Dieser Beitrag ist Teil unseres Jahresrückblicks REWIND2023. Alle Texte findet ihr hier.
Loveshadow – SWAYMIX004 (SWAY)
Loveshadow klingt nach süßem Negroni, Discokugel-Funkeln und feinem Zigarettenrauch – am ehesten der von Vogues. Kein Wunder, dass das Duo aus San Francisco lieber das Ambiente von Jazz-Bars und Weintheken bespielt als die dunklen Katakomben der Clublandschaft. Hinter Loveshadow stecken Anya und Izaak, die sich 2016 während der Arbeit in einem Café kennenlernten. Ein im Radio laufender Track der Achtziger-Soul-Band Aurra ließ die beiden Kolleg:innen werden.
Mit diesem Mix beehrt das Duo die Neuköllner Bar SWAY und unterhält mit loungigen Melodien. Es ist die vierte Mix-Ausgabe des Berliner Lokals in der Pannierstraße.
Hin und wieder schmeicheln sich französische und italienische Vocals an milde Beats. Saxofon- und Piano-Akkorde werden mit Synthesizern vermengt. Manchmal knistern Platten im zweistündigen Mix. Loveshadow köcheln ein Set, das wahrscheinlich am besten in angeduselter Gesellschaft in die Ohren geht. Wencke Riede
nd_baumecker b2b Francesco Menduni – Tutto Va Bene in Dietzenbach
Francesco Menduni und nd_baumecker kennen sich aus dem Offenbacher Plattenladen Delirium. In diesem arbeitete Baumecker in den Neunzigern. Menduni pflegte die Gewohnheit, nach einer durchfeierten Nacht vorbeizukommen, um sich die neuesten Platten zeigen zu lassen. Seitdem sind die beiden Freunde. Sie spielen sich bis heute Platten vor. Aufgenommen wurde das aktuelle b2b an einem Sonntagabend in Dietzenbach.
Die beiden steigen mit dem Track „Did This” von Dino Lenny ein, dessen treibende Hi-Hats direkt motivieren. Kurz machen clever im Takt platzierte Piano-Chords und Vocal-Samples klar, was zu erwarten ist: klassischer House, wie man ihn sich auf einer Festivalbühne zum Sonnenaufgang erhofft. Nach drei Stunden Melancholie kommt der Mix mit Jessie Wares „Free Yourself (Melanie C Remix)” zu einem fulminanten Ende. Wer es bis hier geschafft hat, darf jetzt zu der unfehlbaren Kombination aus Piano, Breaks, Vocals und einer Acid-Line die Hände in die Höhe werfen.
Stilsicherer Mix im Bereich angenehmer, geradliniger Housemusik, optimaler Warmup-Mix für die nächste Pre-Hour. Bastian Kunau
Rey Colino – The Sizeable Mix Vol. 1 (The Sizeable Mix)
Kaum ein Label war 2022 so unersetzlich wie Kalahari Oyster Cult. Nach dessen Gründung 2017 stand es für einen nerdigen Sound zwischen Bass Music, Trance-Revival und Detroit-Sound, im vergangenen Jahr dominierte es mit Maxis von Fantastic Man oder Maara die Dancefloors.
Nun liefert Labelmacher Rey Colino einen Ausblick auf Veröffentlichungen der nächsten Zeit. Von wem die so entschiedenen wie poetischen Breakbeat-Gebilde stammen, verrät nur der ein oder andere Soundcloud-Kommentar. Colino startet mit kristallklaren Flächen aus der Traumwelt zwischen Detroit und Trance. Nach einem überraschenden Schlenker ins Rap-Genre wird er mit jedem Track geradliniger. Asphalt DJ & Gzardin integrieren ravige Entgrenzung in einen gebündelten Groove mit einem Rest von housiger Emotionalität. Mit jedem Track steigert Colino die Energie des Sets, ohne in einen Tunnelblick zu geraten. Immer beweist er Gespür für ungewöhnliche Klangkonstellationen und die bisweilen eigenwilligen Stimmungen, die sie für kurze Momente erzeugen. Insofern kann man sichy D. Tiffany nur anschließen, die in den letzten Minuten des Sets kommentiert: „Loved all of it!” Alexis Waltz
Nexcyia – FACT Mix 892 (FACT)
Adam Dove ist ein Künstler mit afroamerikanischen und französischen Wurzeln, der vorrangig ambiente, der Witz sei gestattet, vielschichtige Musik produziert. Anknüpfungspunkte an Sounddesignsphären sind vorhanden, ebenso perkussive Einsprengsel wie auf seiner aktuellen Single „Hydro”. Deren Name in Tateinheit mit Doves Alias referenzieren das wohl einflussreichste Electro-Duo mehr als offen, Nexcyias musikalische Vision wabert aber deutlich weiter vom Dancefloor entfernt in subaquatischen wie luftleeren Räumen umher.
