Konzeptkunst als Ambient oder umgekehrt? Die in London lebende Crossover-Künstler:in Li Yilei benötigt keine der überkommenen Kriterien, um interessante Klangereignisse im Raum zu verteilen. Ihr von unbeschwerter Kindheit und freiem Spiel inspiriertes AlbumNONAGE垂髫 (Métron, 6. März) nimmt das Experimentieren mit Sound jedenfalls leicht, leichter als je zuvor. Synthesizer, Samples, Feldaufnahmen, Glocken, Gongs, akustische Instrumente und vieles mehr. Die multiplen Quellen des Sounds sind weniger wichtig als das meist sehr sparsame, aber doch raumgreifende und darin durchweg elegante Ergebnis aus flirrenden, schwirrenden Sounds in flüchtigen, doch greifbaren Stücken. Das sollte, ja, muss, eine Zukunft von Ambient sein.
Neoklassik als Postrock oder umgekehrt? Laura Masotto jedenfalls lädt die Streicher derart mit Spannung und Emotionen, mitunter gar zum Jugendverschwenden einladenden Pathos auf, dass die Violine in Schichtungen, Spiegelung und Vervielfältigung klingt wie eine satte Rockband aus der Richtung Mono oder Mogwai. So richtig klar, wie viel und wie gut das ist, wird vor allem dann, wenn sie den Druck kurz wieder herausnimmt, Beinahe-Stille einkehren lässt, was auf The Spirit of Things (7K!, 1. März), dem zweiten Album der Italienerin, immer wieder passiert. Dann fühlen sich die Stücke plötzlich modernistisch bis impressionistisch an. Überwältigung ist nichts ohne Intimität, das weiß Masottos Musik besser als die meisten.
In der elektroakustischen Surround-Raumklang-Bearbeitung der Kanadierin Leslie Ting klingt die Violine nicht mehr nach sich selbst. Das althergebrachte akustische Sehnsuchtsinstrument arbeitet sich nur hin und wieder durch die Lagen von crunchy Noise-Drone an die Oberfläche. Sie dient aber immer der Komposition, sei sie nun von Ting selbst oder von Linda Catlin Smith, Rose Bolton oder Julia Mermelstein, die auf What Brings You In (People Places Records, 1. März) trotz oder gerade wegen ihrer verschiedenen Kompositionsansätze bestens mit den Improvisationen der experimentellen Violinistin harmonieren (oder dis-harmonieren, je nachdem). Fünf intensiv stille Stücke aus Solo-Violine und Elektronik, die es in sich haben.
Für kompromisslose, doch ebenso radikal verspielte Avantgarde zwischen Komposition und Improvisation steht die Kanadierin Joane Hétu seit den späten Achtzigern. Mit dem Label und Vetrieb Ambiances Magnétiques/DAME und dem vielköpfigen Ensemble SuperMusique hat sie zudem über die Jahre Kanäle und Zusammenhänge aufgebaut, die ein radikal unabhängiges Arbeiten ermöglichen, in wechselnden Gruppierungen gleichgesinnter Erweiter:innen dessen, was klassische Musik sein darf. Gelegentlich überbordend und fordernd, aber nie abweisend oder kathartisch im Charakter, öffnen die Impros und Kompositionen auf heuer gleich zwei neuen Alben so manche Fenster in Kopf und Körper: Le Fil d’Ariane (Ambiances Magnétiques, 27. Februar) mit den Werken dreier jüngerer Komponistinnen und das durch die Vokalist:innen von Chorale Joker und das Ensemble SuperMusique verstärkte Démantibulé-es (Ambiances Magnétiques, 27. Februar) mit elektronischen Experimenten.
Just zu der Zeit, als Künstliche Intelligenz in der Komposition ihren Nimbus und Glanz weitgehend verlor, treten die Musebots & Arne Eigenfeldt an, den Algorithmen die Intelligenz und Emotionen zurück- oder ihnen zumindest eine gehörige Portion Eigenwilligkeit mitzugeben. Der kanadische Komponist nutzt generative und KI-gestützte Kompositionstechniken seit knapp zwei Dekaden, aber erst mit den semi-autonomen, auf Kollaboration trainierten Musebots ist es ihm gelungen, eine Musik zu schaffen, die weder auf Komplexität als Selbstzweck abzielt noch das andere Extrem, die Optimierung dessen, was sowieso schon populär ist, anstrebt. Stattdessen steht A Walk To Meryton (Redshift Records, 1. März) für entspannte wie elegante Stücke zwischen Ambient, Lounge-Jazz und Fourth-World-Fusion. Dass sie von einem hochklassig besetzten, semiakustischen Trio aus John Korsrud, Meredith Bates und Jon Bentley eingespielt und mit der Stimme Barbara Adlers veredelt wurden, sind weitere Vorzüge.
Stimme und Sopransaxophon, Piano, das Susanna Hood Trio hommagiert in beinahe klassischer Jazz-Trio-Besetzung die Musik des Saxophonisten Steve Lacy mit den Worten der in den Zwanzigern vor den Nazis in die USA geflohenen Theaterautorin, Schauspielerin, Poetin und Antifaschistin Judith Malina. Gerade in der sparsamen Instrimentierung der sehr direkten, nahen Produktion wird unPacked (Ambiances Magnétiques, 27. Februar) zu intensiver, naher Musik, die ganz klar in der Tradition der Free-Jazz-Avantgarde spielt und doch aktueller kaum sein könnte.