Alex From Tokyo presents Japan Vibrations Vol.1 (world famous)
Alex From Tokyo ist einer dieser Liebhaber-DJs zum Liebhaben. Kein anderer wäre so gut dafür geeignet, eine Compilation zu präsentieren, die den musikalischen Underground Tokios ab der Mitte der Achtziger bis in die Neunziger abbildet. Während sich in den letzten Jahren viele thematisch ähnlich aufgestellte Compilations mit dieser Epoche beschäftigt haben, schafft es Alex, einen ganz und gar persönlichen Blickwinkel auf Japan zu transportieren: Er war ab 1988 mittendrin in Shibuya, wurde vom Tänzer zum DJ und Produzenten; inmitten einer Szene, die er als „unglaublich international und dennoch sehr japanisch” bezeichnet. Eine Diversität von Sounds, die sich gleichermaßen von New York, London, Chicago und Detroit beeinflussen ließ, dabei aber ihre ganz eigene Kreativität in den Mix gab.
Die erste Ausgabe von Japan Vibrations präsentiert Momente und Personen, Sounds und Storys, die Alex From Tokyos Weg prägen sollten. Die Auswahl reicht von international bekannten Innovatoren wie Haruomi Hosono oder Ryūichi Sakamoto bis zu einer neuen Generation von Produzenten wie CMJK, Mind Design oder Hiroshi Watanabe. Allesamt fangen sie das Momentum und die Energie einer kreativen Hochphase in Japans elektronischem Underground ein, die ein umfassendes Netzwerk an Klängen spannt: von Ambient über Downtempo und Dub bis hin zu New Jazz, Deep House und Techno. Alle Tracks wurden neu gemastert und klingen nicht nur fantastisch, sondern schaffen es auch, den besonderen Geist dieser Ära zu vermitteln. Leopold Hutter
VA – Cocoon U (Cocoon)
Ob sich die Frankfurter Labelmacher je bei der ersten Ausgabe im Jahr 2001 hätten träumen lassen, dass die Endlichkeit des Alphabets mal ein Problem werden könnte? Naja, fünf Buchstaben hat man ja noch, und auch beim U gibt es wieder eine sorgfältig kuratierte Zusammenstellung mit Tracks von langjährigen Protagonist:innen der elektronischen Tanzmusikszene und ambitionierten Neulingen zum Genießen.
Ein überraschendes Wiedersehen gibt es dabei mit Ian Pooley, seit über 30 Jahren Motor einer ureigenen Version von House Music. „DDG Talk” nimmt einen guten Schluck aus der Chicago-Trax-Pulle und schlägt damit die Brücke zwischen Dance Mania und 2023. New Jackson erinnert mit seinem melancholischen Vocoder-Mantra an die frühen Pet Shop Boys („Acid Jackson”), und auch Levon Vincent, Wahlberliner mit NYC-Wurzeln, spannt mit seiner Mischung aus UK-Pianorave-Zitaten und hymnischer Detroit-Trance einen begeisternden Bogen zwischen Damals und Jetzt („Waiting”). Damit aber keine falsche Nostalgie aufkommt, sorgen zum Beispiel Michael Klein oder Drumcomplex mit Frank Sonic für die nötige Portion kontemporären Krach. Jochen Ditschler
VA – Molten Moods 16 (Molten Moods)
Molten Moods ist ein Label aus München. Es gehört Jonas Yamer, den kann man kennen, wenn man in der Subkulturschickeria rumstreunt. Jedenfalls hatte Molten Moods immer so die Attitude, ein bisschen zu cool zu sein – wie viele junge kulturaffine Menschen in Berlin, die jetzt Mode- oder Grafikdesign machen, jedenfalls irgendwas, für das man ausdruckslose Fotos auf Instagram postet und RSVP sagt und am Wochenende wie eigentlich immer auf allem drauf ist. So geht mir das mit Molten, und so geht mir das mit dieser Comp: immer drei Nasen zu Richter-klassig und mit musikalischem Gesichtsausdruck von Ledermantelmännern in der Berghain-Schlange. Man kann den Prolo-Techno und das Deconstructed-Gestolpere zwar rausflexen, dann bleibt aber nicht mehr viel übrig. Zumindest Tracks von L_ue, Lindenberg Support oder Ark Noir kommen so aber ganz gut. Die drei, vier Dinger sind halt keine Compilation mehr, na ja, den Rest kann man aber wieder verpacken und irgendwohin schicken, am besten zu den jungen kulturaffinen Menschen in Berlin – denen gefällt der Stechschritt-Schabernack sowieso bedingungslos. Christoph Benkeser
