kanalisieren, die danach nicht mehr mein Arbeitsgedächtnis belegt haben. Das war die Gemeinsamkeit der Stücke. Für mich ging es darum Platz für Veränderungen und Neues zu schaffen. Es ist ein optimistischer Gedanke. Von Neurowissenschaften habe ich hingegen keine Ahnung.
In deinem letzten Groove-Interview hast du dich kritisch darüber geäußert, dass algorithmisch gesteuerter Medienkonsum dazu verleiten kann, “in der eigenen Filterblase stecken zu bleiben”. Damals ging es ums Radio, auf dem Dancefloor kann allerdings dasselbe gelten. Wie würdest du in der Hinsicht deine Aufgabe als DJ definieren?
Meine Selektion und den Weg dorthin hin und wieder zu evaluieren, würde ich dazuzählen. Ich versuche möglichst viele unterschiedliche Szenen und Bewegungen zu verfolgen, weiß aber nicht, ob das ausreicht.
Auch hast du gesagt, es sei dir vor einem Gig wichtig, zu wissen, “wie die Location aufgebaut ist”. Warum?
Ich meinte damit, dass das Setting, die Größe, die Atmosphäre neben dem Line-up, Publikum und der Uhrzeit zusätzliche Anhaltspunkte liefern kann, wie der Aufbau meines DJ-Sets aussehen könnte.
Was war die Idee hinter deinem Mix für unseren Groove-Podcast?
So ein Mix ist ein guter Anlass, Tracks, die ich im Club spielen würde, mit solchen zu kombinieren, die ich bisher noch nicht auf einem Dancefloor auspacken konnte, und so beides in einem anderen Kontext erscheinen zu lassen.
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Neben der Musik arbeite ich im Gesundheitswesen. Ich bin dabei herauszufinden, wie sich beides miteinander am besten verträgt, beziehungsweise kombinieren lässt, ohne das Privatleben und meine Liebsten dabei außer Acht zu lassen. Außerdem tüftele ich an dem perfekten Phở-Rezept – eine lebenslange Aufgabe.
Stream: n9oc – Groove Podcast 412
01. DJ Trystero – 引き金
02. Pens – 17
03. Special Guest DJ – Make Out Dub
04. FAFF – Course Poursuite
05. Psykovision – Psyko Punk
06. Timenet – DX Moods (Original Mix)
07. John Tejada – Disruption
08. Sweet Exorcist – Testfour
09. LeftLeft – Right Under (Original Mix)
10. S-Max – Immortality Dub (Not Sinful – Not Vicious)
11. Dogpatrol – No Filter Dance Situation
12. Hodge – Sense Inversion
13. Red Shift – 3 rd Moon
14. Composer 4 – 15A City