Sein über 100-minütiger Mix fürs FACT Mag verklanglicht Doves bewegtes Jahr auf subtile, zärtliche Weise. Feinsinnige Übergänge, die kaum als solche wahrnehmbar sind, wie der von Xenia Reapers „Stereo Dipole” zu crimeboys’ „deja entendu (dub)” prägen die Hörerfahrung. Tiefes Subbassgrollen, das, dem Künstlernamen geschuldet, an Drexciyas „Astronomical Guidepost” denken lässt, bleibt ein Ankerpunkt.
Ein Ambient-Set also, das nicht nur mit ausladenden Flächen, bizarren Vocals und absurder Schönheit punktet, sondern auch an seinem unteren Ende einiges zu bieten hat. Maximilian Fritz
Zeynep – XKM005 (X-Kalay)
Während das seit 2016 existierende Londoner Label X-Kalay in den letzten Jahren House mit Prog- und Trance-Einschlag, der heute auf australischen Bush Doofs wie auf mehrtägigen Partys in einschlägigen Berliner Clubs läuft, mit vorbereitet hat, steckt die hauseigene Mix-Serie noch in den Kinderschuhen. Für deren fünfte Ausgabe zeichnet mit Zeynep eine Wahlberliner DJ verantwortlich, die den X-Kalay-Klang in ihren Sets präzise abbildet.
Die „wärmeren Tage und sonnigen Raves”, von denen sie im Winter, als sie den Mix aufnahm, laut Promotext träumte, lassen zwar gehörig auf sich warten. Das macht diese fast 90 Minuten an hochenergetischen Tracks aber nicht weniger hörenswert. Unter ihnen befindet sich Arcadiums „Fade Instinct” von 1999, der mit seinem aufgezeckten Trance-Groove hervorragend ins Set passt und eine Binsenweisheit der elektronischen Musik bekräftigt: War alles schon mal da. Auch der Beuteldachs aus der legendären Videospielreihe Crash Bandicoot, der das Set eröffnet, turnte schon in den Neunzigern durch quietschbunte Umgebungen, erkundete unerschrocken und garantierte auf seinen verschlungenen Wegen eine Menge Spaß. Zeynep tut es ihm hier gleich. Maximilian Fritz
DJ Voices – Live @ Nowadays // Opening before upsammy – March 4 2023
Seien wir ehrlich: Techno-Boomer haben nicht immer unrecht. Beschwerden, kaum ein:e DJ beherrsche mehr die Kunst des Warm-up-Sets, sind besonders in Zeiten, in denen in manchen Clubs von Anfang an auf mindestens 140BPM durchgeknüppelt wird, nicht völlig unbegründet. Gut, dass es DJ Voices gibt. Die aus Florida stammende und in New York lebende Künstlerin macht eine Sendung bei The Lot Radio und ist Resident im New Yorker Club Nowadays.
Zu ihrer regelmäßigen Nacht lud sie sich Anfang März upsammy ein, und was soll man sagen: das passt. Nicht nur das Visual – sollte da nicht eigentlich ein abgetrenntes Ohr statt eines Spiegels liegen? – für den Mix suggeriert eine Verbundenheit mit Thessa Torsings Bildsprache, die knapp drei Stunden aneinandergereihte Musik, mit stark perkussivem Einschlag, gebrochen und dennoch agil, komplimentierten upsammys Peaktime-Set sicherlich ganz hervorragend.
Kristin Malossi, so DJ Voices’ bürgerlicher Name, hüpft furchtlos ins Wurmloch, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Der Ritt klingt bedrohlich und in seiner Reizüberflutung hypnotisierend, was nicht zuletzt an der ein oder anderen Nummer im Dreiviertel-Takt liegt. Dennoch warten zwischen den ganzen Breaks und Bass-Music-Rollern Vocals und kleinere Pop-Momente. Oder schlicht messerscharfe Übergänge. Etwa als nach 71 Minuten Rikos „I Know” in den Mix kommt. Tolles Set, zu dem sich der Dancefloor vor dem inneren Auge immer mehr füllt. Maximilian Fritz
CCL – Primavera Sound Barcelona x Cupra (Boiler Room)
Im Rahmen der diesjährigen Ausgabe des Primavera Sound präsentiert CCL ein zauberhaft buntes Set aus breakigen Garage-Trance-Stücken, kombiniert mit modernen Bass-Tracks im Batu-Stil, antreibenden Tribal-Grooves und alten Rave-Hymnen wie DJ Irenes „Do Both Jay and Jane”. Die besonderen Momente entstehen immer dann, wenn CCL mit bewusstem Risiko mutig und schnell den nächsten Track reinmixt und so ein magischer, flüchtiger Moment entsteht.