VA – MTY-AIR – “Mille attaques, les vents contrèrent” (Mama Told Ya)
Diese Mama-Told-Ya-Compilation verfolgt kein Konzept, keinen isolierten Stil, keine bestimmte Stimmung, es ist eine Sammlung von 20 Tracks, zu denen man gerne feiert. Hasvat Informant klingt mit seinen 137BPM fast ein wenig majestätisch, VOST schwenkt mit etwa zehn BPM mehr auf den hier intendierten Duktus ein. Uncrat wechselt überraschend ins Melodic-Techno-Fach von Dystopian. Einen ersten Höhepunkt liefert Raël mit einem knüppelharten, dennoch subtil produzierten Technobeat, durch den Hallraum geistert ein Echo von „1,2 Step” von Ciara und unterstreicht, dass DJ Heartstring hier noch nicht das letzte Wort gesprochen haben. „Ghetto Girl” von DJ Bazootka & Ryacet ist dann eine vollwertige R’n’B-Nummer, die an MCR-T & Miss Bashful anknüpft. Cerrot macht Dub Techno, David Löhlein gibt sich schmissig und warmherzig, Shaven macht arty Trance zwischen Lorenzo Senni und Barker, Zoë Mc Pherson verbindet einen brettendern Kobosil-Beat mit schön ausgearbeiteten, paranoiden Synths. Und auch Boys Noize gelingt ein lustiger Mix aus Achtziger-Pop-Knalligkeit und entrückter technoider Abfahrt. So zeigt die Compilation mit dem schönen Titel, dass Leidenschaft für Vielfalt, Stilsicherheit und Humor, Partyspaß und Technospirit Hand in Hand gehen können. Alexis Waltz
VA – Risks Issues Opportunities III (R.i.O.)
Sehr entspannt, auf beaty Weise: Die dritte Risks Issues Opportunities vom Berlin-Weddinger Label R.i.O. Wir gehen jetzt rein. Hören, wie der Mailänder Joseph Tagliabue die Compilation reinrauschen lässt, wie eine Katze ein unbekanntes Zimmer durchstreift, sanft, gar nicht da, hier ein Klecks Ton, und da, und da. Ambient und Beats werden von nun an die Stücke zusammenhalten, einen Rahmen geben für den zeitgenössischen Dub des Kölners Grischerr mit seinen säurehaltigen Girlanden, Xei Jus cruisenden Zukunftspop, Frank Rodas Higher-Level-Electro ältester Schule oder das soundtrackhafte „The Root” von Garnu Depot. Hier bewegt sich der Song nicht vom Fleck, damit die Welt um ihn herum zirkulieren kann.
Ein Label, das für seine Vielseitigkeit beschmust wird, konzentriert sich hier auf einen unspektakulären Sound und, voilà, es funzt. Federico Cassetta lasert Ellipsen in ein repetitives Pfeifen, und Saeko Killy spricht-und-singt skurrile Wave-Phrasen. Darf gerne eine noch viel längere Tradition werden, die Serie Risks Issues Opportunities. Christoph Braun
CoLD SToRAGE – wipE’out” – The Zero Gravity Soundtrack (CoLD SToRAGE)
Wipeout ist ein Videospiel für die erste Playstation. Mitte der Neunziger wurde es von The Designer Republic aus Sheffield visuell außergewöhnlich gut umgesetzt. Kein Wunder: The Designer Republic gestaltete Plattencover und Logos für Warp-Künstler wie Aphex Twin oder Autechre und steht schlichtweg für die Erfindung der Ambient-Bildsprache. Selbst der Mainstream war damals irgendwie der Underground, der damit wieder Mainstream wurde. Und Wipeout war dabei auch ein unerhört gutes Spiel.
Wie man zu diesen Liquid-Breakbeat-Nummern des Games-Music-Producers Tim Wright alias CoLD SToRAGE mit den futuristisch-formalistischen Antigravitations-Gleitern durch die Kurven rutschte und mit Leichtigkeit im Takt seine Gegner:innen – die deine Freund:innen waren – aus der Bahn schoss, war schon echt witzig.
Meine persönliche Lieblingsnummer war damals „Canada”. Am neu gemasterten Re-Release der Originaltracks sieht man aber vor allem, dass sämtliche Tracks extrem gut gealtert sind. Eigentlich will man sich sofort wieder dieses Spiel und eine alte Playstation kaufen und wochenlang von früh bis spät die geheimen, superharten Extralevels hinter dem eigentlichen Spiel aufschließen. Außerdem bietet die Compilation Remixe zu allen Tracks von zeitgenössischen Acts wie Brainwaltzera und Producerlegenden wie Kode9 oder µ-Ziq. Back to the Retrofuture. Mirko Hecktor