So lässt dieser Boiler Room immer wieder durchschimmern, mit welcher Brillanz und welchem Feingefühl CCL stilsicher und routiniert auflegt. Sie jongliert mit Genres, Rhythmen und Harmonien, als gäbe es keine Genregrenzen. Herauskommt ein erfrischender Boiler Room für DJ-Nerds, dem das Kunststück gelingt, auch für Tänzer:innen und alle anderen Musikliebenden spannend zu sein. Vincent Frisch
Spekki Webu – Spekki Webu At Solstice 2023 (Post Bar)
Mückenspray auf die wenigen unbekleideten Hautstellen, Skipass abholen, rein in den Sessellift, kurze Wanderung, dem Wind trotzen, Solstice Festival. Am 22. Juni um 16 Uhr, die namensgebende Sonnenwende ist erst einen Tag her, läutet Spekki Webu eine drei Tage lange psychedelische Bergtanzerfahrung auf dem Rukatunturi ein. Sonst ein Wintersportparadies, eine Art kleines finnisches Aspen, nur in günstiger, tanzen auf dem 493 Meter hohen Berg nun etwa 1500 Personen, und der Mirror-Zone-Chef setzt mit konzentriertem, leichtfüßigem Techno auf der Valley-Stage die Grundstimmung für den Synapsenfasching.
Eilig hat es der Niederländer dabei nicht. Wieso auch? Die Sonne geht am Polarkreis in diesen Tagen nicht unter, eine Peaktime existiert nur in den Köpfen sowie entlang des Konsumverhaltens und des Sonnenstands. Während ein Video-Snippet seines b2bs mit Mama Snake aus dem letzten Jahr auf der Mountain-Stage, in dem die Menge zu „Freestyler” von den Bomfunk MC’s durchdreht, dem Festival und seiner Reichweite zweifellos geholfen haben dürfte, setzt Spekki Webu in diesen viskosen drei Stunden wenn überhaupt sachte, punktuelle Nadelstiche. Während die Nebelmaschine erste Schwaden über das Holzpodest pustet und vereinzeltes Johlen aufbrandet, verhärtet sich der Eindruck, dass hier mehr stattfindet als bloßes Eintanzen. Dieses Set, das nach dem ersten Drittel an musikalischer Varianz und Geschwindigkeit zulegt, verkörpert mit seinem undurchsichtigen Mäandern die akustische Essenz des Solstice, nicht mehr und nicht weniger. Maximilian Fritz
Fafi Abdel Nour: Dekmantel Festival 2023 (HÖR Berlin)
HÖR hat sich mit Streams einen Namen gemacht, die ganz und gar auf den jeweiligen Act und die DJ-Kunst ausgerichtet sind, denn die ikonischen Badezimmerwände sind kein Blickfang. Im August dieses Jahres feierte der erfolgreiche Berliner Broadcastdienst mit eigener Stage sein Dekmantel-Debüt. Und mit der Veröffentlichung der Sets bringt HÖR das Festival Musikliebhaber:innen auch nach Hause.
Mit reichlich von House und Trance angehauchten Neunziger-Tracks bringt Fafi Abdel Nour die Zuhörer:innen sowohl auf dem Festival als auch im virtuellen Raum auf Touren. Ihm gelingt die subtile Mischung aus altbekannten Bangern, hoher Vocal-Dichte und bouncigem Progressive House, ohne dabei Klischees von „Good-Vibes-DJs” zu bedienen. Der in Amsterdam lebende Künstler mit syrischen Wurzeln erinnert mit seiner Auswahl ein bisschen an Job Jobse. Ob diese Art der erhebenden elektronischen Musik Teil der niederländischen Kultur ist, darüber lässt sich diskutieren. Jedenfalls hat Fafi Abdel Nour es mit seinem abwechslungsreichen, stimmigen Set geschafft, jeder Person im Publikum am letzten Tag des Festivals ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Wer selbst dabei war, freut sich umso mehr, die frühen Abendstunden des letzten Festivaltages erneut zu erleben. Charlotte Elsen
DJ Aya – Radiant Records Mix (Radiant Records)
Hört man diesen Mix zuhause, hat man direkt Lust, sich in den Festivalsommer zurückzukatapultieren. Stampfend beim See, auf einer Wiese, wo auch immer – Hauptsache, Energie rauslassen und tanzen. Das bewirkt DJ Ayas Mix. Das neueste Set der gebürtigen Schweizerin, die erst vor kurzer Zeit ihren Durchbruch als DJ geschafft hat, wurde für das Berliner Label Radiant Records aufgenommen.
Es besteht aus mitreißenden High-Energy-Tracks, aufheiternden Vocals, ausreichend Drums und ganz viel Groove. Zum Einstieg in die 90-minütige Reise hat sie sich für mehrere Tribal-angehauchte, Perkussions-lastige Tracks entschieden. Man kommt in Stimmung, ein tanzbares Set ist es jedenfalls, aber was hätte man sonst von DJ Aya erwartet? Sie zeigt innerhalb der ersten Minuten, dass sie sich nicht auf ein Genre festlegen mag. Speed Garage, Hard Groove, Progressive House und Trance folgen, das Set bewegt sich zwischen 130 und 140 BPM, sorgt stets für Dynamik und Abwechslung. Der Mix endet mit einem melancholischen Track, einer süßen Note, die zeigt, dass energetische Mixe keinesfalls nur aus hartem und dumpfen Techno bestehen müssen. Zwar ist die Festivalsaison nun endgültig vorbei, jedoch lassen Mixe wie dieser die kalten Wintermonate hoffentlich schnell überstehen. Charlotte Elsen